1944 - Der Professor, die Bäuerin und die Nazis: Albrecht Haushofer und Anna Zahler

 

 

 

 

         
  Die Eltern und Geschwister von Anna Maurer (Lipp von Wamberg) Ursula Affeldt und Anneliese Zahler, die Tochter von Anna und Josef Zahler - 1943  

Eltern und Kinder der Familie Maurer (Lipp) aus Wamberg

Die Bäuerin Anna Zahler (1943)

Ursula Affeldt und Annelies Zahler (1943)

Pölstererhof in Mittergraseck

 

Anna Zahler

Oder wie eine Bäuerin von Mittergraseck bei Partenkirchen und ein Professor für politische Geographie aus Berlin gemeinsam in das Räderwerk der nationalsozialistischen Diktatur geraten und daran zugrunde gegangen sind.

Beide kamen 1903 zur Welt – Albrecht Haushofer in München und Anna Maurer in Wamberg. Die weiteren Wege der zwei sind recht unterschiedlich verlaufen, so unterschiedlich, wie es das Leben eines arrivierten Berliner Bildungsbürgers mit Sommersitz in Partenkirchen und das einer Mittergrasecker Bergbäuerin eben mit sich bringt. Der eine links der Partnach immer wieder einmal in seinem Ferienhäusl, die andere rechts der Partnach auf ihrem Bauernhof. Beide hoch über der Partnach, aber nicht hoch genug über den politischen Ereignissen der nationalsozialistischen Diktatur.

1926 heiratete die Anna Maurer den Landwirt Josef Zahler vom Pölstererhof in Mittergraseck. Die harte Arbeit einer Bäuerin auf einem Bergbauernhof wurde zu ihrem Lebensinhalt. Der erste Schicksalsschlag überfiel sie 1943: Ihr Mann erlag im Oktober den Verletzungen, die er als junger Soldat aus dem Ersten Weltkrieg nach Hause gebracht hatte. Als wäre das noch nicht genug gewesen: Der Sohn Josef, den Hitlers Wehrmacht geholt hatte, fiel mit 21 Jahren 1944 in Frankreich. Zur Zeit der Vorgänge um Albrecht Haushofer galt er als vermisst. Mit der 16-jährigen Tochter und einem ukrainischen Mädchen, einer von vielen Zwangsarbeiterinnen, die bis ins Werdenfelser Land verschleppt worden waren, bewirtschaftete die Witwe den Hof so gut es ging.

Wann Anna Zahler und Albrecht Haushofer einander zum ersten Mal begegnet sind, darüber gibt es keine Nachrichten. Albrecht hielt sich als Junge im Sommer oft im Hause seiner Großeltern, in der Villa Mayer-Doss, dem heutigen Sitz des Richard-Strauss-Instituts, auf. Viel Zeit seines jungen Lebens verbrachte er in den Bergen rund um den Sommersitz seiner Eltern und Großeltern hoch über der Partnach in seiner geliebten „Partnachalm". Auf der anderen Seite des wilden Gebirgsflusses stand der Hof der Anna Zahler. Man kannte sich, konnte von einem Haus zum anderen sehen, man wusste voneinander.

Mittergraseck war nicht aus der Welt. Die politischen Ereignisse außerhalb des Werdenfelser Landes hat Albrecht Haushofer hin und wieder bei seinen Streifzügen durch seine zweite Heimat der Anna Zahler mitgebracht und er hat sie über seine Ansichten nicht im Unklaren gelassen. „Die beiden kannten sich und ihre politische Einstellung seit Jahren," heißt es 1953 in einem Bericht der Süddeutschen Zeitung. In den Jahren der Nachrichtensperre wurden auf dem Hof der Bäuerin „Feindsender" gehört, vor allem „der Engländer". Hitlers Rede nach dem Attentat am 20. Juli 1944, in der er seine Gegner als „verbrecherische Clique ehrgeiziger Offiziere" beleidigte, konnte auch in Mittergraseck gehört werden. Frau Zahler mochte ahnen, dass Albrecht Haushofer von den politischen Folgen dieses Attentats betroffen sein könnte.

Und als er dann am 20. September 1944 vor ihr stand, da hat sie ihn ohne zu zögern oder zu fragen aufgenommen. „Freili", war ihre knappe Antwort auf seine Frage, ob er sich bei ihr verstecken dürfe. Unrasiert und hungrig betrat der flüchtige Professor ihr Haus. Der Gestapo war er auf seinem Weg von Pähl nach Partenkirchen gerade noch einmal entkommen. Die Russin und der Vater erfuhren nichts von diesem gefährlichen und gefährdeten Gast, die Tochter wurde eingeweiht. Gemeinsam hörte man die Meldungen von BBC-London, hoffte auf einen schnellen Vormarsch der Alliierten Truppen und auf das Ende der Naziherrschaft in Deutschland. Die weitere Flucht in die Schweiz schien zu riskant. Die Zeit vertrieb er sich mit den Büchern, die es im Haus gab. Jeder Besucher auf dem Hof der Anna Zahler brachte Unruhe und Gefahr mit sich. Die Gestapo hatte die Suche nach ihm nicht aufgegeben. Zehn Wochen ging alles gut. Bis zum ersten Donnerstag im Dezember.

