"Im Großen und Ganzen willig und brauchbar"
Zwangsarbeit in Garmisch-Partenkirchen 1940-1945

 

 

 

Die Lage ändert sich

Zu spürbarer Unruhe unter Gefangenen und Zwangsarbeitern kam es erstmals nach dem Einfall der deutschen Wehrmacht in die Sowjetunion im Juni 1941. Die Polizei beobachtete in dieser Zeit bei polnischen Arbeitern in Garmisch-Partenkirchen „allgemeine Unzufriedenheit und Widerspens­tig­keit.“[1] Die Polen hegten, so der Landrat, „Hoffnungen für ihre politische Freiheit“.

 

„… und Adolf Hitler an dem Galgen hängt“

Ein gutes Jahr später, im September 1942 wurde, der französische „Zivilarbeiter“ Emil Deny verhaftet. Er war auf der Zugspitze im Hotel Schneefernerhaus beschäftigt und hatte eine Parodie auf einen deutschen Schlager gedichtet und wohl auch zu Gehör gebracht. Der Text lautete:

„Wir werden deutsche Städte bombardieren,
keine Angst, keine Angst, Roosevelt
wir werden deutsche Schiffe bombardieren,
keine Angst, keine Angst, Roosevelt
Und wenn die ganze Achse brennt
und Adolf Hitler an dem Galgen hängt,
das kann doch Mister Churchill nicht erschüttern.“
[2]

Es war eine holprige, aber für die deutsche Siegesgewissheit gefährliche Parodie des seit 1939 be­liebten Schlagers „Das kann doch einen See­mann nicht erschüttern“ von Bruno Balz, frisch ge­schmettert von Heinz Rühmann in dem Spielfilm „Paradies der Junggesellen“. Aus dem Filmliedchen machten die NS-Propagandisten seit 1940 einen Durchhalteschlager. Emil Deny hatte in seiner Ver­sion mit Hoffnungsversen gekontert. Der Vorwurf „staatsfeindlicher Bestrebungen“ führte zu seiner Überstellung an die Gestapo nach München.

Ein Jahr später, in den Tagen der „Schlacht von Stalingrad“, spitzte sich die Lage zu. „Im Landkreis zahlreich eingesetzte ausländische Arbeitskräfte bedürfen der ständigen scharfen polizeilichen Über­wachung“, forderte Landrat Wiesend. Sie seien „hin­sichtlich Führung und Verhalten in Schach zu hal­ten“[3] – wachsende Angst vor schwer kontrollierbarer Gä­rung in den Köp­fen und in den Quartieren der Zwangsarbeiter ging um.

 

 

Links: Pflichtenkatalog (1940) für die polnischen Arbeitkräfte - und Drohungen mit dem Arbeitserziehungslager für alle, die diese Anordnungen nicht erfüllen.

Oben: Anweisung von Bürgermeister Jakob Scheck an die örtlichen Polizeidienststellen (1942), gegen polnische Zivilarbeiter "gegebenenfalls"  bei Verletzung ihrer Pflichten "scharf" vorzugehen. (Marktarchiv Garmisch-Partenkirchen)

 

 

 

 

 

Der NS-Kreisleiter appelliert an die „Volksgenossen“

Im Juni 1943 wurde der Ton noch schärfer. Heinrich Schiede, Nachfolger von NS-Kreisleiter Jakob Scheck, wandte sich in einem Propagandaaufruf an die „Betriebsführer (und) Haushaltsvorstände, die Ausländer beschäftigen“. Darin hieß es:

