"Im Großen und Ganzen willig und brauchbar"
Zwangsarbeit in Garmisch-Partenkirchen 1940-1945

 

 

 

Lager Schlachthof

Das einzige bekannt gewordene feste Lager für Zwangsarbeiter in Garmisch-Partenkir­chen stand auf den Wie­sen an der Ecke Martinswinkelstraße/Reschbergweg entlang der Bahnlinie München-Gar­misch-Par­tenkirchen in un­mittelbarer Nähe des Kreisschlachthofes. Als „Reichsbahnla­ger am Schlachthof“ war es bekannt, hatte aber mit dem Schlachthof selbst nichts zu tun. Die Holzbaracken wurden ver­mutlich vom Lager des Reichsarbeitsdienstes zur Vorbereitung und Begleitung der Olympi­schen Winterspiele 1936 übernommen.

Das Lager wurde von den Behörden mit der Nummer 4919.09.7 und der Anschrift Reichsbahnlager am Schlachthof, Bahnmeisterei Garmisch-Partenkirchen, geführt. Parteiamtlich trug es die Be­zeich­nung „Lager DAF Kreiswaltung Garmisch-Partenkirchen“. Für die Lagerführung war die Bahn­meisterei Garmisch-Partenkirchen verantwortlich. [1]

Der „Monatsbericht der Gauwaltung München/Oberbayern der Deutschen Arbeitsfront über die Bele­gung und Ausstattung von Gemeinschaftslagern für Arbeitskräfte der gewerblichen Wirtschaft“ vom 25. September 1944 gibt Auskunft über Herkunft und Anzahl der Arbeiter.[2]

Zu dieser Zeit war das Lager mit ausländischen Arbeitskräften der Deutschen Reichsbahn, der Firma Stangl und der Firma Wolff belegt. Die Normalbelegung war für 165 Personen vorgesehen.

Im September 1944 bestand die Lagerbelegschaft aus 70 Männern, 49 Frauen und 45 Kindern im Alter zwischen einem halben und 14 Jahren. 30 Männer stammten aus dem „Protektorat“, 27 „Ostarbeiter“ aus der Ukraine, einer aus der Slowakei, einer aus Polen/Bezirk Bialystok, 9 aus Deutschland. 48 „Ostarbeiterinnen“ kamen aus der Ukraine, eine Arbeiterin aus Deutschland. Zehn Männer und zwölf Frauen waren zu diesem Zeitpunkt erkrankt.[3]

Ob das „Lager Schlachthof“ umzäunt war und wie die Arbeiterinnen und Arbeiter bewacht wurden, ist nicht bekannt.

 

 

Reichsbahnlager am Schlachthof Garmisch-Partenkirchen: Deckblatt mit Statistik für den September 1944, Angaben über Familien und Kinder und Unterschrift des mit der Lagerführung beauftragten Bahnmeisters (Marktarchiv Garmisch-Partenkirchen)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zwangsarbeit im Kreide- und Kalksandsteinwerk Kaltenbrunn

Einer der wenigen Industriebetriebe in Garmisch-Partenkirchen, der von der NS-Wirtschaftsführung das Etikett „Wehrbetrieb“ erhalten hatte, waren die Kreide- und Kalksandsteinwerke in Kaltenbrunn.

Ihr Besitzer Emil Goldmann, 1881 im schlesischen Kreis Gleiwitz geboren, musste sich nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten zunächst einmal gegen den Verdacht wehren, „jüdischer Mar­xist“ zu sein. Der Name Goldmann reichte dafür aus. Zunächst wurde ihm mit Stornierung aller Auf­träge gedroht. Dann wollte die NS-Kreisleitung München West im Oktober 1933 wissen, „ob der Inha­ber des Kalksandsteinwerkes Kaltenbrunn, Emil Goldmann, Jude ist.“[4] Der Wamberger NS-Bürger-meis­ter Andreas Schnitzer wiegelt mit dem Hinweis ab, der Gewerbebe­trieb des Goldmann sei „nicht marxistisch aufgebaut“. Goldmann selbst begab sich auf die Suche nach „arischen“ Vorfahren und konnte bald belegen, dass er „einen Stammbaum bis etwa 1500“ besaß, „wo meine Vorfahren in ei­nem Ort namens Goldmannsdorf… ansässig … und katholisch waren.“ Das genügte für einige Zeit. Der Wamberger Bürgermeister bestätigte im August 1938 der IHK München erneut, dass bei Gold­mann „kein jüdischer Einfluss festzustellen“ sei[5]. Das hinderte Schnitzer freilich nicht daran, Gold­mann öffentlich „Judenbenehmen“ vorzuwerfen.[6]

Trotz dieser Querelen, die Goldmann vielleicht schon 1934 mit der Weigerung provoziert hatte, der NSV beizutreten, erhielten die Kreide- und Kalksandsteinwerke Kaltenbrunn lohnende Staats-und Wehrmachtsaufträge. Sie lieferten Kreide für Tarnfarben, für Glaserkitt und für Heraklith-Platten zum Bau von Frontbaracken und Unterständen, – eine sichere Einnahmequelle bei immer heftiger werden­den Luftangriffen auf das Gebiet des Deutschen Reiches.[7]

Schon vor Kriegsbeginn waren für Goldmann ausländische Arbeitskräfte am Werk – vornehmlich aus dem sogenannten „Protektorat“. Im August 1939 arbeiteten Wenzl Baumrukr (aus Prag), Karl Bouska (Smichov), Wenzel Rybacek (Maly Bo), Josef Kolafa (Pelky), Frantisek Drab (Rabobytecke) und Fran­ticek Voracek (Blaha) für Goldmann.

