Die Kreisleiter der NSDAP in Garmisch-Partenkirchen
 – „Politische Frontoffiziere der Bewegung“

 

 

 

 

 

Hans Hartmann - „Aufopfernde Tätigkeit im Dienst der Bewegung“

 

Waffensuche – Schutzhaft – Konzentrationslager

Viele weitere Feldzüge des Sonderkommissars Hartmann galten vermeintlichen oder tatsächlichen Gegnern der Nationalsozialisten. Im März 1933 musste der Rechtsstaat der Weimarer Republik endgültig dem Willkürstaat der NSDAP weichen, die Verordnung des Reichspräsidenten vom 28. Februar 1933 „zum Schutz von Volk und Staat“ war dabei sehr hilfreich. Hartmann konnte unter diesen Bedingungen mit SA-„Hilfspolizisten“ seine Aktionen durchführen. Sogar ein echter Polizist war dabei. Die Tätigkeit des Gen­darmen, so beobachtete Bezirksamtmann von Merz, erstreckte sich aber „mehr auf passive Assistenz als auf Leitung.“[1]. Fall für Fall war das ein bedrohliches Aufgebot und ein beängstigender Vorgang für die, die sich ihm beugen mussten.

Die erste Aktion richtete sich, „unter Einbeziehung eines größeren Aufgebots von SA- und Stahlhelm­leuten“, gegen örtliche Funktionäre der Kommunistischen Partei. Waffen wurden nicht gefunden.[2] Tags darauf wurde der Reintaler Hof, damals Erholungsheim des Deutschen Metallarbeiterverbandes, durchsucht – „mit SA- und Stahlhelmleuten“[3]. Waffen wurden nicht gefunden. Am dritten Tag dieser Operation wurde in der Wohnung des Eisenbahnsekretärs Fritz Wandel „im Beisein von SA-Leuten, darunter auch Herr Sonderkommissar und Kreisleiter Hartmann“[4], nach Waffen gesucht. Gefunden wurde nichts. Auch das Hotel Eibsee wurde „im Auftrag des Herrn Bezirksleiters Hartmann“[5] durch­wühlt.[6] Keine Funde. Von weiteren Hausdurchsuchungen waren unter anderem Le­onhard Kraus, Michael Lichtenstern, Leo Schmack, der Reichsbannerführer Lorenz Hollmayer und der Glasermeister Johann Maurer betroffen.

In den letzten Märztagen veranlasste Hartmann, auf Betreiben des mächtigen Münchner NS-Stadtrats Christian Weber, die Durchsuchung der Baron von Finkschen Jagdhütte im Isartal und war dabei per­sönlich anwesend. Mit dieser Aktion stieß er aber auf Widerspruch des Münchner Gauleiters und In­nenministers Adolf Wagner. Den hatte Bezirksamtmann von Merz davon unterrichtet, dass es bei die­ser Angelegenheit nur um eine „Reibungsfläche zwischen den beiden Haupt-Jagdherren der dortigen Gegend“[7] ging, bei der sich Hartmann auf We­bers Seite geschlagen hatte. Der Garmisch-Partenkirch­ner Sonderbeauftragte hatte wohl nicht damit gerechnet, dass Finks Komplizen in der NS-Hierarchie noch einflussreicher waren als Weber.

Die demonstrative Suche nach Waffen war eine demonstrative Drohgebärde des Sonderbeauftragten Hartmann. Kein einziges Waffenlager wurde ausgehoben. Vielleicht hielt Hartmann deshalb nach anderen Möglichkeiten Ausschau, den neuen Staat und seine Macht zu dokumentieren. Das Erholungsheim der Reichseisenbahner in Ham­mersbach war so ein Demonstrationsobjekt. Es befand sich seit vier Jahren im Besitz der Eisenbah­nergewerkschaft und war ein Dorn im Auge der lokalen NSDAP. Hartmann ließ das Haus am 23. März 1933 schließen.[8] Bei der „Einziehung volks- und staatsfeindlichen Eigentums“ des SPD-nahen Rad­fahrervereins „Solidarität“ ließ es sich Hartmann nicht nehmen, die Vereinsfahne „nebst Fahnen­stange“[9] selbst zu beschlagnahmen; die Saalrä­der der „Solidarität“ wurden als „staatsfeindlich“ konfis­ziert.

Das alles war nur ein Vorspiel für eine weit wirkungsvollere Variante der Diktatur, Menschen einzu­schüchtern und mundtot zu machen. Das Instrument hieß „Schutzhaft“. Ein perfider Begriff – niemand wurde geschützt, aber ungezählte politische, rassische oder religiöse Dissidenten wurden gleich in den ersten Monaten der Diktatur willkürlich verhaftet, ohne Gerichtsurteil eingesperrt oder in Konzent­rati­onslager verbracht. Hilfsmittel war wieder die präsidiale Verordnung vom 28. Februar 1933 – ein Frei­brief für SA und SS, für Ge­stapo und Denunzianten gegen Menschen, die dem Regime sus­pekt wa­ren.

