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Die Kreisleiter der NSDAP in
Garmisch-Partenkirchen |
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Hans Hartmann - „Aufopfernde Tätigkeit im Dienst der Bewegung“
01.07.1936 - Andreas Sailer, geb. 1899, Kaufmann in Garmisch, Bahnhofstr. 79, vor 1933 Mitglied der BVP und „einer ihrer prominentesten Vertreter in Garmisch-Partenkirchen“. Gegen ihn wurde am 1. Juli 1936 Schutzhaftbefehl beantragt einschließlich „Verbringung in das Konzentrationslager Dachau“. Hartmann begründete seinen Antrag dem Bezirksamt gegenüber sehr ausführlich: Sailer sei „seit Jahren als schärfster Gegner der Bewegung“ bekannt. Ende Juni habe er sich im Garmischer „Bräustüberl“ in „abfälliger Art“ über Behördenvorsteher und politische Leiter der NSDAP geäußert, „in einem öffentlichen Lokal in Gegenwart von fremden Kurgästen.“ 1935 habe Sailer „Erzeugnisse des jüdischen Unternehmens Wallach ausgestellt“, die Auslagen seines Kaufhauses seien freilich von der „Bevölkerung verschmiert und überklebt (und) mit den entsprechenden Hinweisen auf seine Judenfreundlichkeit“ versehen worden. Hartmanns Schlussfolgerung: „Man kann Sailer ruhig als Staatsfeind bezeichnen.“ Zum Schluss seines Schreibens verwies er noch auf die „Erregung in den Kreisen der Partei und SA“, die so groß sei, „dass tatsächlich die schlimmsten Befürchtungen für die persönliche Sicherheit des Sailer gehegt werden müssen.“ Deshalb halte er die Inschutzhaftnahme für unbedingt notwendig und glaube, „dass eine Beruhigung im Ort erst dann eintritt, wenn Sailer auf längere Zeit in das Konzentrationslager Dachau verbracht wird.“ Kreisleiter und Bezirksamtmann arbeiteten Hand in Hand. Wiesend übernahm den Antrag Hartmanns auf Schutzhaft und unterstützte „die sofortige Einlieferung in das KL Dachau.“ Um etwaige Folgen einer Inhaftierung Sailers wollte er sich sofort kümmern: „Soweit Sailer die Kündigung seiner Angestellten durchführen sollte, ist deren sofortige Unterbringung in anderen Geschäften durch die Kreisleitung der NSDAP im Benehmen mit der DAF und der Einzelhandelsorganisation sichergestellt.“ Am 3. Juli hielt Wiesend die weitere Entwicklung des Falles Sailer in einer „Vormerkung“ fest: „Kreisleiter Hartmann teilte heute fernmündlich mit, dass die Inschutzhaftnahme des Sailer in der Bevölkerung von Garmisch-Partenkirchen nach den gemachten Beobachtungen Freude und Zustimmung ausgelöst habe. Gleichzeitig werde allgemein erwartet, dass der Genannte längere Zeit in das KL Dachau verbracht wird. Dies sei daraus zu ersehen, dass in der Nacht vom 2./3.7. die Schaufenster des Kaufhauses mit Papierstreifen: „Nach Dachau“ überklebt worden seien.“ Wiesends Notizen schließen mit der Drohung Hartmanns, „in den Kreisen der SA usw. würde eine Entlassung kein Verständnis finden; in diesem Falle seien Weiterungen zu befürchten.“ Am 4. Juli 1936 telefonierte Wiesend erneut mit Hartmann. Der setzte ihn von dem Gerücht in Kenntnis, „dass Sailer aus der Schutzhaft entlassen worden sei.“ Hartmann drohte jetzt für den Fall, dass Sailer tatsächlich entlassen werde, „gegen Sailer tätlich vor(zu)gehen“. Mit Sailer, so Hartmann, könne jetzt „das allerärgste vorkommen“, denn „in der Bevölkerung (sei) eine derartige Erregung, die sich bei einer eventuellen Entlassung natürlich steigern würde… Die Gesamtbevölkerung erwarte, dass Sailer nach Dachau kommt.