Garmisch-Partenkirchen in der Novemberrevolution 1918

 

 

 

1. Kriegsmüdigkeit oder Revolutionsstimmung im „Goldenen Landl“?

„Zu Kaisers Geburtstag!
Vom schneebedeckten Alpenrand
bis weit hinaus zum Nord- und Ostseestrand
ein festgeformtes, mächtig großes, einig deutsches Vaterland!
Zum heutigen Tage „Heil und Segen“!
Das sind die Wünsche, die wir Partenkirchner hegen
und ehrfurchtsvoll der Majestät zu Füßen legen.“

Politische Verherrlichungslyrik dieser Art war 1914 noch fester und selbstverständlicher Bestandteil eines monarchischen Huldigungsrituals, das tief in die Werdenfelser Provinz reichte. - 1916, im dritten Kriegsjahr war der Hurrapatriotismus der Vorkriegszeit erstaunlich schnell verschwunden. Ein Vierzeiler zum Jahresanfang lautete:

„Mach dich zum Teufel, schlechte Zeit,
Der baldigen Heimkehr seist du geweiht,
Nimm mit das Elend und die Sorgen
Neujahr bring den Friedens-Morgen.“

Kein Wunder - die Sommerfrischler waren 1915 deutlich weniger, die Listen der Gefallenen im „Loisachboten“, im „Werdenfelser Anzeiger“ und in der „Mittenwalder Grenzpost“ dagegen erheblich länger geworden.

Im Juli 1916 meldete die örtliche Gendarmerie in ihren „Berichten über die Volksstimmung“, die Leute seien „verzagt und gedrückt“. Die Geschäfte gingen schlecht, die Inflation warf ihre Schatten voraus. Die Stimmung war nicht zuletzt deshalb so miserabel, weil die Klassengesellschaft der Besitzenden und der Hungernden auch im Werdenfelser Land immer deutlicher ihr Gesicht zeigte. Die Gendarmerie Mittenwald stellte fest, dass „die landwirtschaftlichen Besitzer zur Zeit im Vorteil seien, weil gar kein Lebensmittel so minder sei, dass es nicht teuer verkauft werde.“ Die Polizeistation Eschenlohe konnte andererseits beobachten, dass die „Volksstimmung im allgemeinen sehr gut sei. Dies komme daher, dass die lebensmittelproduzierende Bevölkerung mit Lebensmitteln hinreichend versorgt sei und nur abgebe, was leicht entbehrlich sei.“

Revolutionäre Stimmung war aber nirgends zu verspüren, revolutionäre Stimmen erhoben sich nicht. Angriffe auf staatliche Institutionen oder gar auf politisch Verantwortliche blieben aus. Die „zuversichtliche Hoffnung eines endgültigen Sieges“ und der Wunsch nach einem „baldigen Frieden“ standen für die Werdenfelser im Mittelpunkt ihres politischen Denkens. Am Ende des Jahres 1916 wurde in einer „sozialdemokratischen Volksversammlung“ mit 150 Teilnehmern das Thema „Der Krieg und die Friedensfrage“ behandelt. Die Resolution, die von dieser Versammlung an die politische Öffentlichkeit gerichtet wurde, las sich nicht umstürzlerisch: „Die heutige Versammlung verurteilt die Politik des Annektierens... Sie verlangt ferner ein Einschreiten gegen den schamlosen Wucher und eine gleichmäßige Verteilung aller Lebensmittel.“ Das las sich nicht wie ein Aufruf zur gründlichen Veränderung der politischen Verhältnisse, in denen man sich nun einmal eingerichtet hatte.

Dass in den folgenden zwei Jahren bis zum November 1918 politisches Stillschweigen im Be­zirksamt herrschte, darf nicht verwundern, hatten Hindenburg und Ludendorff in dieser Zeit aus Deutschland doch eine Militärdiktatur gemacht, in der bis hin zur lokalen Ebene die Gleichschaltung der Presse, die Unterdrückung der Gewerkschaften und die Gängelung der demokratischen Parteien vorzüglich funktionierten.