Hans Hartmann spielte auf diesem Instrument recht virtuos. Auch zur Zufrie­denheit seiner Auf­traggeber: Schon Mitte Oktober 1933 wurde ihm als Kreisleiter und Sonder­beauftragten der Obersten SA-Führung die Goldene Hitler-Nadel mit Ehrendiplom verliehen – „für seine aufopfernde Tätigkeit im Dienste der Bewegung.“[10]

Das Schutzhaftprinzip war höchst simpel: Der Zugriff kam von der „Parteiarmee“, die rechtliche Absi­cherung von der Staatsseite. Ein SA-Mann, ein beliebiger Denunziant oder Hartmann selbst nahmen Anstoß und erwirkten beim Bezirksamt einen Schutzhaftbefehl – meist mit „Volkszorn“ und Gefahr von Selbstjustiz aus SA-Kreisen begründet -, das Bezirksamt deckte alles mit seiner Unterschrift.

Die Liste derer, die in Garmisch-Partenkirchen und im Bezirk in dieses Räderwerk gerieten, ist end­los.[11] Die folgenden exemplarischen Fälle zeigen, wie Hartmann als Kreisleiter und SA-Sonderkommis­sar von der Schutzhaft als Werkzeug der Diktatur Gebrauch machte:

 

20.05.1933 - Joseph Mayr, Oberau - Malermeister, SPD

24.06.1933 - Anton Lutz, Partenkirchen - Buchhändler (Bahnhofsbuchhandlung), BVP

09.10.1933 - Anton Daisenberger, Unterammergau - Landwirt

28.03.1934 - Josef Löcherer, Oberau

03.05.1934 - Martin Neuner, Oberau -  Fabrikarbeiter, BVP

01.06.1934 - Anton Zerhoch, Partenkirchen - Sägewerksgeschäftsführer, BVP, Bayernwacht

28.06.1934 - Franz Wohlmuth, Garmisch - Hausmeister (Hotel Sonnenbichl)

04.08.1935 - Michael Geiger, Eschenlohe - Landwirt

30.11.1935 - Josef Zwerger, Partenkirchen - Bautechniker

02.01.1936 - Jakob und Leonie Liebenstein, Partenkirchen - Schuhhändler

12.02.1936 - Maria Lechner, Garmisch

30.06.1936 - Max Braun, Partenkirchen - Holzarbeiter

01.07.1936 - Andreas Sailer, Garmisch - Kaufmann, BVP

24.11.1936 - Rosa Diepold, Garmisch - Zeugin Jehovas

28.11.1936 - Therese Eitzenberger, Garmisch

 


[1] StA München LRA 198951 Verbot marxistischer Organisationen 1933 / Bezirksamt Garmisch 31.02.1933

[2] MA Garmisch-Partenkirchen – Bericht der Gendarmeriestation Partenkirchen 28.03.1933

[3] ebd.

[4] StA München LRA 198951 – Verbot marxistischer Organisationen 1933

[5] ebd. Gendarmeriestation Obergrainau 27.03.1933

[6] ebd.

[7] StA München LRA 198951 – Verbot marxistischer Organisationen / Bezirksamt Garmisch 31.02.1933

[8] ebd. Bezirksamt Garmisch 04.04.1933

[9] MA Garmisch-Partenkirchen – AltReg Garmisch I/3/21 Einziehung volks- und staatsfeindlichen Eigentums

[10] Garmisch-Partenkirchner Tagblatt 19.10.1933

[11] StA München LRA 199036-199045 – Schutzhaft – Nach der handschriftlich erstellten „Liste über die in Schutzhaft genommenen Personen“ des Bezirksamts Garmisch wurden vom 11.03.1933 bis zum 06.12.1934 132 Personen in Schutzhaft genommen, davon 28 mit der Bemerkung „Dachau“, 6 mit der Bemerkung „nach Weilheim und dann nach Dachau“ und 1 mit der Bemerkung „von SS nach München verbracht“ – davon aus Garmisch 39, aus Partenkirchen 41, aus Oberammergau 4, aus Unterammergau 5, aus Hammersbach 2, aus Untergrainau 2, aus Oberau 5, aus Ohlstadt 2, aus Ettal 1, aus Mittenwald 9, aus Altenau 2, aus Kohlgrub 2, aus Farchant 1, aus München u.a. 10 – Vom 04.11.1935 bis zum 18.01.1938 wurden noch einmal 44 Personen in Schutzhaft genommen.

 

 

© Alois Schwarzmüller 2012