„Im Kreisgebiet sind Kriegsgefangene und ausländische Arbeitskräfte zur Arbeitsverrichtung einge­setzt. Im Großen und Ganzen sind sie willig und brauchbar. Stellenweise ist jedoch zu beobachten, dass ihnen gegenüber von Seiten der deutschen Volksgenossen nicht der nötige Abstand gewahrt wird und es oft am richtigen Auftreten den Ausländern gegenüber fehlt. Die Partei wird in vermehrtem Maße hier Erziehungsarbeit leisten. Es ist jedoch auch notwendig, dass sich die Betriebsführer und all die, die Gefangene und ausländische Arbeitskräfte beschäftigen, ihre Betriebsangehörigen wiederholt darauf aufmerksam machen, dass wir es dem Ansehen unseres Reiches und unserer Ehre schuldig sind, Gefangene und ausländische Arbeiter nicht als gleichwertig, sondern nur als Hilfskräfte zu wer­ten. Einem herausfordernden Auftreten ist in gebührender Form entgegenzutreten. Von Gefangenen darf in keiner Weise Arbeitsdrückerei geduldet werden. Wer seine Arbeit vollwertig erfüllt, der soll da­für sein Essen und seinen Lohn haben, darüber hinaus sind wir zu gar nichts diesen Leuten gegen­über verpflichtet. Es mehren sich die Fälle von Morden ausländischer Arbeitskräfte an deutschen Volksgenossen. Das nur deshalb, weil wir ihnen gegenüber zu flau und zu wenig wachsam sind. Aus­länder sind in jeder Weise zu überwachen und keinesfalls kann geduldet werden, dass den Auslän­dern Spielraum gegeben wird, den sie dazu nützen, sich Dinge anzumaßen, die nur Volksgenossen zustehen. Es ist in jedem Falle ein Eintreffen ausländischer Arbeiter um 20 Uhr in den Unterkünften und Quartieren zu verlangen. Gebt in den Betrieben darauf Obacht, dass jede Werkspionage unmög­lich ist. Wir haben nicht zu vergessen, dass die Gefangenen vordem mit der Waffe in der Hand unse­ren Soldaten, als Feinde gegenüberstanden. Betriebsführer und Volksgenossen, die sich eines un­würdigen Verhaltens gegenüber Ausländern zuschulden kommen lassen, wird die Kreisleitung zur Verantwortung ziehen.“[4]

Das waren massive Drohungen gegenüber den Kriegsgefangenen, „Ost- und Zivilarbeitern“, aber auch gegenüber Garmisch-Partenkirchner „Arbeitgebern“, die nicht bereit waren, in ihren Arbeitskräf­ten nur das von der NS-Propaganda gezeichnete Bild des „Untermenschen“ und Feindes zu sehen, sondern ihnen als Menschen gegenübertraten.

Im September 1943 wiederholten sich die Mahnungen des NS-Apparates. „Ausländischen Arbeitskräf­ten“, hieß es, müsse „von polizeilicher Seite größte Aufmerksamkeit geschenkt“[5] werden. Grund zur Sorge sah die Gendarmerie Garmisch-Partenkirchen in einem veränderten Verhalten der Bevölke­rung: „Vielfach werden aus Angst und Humanität Ausschreitungen und Verfehlungen (von Ausländern) stillschweigend hingenommen.“[6] Die Ablehnung der aus dem „Osten“ hergeführten Zwangsarbeiter, die stets gepredigte Distanz zu den „Fremdvölkischen“ schien geringer zu werden. Mancher Einheimi­sche mag sein Herz entdeckt, angesichts der Kriegslage oder aus Menschlichkeit vorsichtige Annähe­rung praktiziert zu haben.

Die Angst kam auch aus der Landhauptstadt: „Streng vertraulich“ wurden alle Gendarmerie-Posten des Landkreises Garmisch-Partenkirchen auf „Maßnahmen zur Erfassung aller ausländischen Arbeiter und Kriegsgefangenen“ bei alliierten Luftangriffen auf München vorbereitet. Gegen ausländische Ar­beiter, die dabei die Gelegenheit zur Flucht ergreifen würden, sei „scharf durchzugreifen.“[7]

 

Erschießung zweier polnischer Arbeiter

Am Jahresende 1943 wurde gnadenlose Härte in einem andern Fall praktiziert. Zwei polnische Arbei­ter wurden öffentlich hingerichtet - der eine wurde des Einbruchdiebstahls beschuldigt, der andere als „aufsässig und faul“ beschimpft und angeklagt, „eine deut­sche Frau misshandelt und gewürgt“ zu ha­ben. Ohne Gerichtsverfahren wurde die Todesstrafe vollstreckt.