1918 - Truppen des deutschen Grenzschutzes in Garmisch

1918 - Verwundete und genesende Soldaten
in einem Garmischer Lazarett

 

2. Die Münchner Revolution aus Werdenfelser Sicht

Verwundert mögen sich die Leser des Werdenfelser Anzeigers am 6. November 1918 die Augen gerieben haben, als sie unter der Überschrift „Gebot der Stunde“ eine von acht örtlichen Vereinen ver­breitete Erklärung eines Generalstabsoffiziers zu lesen bekamen. Es hieß: „Der Krieg, so unvermeidlich er war, war verloren, als er anfing. Es gibt nur eine Rettung, den Völkerbund. Wilson meint es ehrlich... Was nun? Nationale Verteidigung? Nein, sie häufte nur nutzlose Leichenberge. Massenerhebung der niederen Instinkte? Fahre wohl Deutschland, dein Schicksal wäre russisch.“ Zum ersten Mal - nur wenige historische Augenblicke vor dem Abschluss des Waffenstillstandsvertrages und den Ereignissen auf der Theresienwiese in München - wurde in Werdenfels die politische Alternative einer grundlegenden Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse angedeutet, freilich eher abwehrend, denn die russische Revolution des Jahres 1917 hatte für die meisten Zeitgenossen nichts Gewinnendes, nichts Überzeugendes, nichts Nachahmenswertes mit sich gebracht - wer mit ihr identifiziert wurde, über den war der Stab schon gebrochen.

Drei Tage später, am 9. November 1918, inzwischen hatte Kurt Eisner in der Nacht vom 7. auf den 8. November den Umschwung in München vollzogen und erklärt, „Bayern ist fortan ein Freistaat“, am 9. November also erfuhren die Leser des Werdenfelser Anzeigers die Neuigkeiten über die Revolution in München: „Private Nachrichten besagen, dass in der Hauptstadt Unruhen ausgebrochen sind. Nach einer Massenvolksversammlung auf der Theresienwiese wurden Umzüge in der Stadt veranstaltet und dabei Läden geplündert. Ein Arbeiter- und Soldatenrat habe sich gebildet.“ Also doch - aus Werdenfelser Sicht - russisches Schicksal - Unruhen, geplünderte Läden und Räte.

Erst am 13. November gibt es dann genauere Nachrichten in den lokalen Medien: „Die Umwälzung ist ohne Blutvergießen vor sich gegangen, alle Behörden amtieren weiter und es ist, als ob nichts vorgekommen wäre.“ Also doch kein russisches Schicksal - keine Hinrichtung des Königs und seiner Familie, auch kein revolutionärer Flächenbrand - in Garmisch und in Partenkirchen, in Mittenwald und in Oberammergau fragte man deshalb verwundert, „wie die bald 750 Jahre alte monarchische Staatsform und Dynastie in Bayern so über Nacht verschwinden konnte.“ Erstaunen darüber, dass kein einziger Schuss für die Erhaltung der Monarchie gefallen war, dass die Wittelsbacher einfach abhanden gekommen waren. „Wir hören auch von keinem Protest oder Ähnlichem der alten Regierung“, verwunderte Enttäuschung darüber, dass das alte System so sang- und klanglos verschwunden war. Keine Parteinahme für das Neue: „Das Vernünftigste wird wohl sein, abzuwarten, wie die Sache sich entwickelt und was die aufgrund der neuen Wahlordnung gewählten Vertreter des Volkes beschließen.“

Während das ohne sein Zutun von Monarchie und Krieg befreite Werdenfelser Volk den Kopf in den Sand steckte, mussten die Beamten des Bezirksamtes Garmisch Farbe bekennen. Gut eine Woche nach der fast heimlichen Abdankung der Monarchie teilte der Bezirksamtmann der Öffentlichkeit mit, dass sich die „bezirksamtlichen Beamten ... aus Liebe zum Vaterland verpflichtet“ hätten, „dem neuen Volksstaate unter Wahrung ihrer Gesinnung und Überzeugungen freiwillig und aufrichtig im Interesse der Gesamtheit ihre Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen.“ Nicht aus demokratischer Überzeugung war man zur Republik übergelaufen, sondern um die alte Stellung besser halten zu können, „Gesinnung und Überzeugung“ waren und blieben monarchisch, auch wenn jetzt die Weisungen und Verfügungen republikanisch wurden. Das konnte kein gutes Ende nehmen.

1918 - Einladung zur Wahl einer Volksversammlung in Garmisch
durch Josef Lindemann, den Vorsitzenden des Soldatenrates Mittenwald

1918 Josef Lindemann auf seinem Motorrad

 

