Pfarrer Hermann Mencke
und die Pfarrei St. Martin Garmisch zur Zeit des Nationalsozialismus

 

 

 

 

 

2. Die frühen Jahre in Garmisch

 

Am 11. August 1923 erhielt Hermann Mencke aus den Händen des Erzbischofs von München und Freising, Kardinal Michael Faulhaber, die Installationsurkunde für das Amt des Pfarrherrn der Garmischer Pfarrei St. Martin, der Mutterpfarrei des Werdenfelser Landes. Er war der fünfzigste Pfarrer von St. Martin.

 

a) 1923 – Bund Oberland und Schlageter

KauPropagandaplakat 1923m vier Wochen später hatte er schon mit großer Politik zu tun: Mitglieder des Bundes Oberland, einer extrem nationalistischen und republikfeindlichen Organisation im Umfeld der NSDAP, versammelten sich am 9. September 1923 auf dem Gipfel der Zugspitze zu dem Zweck, dort eine Gedenkinschrift für den Weltkriegsoffizier und Freikorpskämpfer Albert Leo Schlageter einzuweihen. Schlageter war im Mai des Jahres 1923 wegen illegaler Sabotageakte gegen französische Besatzungstruppen im Ruhrgebiet von einem französischen Gericht zum Tode verurteilt und hingerichtet worden. Die NSDAP machte ihn geschickt und blitzschnell zu einem ihrer Märtyrer. Pfarrer Mencke, Mitglied der Bayerischen Volkspartei, - der Berichterstatter des Loisachboten nannte ihn „im tiefsten Herzen vaterländisch gesinnt“ - verlieh dieser deutsch-nationalen Schlageter-Feier mit Gottesdienst und Predigt den kirchlichen Segen. Der Menckeschen „Bergpredigt“ schloss sich – als politisch-programmatischer Höhepunkt - das Deutschland-Lied an, „hin nach Tirol, hin über Deutschlands Gaue, hin bis zum fernen Nordstrand.“

Ob Mencke, der von Kaplan Pichler begleitet wurde, wusste, mit wem und auf was er sich da eingelassen hatte, lässt sich nicht mehr feststellen. Mit auf der Zugspitze war jedenfalls auch Peter von Le Fort, der sSchlageter-Gedenkfeier auf der Zugspitze 1923pätere Generalsekretär der Olympischen Win-terspiele 1936. Er hatte 1920 als Mitglied eines antirepublikanischen Freikorps am Kapp-Putsch teilgenommen und in Waren an der Müritz ein Blutbad unter den verfassungstreuen Arbei-tern der Stadt angerichtet. Zu den aktiven Mitgliedern des Bundes Oberland gehörte im Übrigen auch der Garmischer Hotelier Hanns Kilian. Er beteiligte sich zwei Monate nach der Schlageter-Feier am Hitler-Putsch in München.

Nach dem gescheiterten Putsch und mit der neuen Währung, die ein Ende der gespenstischen Inflation brachte, und kam die deutsche Republik in eine ruhigeres Fahrwasser. Pfarrer Mencke legte in seinen jährlichen Seelsorgsberichten an das Münchner Ordinariat den Schwerpunkt auf drei lokale Themen:

  • die Auswirkungen des Fremdenverkehrs auf die einheimische Bevölkerung,

  • die wachsende Bedeutung des Protestantismus als gesellschaftliche Kraft

  • die materielle Lage der Einheimischen und der beginnende Zerfall familiärer Bindungen

 

b) Der Fremdenverkehr und seine Begleiterscheinungen

Mencke war ein aufmerksamer, kritischer Beobachter des Fremdenverkehrs, der seine Gemeinde in einer Generation stärker veränderte als alle Entwicklungen seit dem beginnenden 19. Jahrhundert.

Im Fremdenverkehr beobachtete er mit großer Skepsis die „seelischen und psychologischen BeKreuzeckbahn-Plakat von Carl Reisergleiterscheinungen“, auch wenn er sich 1927 sicher war, dass „das christliche Denken und Fühlen im Volk noch tief verwurzelt“ sei. Garmisch war zu einem Seismographen der gesellschaftlichen Entwicklung geworden, weil es, so stellte er fest, „mit halb großstädtischen und halb ländlichen Verhältnissen als Fremdenort alle Wellenschläge, die sich irgendwo im bayerischen und deutschen Vaterland fühlbar machen“, registriere.