Am 7. Dezember 1944, Anna Zahler war mit ihrer ukrainischen Helferin unterwegs, die Tochter allein zuhause, durchsuchten drei Beamte der Berliner Gestapo zusammen mit zwei Polizisten aus Garmisch-Partenkirchen den Hof. Haushofer hatte sich auf dem Heuboden versteckt. Ein hell glänzender Manschettenknopf wurde ihm zum Verhängnis.

Nach der Festnahme wurde er gefesselt und zusammen mit Anna Zahler in die Polizeistation im Rathaus Garmisch-Partenkirchen gebracht. Professor Otto Hitzberger sah Haushofer im Rathausflur mit Handschellen und in polizeilicher Bewachung. Mit der Bahn wurden Anna Zahler und Albrecht Haushofer, begleitet von vier Gestapoleuten und zwei Polizisten, dann nach München transportiert. Beide kamen zunächst in das Wittelsbacher Palais, Hauptquartier und Foltergefängnis der Münchner Gestapo. Haushofer wurde zwei Tage später nach Berlin in das Gefängnis Lehrter Straße gebracht.

Anna Zahler wurde zermürbenden Verhören unterzogen, zwölf lange Stunden. Vier Monate blieb sie in diesem Gefängnis eingesperrt, erst Mitte April 1945 erhielt sie wegen einer schweren Infektion die Bewilligung zu einer vorübergehenden Beurlaubung. Ein schweres Herzleiden war die Folge der monatelangen Inhaftierung in einer Gestapozelle. Nach der Rückkehr aus diesem Alptraum musste sie ihren Bergbauernhof aufgeben, sie war körperlich und seelisch nicht mehr in der Lage, ihn weiter zu bewirtschaften.

Ein halbes Jahr nach dem Ende von Krieg und Diktatur erinnerte sich das Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen daran, dass Anna Zahler von der NS-Justiz der Schwarzschlachtung bezichtigt worden war - bei der Verhaftung von Albrecht Haushofer hatten die Gestapobeamten das Fleisch eines Schafes und eines Stücks Jungvieh entdeckt. Am 17. Oktober 1945 wurde deshalb Anklage erhoben. Vergeblich wies die Angeklagte darauf hin, dass sie mit dem Fleisch keinen Schwarzhandel betrieben, sondern aus der Not heraus zur Sicherung des Lebensunterhalts für den von ihr vier Monate verborgenen und beschützten Albrecht Haushofer gehandelt hatte. Die Richter ließen aber keine Milde walten. Die verwitwete Bäuerin wurde schuldig gesprochen und zur Zahlung von 80.- Reichsmark und zu fünf Wochen Gefängnis verurteilt.

Im Mai 1953 bemühte sich Anna Zahler um Ausgleich für das Unrecht, das ihr in der Haft widerfahren war. Sie wurde vom Bayerischen Landesentschädigungsamt in der ersten Instanz hohnlachend abgewiesen. Begründung: Sie sei ja nur wegen Schwarzschlachtens verhaftet worden. Dass Schwarzschlachtungen erfolgt waren, das hatte sie ohne weiteres bestätigt. Lebensmittelmarken für den Verfolgten gab es ja nicht. Haushofer musste aber ernährt werden, sagte sie, ein Hüne von Mann, den sie nicht verhungern lassen konnte. Erst in der zweiten Instanz vor der Entschädigungskammer des Landgerichts München I unter dem Vorsitz von Dr. Herold kam man zur Einsicht, dass Berlin wegen einer Schwarzschlachtung keine drei Gestapobeamten aufgeboten hätte. So wurde der Anna Zahler schließlich für die viermonatige Haft eine Entschädigung in Höhe von 5.- DM je Tag zugesprochen. Ein Linsengericht für das, was sie gewagt und auf sich genommen hatte. Der Ausgang der Verhandlung setzte ihr sehr zu: „Ich bin so niedergeschlagen," schrieb sie im Mai 1953, „dass es mir lieber wäre, die Nazis hätten mich im Gestapo-Gefängnis um einen Kopf kürzer gemacht, dann bräuchte ich jetzt nicht so zu betteln."

Am 2. Februar 1964 ist sie in Partenkirchen gestorben.

Von Rainer Hildebrandt, dem jugendlichen Freund Haushofers im Widerstand, erhielt Anna Zahler eines der frühesten Exemplare der „Moabiter Sonette". Hildebrandt schrieb der tapferen Frau eine Widmung auf das erste Blatt: „Der lieben Frau Zahler, die alles wagte, um das Leben Albrecht Haushofers zu erhalten, dieses Buch als seinen letzten Gruß".

Alle Bilder auf dieser Seite: Friedel Bruner-Flossmann

 

 

© Alois Schwarzmüller 2006