“ Hartmann schürte die Stimmung gegen Sailer. Mit Zeugenaussagen, durch die die Äußerungen Sailers am 29. Juli 1936 im „Bräustüberl“ zu belegen gewesen wären, tat sich die Gendarmeriehauptstation Garmisch schwer. Am 13. Juli berichtete sie dem Bezirksamt vom Ergebnis ihrer Befragung: Metzgermeister Josef Ostler, Klammstr. 16, konnte „nicht sagen, dass sich Sailer gegen den Nationalsozialismus bekannte.“ Schuhmachermeister Martin Streitel, Loisachstraße 52, erklärte, er müsste „die Unwahrheit sagen“, wenn er „angeben wollte, dass sich Sailer gegen den heutigen Staat bekannt habe.“ Heinrich Illing, Installationsgeschäftsinhaber, Fürstenstraße 12, sagte, in seiner Gegenwart habe sich Sailer „immer vorsichtig benommen. Ich habe irgendwelche abfällige Äußerungen von Sailer noch nicht gehört.“ 2. Bürgermeister Josef Thomma, Höllentalstr. 21, gab zu Protokoll: „Eine ausgesprochene Beleidigung auf mich persönlich ist mir nicht bekannt.“ Sailer war jetzt seit mehr als zwei Wochen in Schutzhaft im Amtsgerichtsgefängnis Garmisch, da eröffnete das Bezirksamt Garmisch am 16. Juli 1936 mit einer Strafanzeige beim Landgericht München II „wegen Zuwiderhandlung gegen das Heimtückegesetz“ ein weiteres Verfahren gegen ihn. Das Sondergericht München ordnete an, Sailer sei „bis zum Abschluss des Strafverfahrens als Schutzhaftgefangener im dortigen Amtsgerichtsgefängnis zu verwahren.“ Die Bayerische Politische Polizei (Gestapo) erwartete vom Bezirksamt Garmisch nach Abschluss des Verfahrens „zu dem Antrag auf Unterbringung in das Konzentrationslager Dachau erneut berichtlich Stellung zu nehmen.“ Mitte August, Sailer war jetzt seit sechs Wochen im Gefängnis, beantragte Sailers Ehefrau Therese die Entlassung ihres Mannes aus der Schutzhaft. Der Antrag wurde abgelehnt. Am 19. August 1936 ließ die Bayerische Politische Polizei das Bezirksamt Garmisch wissen, dass „das Material zur Einschaffung nach Dachau“ nicht ausreiche. Die Zeugenaussagen seien teilweise nicht genau, teilweise nicht ganz glaubwürdig, persönliche und geschäftliche Differenzen scheinen eine Rolle zu spielen. Eine Ohrfeige für Hartmann und Wiesend. Eine Woche später wurde Sailer im Garmischer Gefängnis von Bezirksarzt Dr. Zick untersucht. Er stellte den „Zustand einer seelischen Gemütsverstimmung fest“ und hielt die „Haftfähigkeit für nicht mehr gegeben.“ Am 27. August 1936 um 18.20 Uhr wurde Sailer mit der Auflage täglicher Meldepflicht bei der Polizei aus der Schutzhaft entlassen. Hartmann reagierte mit Zynismus: „Wenn nunmehr an der Haftfähigkeit des Andreas Sailer gezweifelt wird, so ist festzustellen, dass bei rechtzeitiger Verbringung in das Konzentrationslager Dachau durch den ständigen Aufenthalt in frischer Luft und die gleichmäßige körperliche Bewegung der Gesundheitszustand des Andreas Sailer bestimmt sehr gut wäre.“[1] Bild: Andreas Sailer (Staatsarchiv München - LRA 199043)
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© Alois Schwarzmüller 2012 |
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