Auf die tschechischen „Zivilarbeiter“ sollten, wäre es nach Goldmann gegangen, im Februar 1940 polnische Kriegsgefangene folgen. In einem Brief an Landrat Wiesend klagte er darüber, dass er den Betrieb mit deutschen Arbeitern nicht mehr aufrechterhalten könne. Er habe sich „deshalb entschlos­sen, polnische Kriegsgefangene hier zu beschäftigen“. Die Behörde bat er um Unterstützung bei die­sen Bemühungen. Angefordert wurden vom Kreide- und Kalksandsteinwerk Kaltenbrunn 20 Gefan­gene und ein Unteroffizier mit zwei Soldaten als Wachpersonal.[8]

Im April 1942 wurden dem Kaltenbrunner Betrieb vom Arbeitsamt Weilheim zur Erfüllung seiner „wehrwichtigen Ar­beiten“ zwanzig „Zivilrussen“[9] zugesichert. 56 Quadratmeter Gesamtwohnfläche wollten die Kreidewerke zur Verfü­gung stellen. Goldmann hielt die Wohnfläche von 2,69 qm für „jeden Zivilrussen“ für ausreichend. Selbst dem Land­rat war das zu wenig - er wollte auf dieser Fläche „nur 12 oder äußerstens 15 Mann“ genehmigen. Die Schlaf- und Wohnräume wurden vergittert, eine Tro­ckentoilette innerhalb der Vergitterung aufgestellt. „Die Waschgelegenheit ist benutzbar“, heißt es im Genehmigungsantrag, „so dass die erforderliche Reinigung hiermit gegeben ist.“[10] Drei Hilfspolizisten aus dem Kreis der festangestellten deutschen Werksarbeiter bewachten schließlich die 15 russischen Zwangsarbeiter. Ende Mai 1942 erhielt Goldmann die Bescheinigung, „dass das in Aussicht genom­mene Lager in Ordnung ist und den Wei­sungen des Reichsführers SS entspricht.“[11]

Zu den russischen Arbeitskräften im Kreide- und Kalksandsteinwerk Kaltenbrunn gehörten Iwan Gu­renenko (Kiew, 18 Jahre), Nikola Jaschnik (Kiew, 18), Michail Katzenko (Kiew, 26), Andrej Mischka (Kiew, 17), Alex Pawlow (Kiew, 23), Schohan Sazobay (Kiew, 22), Grytseko Tkatrzenko (Kiew, 18), Wasil Wysockyi (Kiew, 18) und die ganze Familie Tscherwonec aus Postawy: Wladimar (40), Helene (42), Wsewolod (14), Nona (12), Leonid (9).

Im Juli 1942 setzten sich Wasil Wysockyi und Iwan Iwunenko, Zwangsarbeiter aus dem Lager Kalten­brunn, Richtung München ab. Sie kamen nicht weit, in der Nähe von Uffing am Staffelsee wurden sie von der Polizei „aufgegriffen“ und wegen „Arbeitsvertragsbruch“ der Gestapo München überstellt.[12]

 

[1] MA Garmisch-Partenkirchen - Aktennummer 1647-Fremdenpolizei 1942 bis 1945 / 25.09.1944

[2] dto.

[3] dto.

[4] MA Garmisch-Partenkirchen - Aktennummer 1821-Gemeinde, Verfassung und Verwaltung / 4.10.1933

[5] MA Garmisch-Partenkirchen - Aktennummer 1821-Gemeinde, Verfassung und Verwaltung / 07.08.1938

[6] MA Garmisch-Partenkirchen - Aktennummer 1821-Gemeinde, Verfassung und Verwaltung / 17.10.1938

[7] StA München - LRA 199075 - Ausländische Arbeitnehmer 1938-1945 / 07.04.1942 Goldmann an Landrat Wiesend

[8] StA München - LRA 199025 – Kriegsgefangene 1941 / 14.02.1940 Schreiben Goldmann an Landrat Wiesend

[9] dto.

[10] StA München - LRA 199075 - Ausländische Arbeitnehmer 1938-1945 / 27.04.1942 Goldmann an Landrat Dr. Wiesend

[11] StA München - LRA 199075 - Ausländische Arbeitnehmer 1938-1945 / 27.05.1942 Landrat Dr. Wiesend

[12] StA München - LRA 199075 - Ausländische Arbeitnehmer 1938-1945 / 08.07.1942 Gendarmeriestation Garmisch-Partenkirchen

 

 

© Alois Schwarzmüller 2012