Im Bericht des Landrates heißt es dazu: „Am 3.12.43 9.30 Uhr fand bei Mittenwald die Exekution von 2 Polen statt. Die beiden Polen waren vom Chef der Sicherheitspolizei zum Tod verurteilt.“[8] Die Hinrich­tung wurde, auf Anordnung der Geheimen Staatspolizei München, vor den Augen von 60 im Kreisgebiet beschäftigten polnischen Arbeitern vollzogen. Sie wurden „an die Richtstätte beordert, um ihnen ein abschreckendes Beispiel zu zeigen.“[9] Von einem Dolmet­scher wurden ihnen die Gründe der Hinrich­tung mitgeteilt. Der Bericht schließt mit der zynischen Bemerkung, die polnischen Zwangs­arbeiter „verhielten sich vollständig ruhig und man hatte den Eindruck, dass sie die Not­wendigkeit der Todesstrafe durchaus einsahen“.[10]

Ende September 1944 wurden die Spannungen zwischen zwangsverpflichteten ausländischen Arbei­tern und ihren deutschen Herren immer ernsthafter. Die Polizei klagte darüber, dass „einige der im Kreis­gebiet eingesetzten zahlreichen ausländischen Arbeitskräfte glauben Morgenluft zu wittern.“[11] Sie wür­den „frecher und anmaßender“. Der Beweis: Ein Holländer, der beim Hartsteinwerk II in Eschen­lohe eingesetzt war, hatte sich „die Frechheit erlaubt, einem ihn zur Rede stellenden deutschen Ar­beiter zu erwidern, dass die Deutschen in wenigen Wochen nach Sibirien kommen werden, während für sie – die Holländer – die Freiheit und Heimkehr kommen werde.“[12] Der Holländer, der unter militäri­scher Aufsicht stand, wurde seiner Dienststelle gemeldet.

Wachsendes Selbstbewusstsein zwangsverpflichteter Arbeiter ging Hand in Hand mit Hilfslosigkeit und fruchtlosen Drohungen der Behörden. Ein Beispiel dafür ist ein ergebnisloser Wutanfall des letz­ten NS-Kreis­leiters Heinrich Schiede. Er führte Anfang März 1945 bei der Schutzpolizei Garmisch-Partenkirchen darüber Beschwerde, dass französische und ukrainische Arbeiterinnen die Bahnhofsgaststätte besucht hatten und dabei provozierend aufgetreten waren. Seine Anweisung, die Gaststätte sei „sofort polizeilich zu schließen“,[13] war nur noch eine hilflose Geste der höchsten lokalen NS-Autori­tät. Zwangsarbeiter begannen den nationalsozialistischen „Respektspersonen“ auf dem Kopf herum­zutanzen.

Der Krieg endete in Garmisch-Partenkirchen am 29. April 1945. Es war ein Sonntag.

 

[1] StA München - LRA 61618 Monatsberichte 1941 / 01.08.1941

[2] StA München - LRA 61619 - Monatsberichte 1942-1944 / 25.09.1942 Gendarmerie Garmisch-Partenkirchen

[3] StA München - LRA 61619 - Monatsberichte 1942-1944 / 28.01.1943 Gendarmerie Garmisch-Partenkirchen

[4] MA Garmisch-Partenkirchen - Aktennummer 932-Baden, Badeanstalten, Badeplätze / 02.06.1943

[5] StA München - LRA 61619 - Monatsberichte 1942-1944 / 27.09.1943 Gendarmerie Garmisch-Partenkirchen

[6] dto.

[7] StA München - LRA 199028 – Kriegsgefangene 1940-1945 / 06.09.1943

[8] StA München - LRA 61619 - Monatsberichte 1942-1944 / 28.12.1943 Gendarmerie Garmisch-Partenkirchen

[9] dto.

[10] dto.

[11] StA München - LRA 61619 - Monatsberichte 1942-1944 / 29.09.1944 - Gendarmerie Garmisch-Partenkirchen

[12] StA München - LRA 61619 - Monatsberichte 1942-1944 / 29.09.1944 - Gendarmerie Garmisch-Partenkirchen

[13] MA Garmisch-Partenkirchen - Aktennummer 1647-Fremdenpolizei 1942 bis 1945

 

 

© Alois Schwarzmüller 2012