3. Institutionen der Revolution in Garmisch-Partenkirchen

Im Bezirksamt Garmisch bildeten sich sehr bald schon die neuen Räte-Institutionen: Am 12. No­vem­ber wurde ein Soldatenrat und am 21. November ein Bauernrat ins Leben gerufen. Dann traf man sich in Garmisch-Partenkirchen zur Vorbesprechung für die Wahl ei­nes Volks­rates, in der der Mitten­walder Soldatenratsvorsit­zende Linde­mann unter gro­ßem Beifall vor­schlug, dieses revolutio­näre Or­gan von einer Volksversammlung in Gar­misch-Partenkirchen direkt wählen zu lassen und ihm auf diese Weise Ansehen bei der Bevölke­rung und politische Legitimation gegenüber den bestehenden Kommu­nalorganen zu verschaffen. Die Aufgabe die­ses Volksrates sollte es nämlich sein, „bis zur National­versammlung darüber (zu) wachen, dass die Behörden nicht gegen den Willen des Volkes amtie­ren.“ Das war eine schwierige Aufgabe, da sich nunmehr auf lokaler Eben zwei Ent­scheidungs­gremien gegen­überstanden - und beide betrachteten sich als legitime und dem Willen des Volkes verpflichtete Organe.

Die Wahl des Volksrates durch eine Volksversammlung fand am 24. November in Garmisch-Partenkirchen statt. Karl Fecht, Vorsit­zender des sozialdemokratischen Vereins Garmisch-Partenkirchen, beschrieb Vorbereitung und Verlauf dieser Volksversammlung so: „Die Kandidaten zur Mitgliedschaft des Arbeiterrates Garmisch-Partenkirchen wurden in einer öffentlichen Parteiversammlung des sozialdemokratischen Vereins nominiert und der großen, öffentlichen, von ca. 1500 Personen besuchten Volksversammlung im Kurhause zu Garmisch ... einzeln namentlich präsentiert und so dann von dieser großen öffentlichen Volksversammlung einstimmig gutgeheißen... Alsdann wurden die Mitglieder dieses gewählten Arbeiterrates dem Zentralarbeiterrat in München angezeigt und von diesem anerkannt.“

Gewählt wurden insgesamt 42 Vertreter aus Beauftragten der örtlichen Räte des Bezirk­samtes: 10 aus dem Bauernstand, 8 Gewerbetreibende, 12 Arbeiter, 7 Soldaten, 4 Beamte und 1 Angehöriger der freien Berufe. Sieben aus der Mitte dieses Volksrates gewählte Mitglieder bildeten den Vollzugsausschuss. Vorsitzender dieses Vollzugsausschusses wurden der Chef des Mittenwalder Soldatenrates, Lindemann, der zugleich als Vertrauensmann des zentralen Arbeiter- und Soldatenrates München und der USPD galt, und der Garmisch-Partenkirchner SPD-Vorsitzende Karl Fecht. 

Dass dieser Volksrat kein einseitiges Parteigremium der USPD oder der SPD war, dafür hatten die Wähler gesorgt: Unter den zehn Vertretern der Bauern befanden sich die Grafen Quadt, Pater Emmeram für das Kloster Ettal und die Großgrundbesitzer Terne und Kien­zerle. Für das Gewerbe sprachen im Volksrat der Apotheker Byschl aus Garmisch, ein Maler- und ein Baumeister, zwei Hotelbesitzer, ein Bäckermeister, ein Verleger sowie ein Sägewerksbesitzer. In zwei weiteren öffentlichen Versammlungen, eine im „Melber“ in Partenkirchen, die andere im „Kainzenfranz“ in Garmisch, wurde dem Volksrat erneut ein einstimmiges Vertrauensvotum ausgestellt.

Eine der ersten Amtshandlungen des Volksrates war ein Besuch in München zu dem Zweck, die re­volutionären Ereignisse selbst in Augenschein zu nehmen und den Protagonisten der Revolution, Kurt Eisner, kennenzulernen. Wortführer des Garmischer Volksrates bei dieser Begegnung zwischen ländlichem Bürgertum und sozialdemokratischer Arbeiterschaft auf der einen Seite sowie dem Vertreter des rätedemokratischen Prinzips auf der anderen Seite war der Garmischer Apotheker Byschl. In einer kurzen Notiz schilderte er im Anschluss an die Begegnung, dass er Eisner, den Ministerpräsidenten der provisorischen Regierung Bayerns, um eine „Erklärung über seine Politik, über seine Stellung zum Reich und zur Nationalversammlung gebeten“ habe. Dann heißt es weiter: „Eisner habe auf ihn keinen Eindruck gemacht, er sei Idealist.“ So falsch war diese Charakterisierung nicht - der Idee der Räterepublik fehlte die organisatorische Kraft zur friedlichen Ausbreitung im Flächenstaat Bayern.

Das sollten die Wahlen zum Bayerischen Landtag zeigen, die am 12. Januar 1919 erst­mals für Männer und Frauen gleichermaßen und für alle zusammen ohne Unterschied der Steuerkraft oder des Besitzes durchgeführt wurden. Das bayerische Ergebnis ist bekannt: Eisner, die USPD und der Rätegedanke erhielten 2,5 % der Stimmen in der ersten freien Wahl nach dem Weltkrieg, die konservativ-klerikale Bayerische Volkspartei konnten 35 % und die Sozialdemokraten, die dem Rätemodell gleichfalls ablehnend gegenüberstanden, immerhin 33 % der Stimmen auf sich vereinigen. Das Ergebnis im Bezirksamt Garmisch: BVP 38,2 %, SPD 31,5 %, USPD 0,8 %. - eine deutliche Absage an alle räterepublikanischen politischen Modelle.

Der Wahlkampf, der vorausgegangen war, war von einem Thema beherrscht worden - dem neuen Frauenstimmrecht. In Partenkirchen wurde die Bayerische Volkspartei durch die Gründung eines Zweigvereins des katholischen Frauenbundes in zwei Versammlungen im Melber und im Rassen unterstützt, in denen auch Dr. Wigger, der Gründer des gleichnamigen Sanatoriums, als Redner auftrat. 200 Frauen und Mädchen erklärten spontan ihre Mitgliedschaft im katholischen Frauenbund, um zu verhindern, „dass unsere Kinder ungetauft bleiben, dass sie keinen Unterricht in Religion bekommen, dass wir auf das Sakrament der Ehe verzichten müssen.“ Denn, so die Überzeugung, „das könnte alles kommen“, schließlich gingen die Bestrebungen der derzeitigen Regierung darauf hin, „die Familienbande zu lockern, unsere Volkskraft zu schwächen“ und die Kirche vom Staat zu trennen. In die gleiche Kerbe schlugen auch die Aufrufe der Bayerischen Volkspartei, die in den örtlichen Zeitungen zahlreich erschienen: Die Sozialdemokratie wurde als „geschworener Feind jeder christlichen Weltanschauung“ bezeichnet, als Reichszerstörer, der „unser Volk ehrlos und wehrlos gemacht“ habe. Die „Bayern als urdeutsches Kernvolk“ stehen gegen den „schwerkranken Volkskörper“, der von den Sozialdemokraten zugrunde gerichtet worden sei. Das Bild vom kirchenfeindlichen, zersetzenden Geist der Sozialdemokratie wurde schließlich noch erweitert um den Vorwurf, land- und volksfremde Elemente hätten Bayern unterjocht. Ein dramatischer Appell an das Gnadenbild von Ettal, Frauenwürde und Mädchenreinheit in diesen schweren Zeiten zu bewahren, krönte den emotionalen Angriff auf die Sozialdemokratie.

1919 - Hanns Kilian sen. - Besitzer des Hotels Alpenhof und Mitglied der Bürgerwehr Garmisch

1919 - Mitglieder der Bürgerwehr Garmisch halten Wache an der
Brücke über den Lahnewiesgraben

 

4. Radikalisierung von Revolution und Gegenrevolution

Am Tag, vor dem der Entwurf einer neuen Verfassung für den Freistaat Bayern durch die Regierung gebilligt werden sollte, am 21. Februar 1919, wurde Kurt Eisner in München durch den 22-jährigen Leutnant Graf Arco auf Valley mit mehreren Pistolenschüssen ermordet.

Nach den darauf folgenden politischen und bewaffneten Auseinandersetzungen in München rief die Regierung des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Hoffmann, die am 18. März ihren Sitz nach Bamberg verlegte, zur Bildung von Volkswehren auf, mit deren Hilfe die Räteherrschaft in München beendigt werden sollte. In Bezirksamt Garmisch hatte man sich schon seit dem Januar 1919 mit dem Gedanken getragen, eine Bürgerwehr aufzustellen. Zwar be­fürch­tete man damals, „dass von Seiten der sozialdemokratischen Elemente die Gründung der Bürgerwehr als Herausforderung angesehen werden könnte und dadurch eher Unruhe erzeugt würde“, jedoch erklärten zwei Vertreter des Volksrates, dass „sie dafür Garantie übernehmen, dass seitens der Sozialdemokraten keinerlei Aufstände veranlasst oder geduldet werden.“ So existierte bereits vor Ausrufung der Münchner Räterepublik im Bezirk Garmisch eine starke Volkswehr, die im Einverständnis mit dem Volksrat gegründet worden war und sich nun als „auf dem Boden der Regierung Hoffmann stehend“ bezeichnete. Aufschlussreich für die Zusammensetzung dieser Volkswehr ist eine Aktennotiz, derzufolge „bei der Natur der Sache hauptsächlich solche Personen in Frage kommen, welche hier ein Anwesen haben.“

Volksrat und Sozialdemokraten lehnten die Münchner Räteregierung ab und kündigten die volle Unterstützung der Regierung Hoffmann an. In diesem Zusammenhang kam es zur Absetzung einiger missliebiger Arbeitervertreter, die mit der Räterepublik sympathisierten. Die beiden Mittenwalder Arbeiterräte Böcklein und Murböck wurden am 11. April wegen des Vorwurfs der Lebensmittelschiebung von der aufgebrachten Bevölkerung festgenommen und in das Garmischer Gerichtsgefängnis eingeliefert, am folgenden Tag aber schon wieder auf freien Fuß gesetzt. Böcklein organisierte daraufhin von Kochel aus, wo die Arbeiter des Walchensee­kraftwerks hinter der Räterepublik standen, ein Kommando von Rotgardisten unter der Führung Murböcks und des Kochler Rätekommandanten Feldmeier zur „Eroberung“ des Bezirks Garmisch. „Wir wollten in Garmisch den Bahnhof und das Postamt besetzen, die Bürgerwehr entwaffnen, eine Arbeiterwehr gründen und mehrere Geiseln behufs Ablieferung der Waffen durch die Bür­gerwehr festnehmen,“ erklärte Murböck bei seiner späteren Vernehmung. Am Lahnewiesgraben stieß der Zug auf die Volkswehr Garmisch. Im Verlaufe der folgenden Schießerei wurden vier Mann der Kocheler Arbeiterwehr getötet und Murböck schwer verletzt. Dieser als „Spartakistenüberfall“ in die Lokalgeschichte eingegangene Vorfall am 23. April 1919 bewirkte eine tiefgreifende Veränderung der politischen Lage im Amtsbezirk Garmisch. Die gereizte Stimmung der Bevölkerung richtete sich nun auch gegen die Sozialdemokraten. Vom Volksrat Garmisch wurde zur „Wiederherstellung geordneter Verhältnisse“ das „Freikorps Werdenfels“ aufgestellt und mit etwa 360 Mann dem Oberst von Epp unterstellt. Als dieses Freikorps nach München zog, um die Räteregierung zu stürzen, herrschte im Bezirk Garmisch eine „Begeisterung wie in den Augusttagen des Jahres 1914“, so berichtete die lokale Presse. 

1919 - Aufruf der Münchner Räterrepublik für Garmisch-Partenkirchen

1919 - Empfang der aus München zurückkehrenden
 Mitglieder des Freikorps Werdenfels

 

5. Der Weg zum 9. November 1923

Und damit schließt sich der Kreis auf geradezu tragische Weise: Der wilhelminische Militarismus des Ersten Weltkrieges konnte durch den 9. November 1918 nur vorübergehend eingedämmt werden. Er kulminierte und endete im völkischen Antisozialismus derer, die am 9. November 1923 alles daran setzten, Freistaat und Republik auf dem Wege der Gewalt zu beseitigen. 

Manches Mitglied der Volkswehr Garmisch und des Freikorps Werden­fels hatte 1923 schon die Raute mit dem Hakenkreuz getauscht. Ein umfänglicher „Aufruf“ vom 23. April 1919 im Werdenfelser An­zeiger, unterzeichnet von einem anonymen „alten Frontsoldaten“, impfte den Hass auf den neuen Staat und seine Verfassung in die Adern seiner Garmisch-Partenkirchner Leser. Republik und Demokratie - das bedeutet „landfremde Kommunisten, landfremde Gesellen, rote Flut, gewisse volksfremde Elemente, die Volksfremden, volksfremde Asiaten“. -  Da ist sie, die Sprache derer, für die auch in Garmisch-Partenkirchen der Weg vom 9. November 1923 zum 9. November 1938 zwingend in der Logik ihrer Politik lag.


Alois Schwarzmüller - Garmisch-Partenkirchen 1993 / Alle Rechte vorbehalten
Vortrag am 7. November 1993 bei der Gedenkveranstaltung des SPD-Kreisverbandes Garmisch-Partenkirchen „75 Jahre Freistaat Bayern“

Weiterführende Literatur:
Josef Ostler, Revolutionszeit 1918/19 im Bezirk Garmisch - Beiträge zur Geschichte des Landkreises Garmisch-Partenkirchen - Band 4 - Herausgegeben vom Verein für Geschichte, Kunst- und Kulturgeschichte im Landkreis Garmisch-Partenkirchen (Garmisch-Partenkirchen 1996)

 

 

© Alois Schwarzmüller 2006