Schnell verdientes Geld, der gedankenlose Umgang damit, die wachsende Vergnügungssucht fielen ihm auf. Neue Unterhaltungsmöglichkeiten – „Pferderennen, Autorennen, Skispringen, Bälle, Hausbälle, sogar Kinderbälle“ - gefährdeten die Menschen, zumal die Jugendlichen. Und die ihm anvertrauten Menschen orientierten sich an Vorbildern, die er für die falschen hielt: „Die gewöhnlichen Sterblichen machen Alles den sogenannten Großkopfeten nach.“ Und die verhielten sich nach seiner Auffassung höchst widFremdenverkehrswerbung 1930 - Plakat von Fritz Uhlichersprüchlich. Vor allem den zahlreicher werdenden Akademikern am Ort warf er vor, dass sie einerseits „von nationalen und staatserhaltenden Tiraden triefen“, andererseits aber im Familien- und im religiösem Leben versagten.

Der letzte Seelsorgebericht Menckes vor der Machtergreifung der Nazis malte ein recht düsteres Bild von der Lage in seiner Pfarrgemeinde. Viele Garmischer Gläubige werden, so schrieb er, „vom persönlichen Einfluss des Priesters nicht (mehr) erreicht.“ Die Ursache lag in der starken Bevölkerungsfluktuation des Fremdenverkehrsortes und in der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung. Mencke zählte auf: „Da sind die psychologisch Ausgegliederten, die durch Krieg, Arbeitslosigkeit, soziale Katastrophen Verbitterten; die sozial Ausgesiedelten; die räumlich Ausgepfarrten: Bergdeserteure, Sportsjünger; die politisch Abseitsstehenden: Nationalsozialisten und Kommunisten; die sittlich Verwahrlosten. Da ist das intellektuelle Chaos der Gebildeten. Alle Zeitschwierigkeiten machen sich an einem Fremdenverkehrsort doppelt fühlbar.“ Unter den „Zeitschwierigkeiten“ verstand er „die gebildete Frauenwelt“, die „Rührigkeit der Protestanten in ganz Südbayern“, den „in gemischten Eheverhältnissen unangenehm scharfen prot. Pfarrer“ Lipffert, die „religiöse NivellieruEisenbahn-Werbung 1929ng des Proletariats“, die „Arbeitslosigkeit der vielen Hilfsarbeiter“, die nach dem Ende der Arbeiten für die Zugspitzbahn am Ort geblieben sind, und schließlich „wirtschaftliche Schwierigkeiten beim Bürgertum“.

Der Bau der Bayerischen Zugspitzbahn brachte mit dem Bergbauproletariat eine völlig neue Schicht in seine Gemeinde. Mencke ging den Arbeitern nicht aus dem Weg, besuchte sie auf den Baustellen am Riffelriß und betreute kranke Zugspitzarbeiter im Garmischer Krankenhaus. Bei der, wie Mencke sich ausdrückte, „vielfach von überall angeschwemmten Bevölkerung“ vermisste er den „fest fundierten Geist der katholischen Familie und Familientradition.“ „Überall wohnen Fremde und Angestellte“, klagte er und man spürt aus diesen Worten, wie schwer er sich mit den neuen Verhältnissen und der Kirchendistanz wachsender Bevölkerungskreise tat. „In Garmisch vereinigen sich Großstadt, Kleinstadt, Bauerndorf und Arbeiterviertel“, stellte er fest. Der APfarrer Mencke bei der Einweihung der Zugspitzbahn - mit Kaplan, Mesner und Ministrantenusbruch aus den kirchlichen Selbstverständlichkeiten der dörflichen Verhältnisse des 19. Jahrhunderts wurde für den katholischen Seelenbetreuer zu einer ganz neuen Herausforderung.

Besonders schwer mag ihm die Feststellung gefallen sein, dass eine „auf Gewohnheit und ererbt kühlem Lebensgefühl basierte Religiosität“ vielfach zusammengebrochen war – das Werdenfelser Traditionschristentum verlor an Überzeugungs- und Bindungskraft.

Alles bröckelte, der Boden schwankte, auf dem die Institution Kirche in Garmisch seit vielen Generationen wie selbstverständlich und scheinbar unerschütterlich wie ein Dogma ruhte. Eine der Ursachen für diese Erschütterung waren für Mencke „die vielen Protestanten in höheren Stellungen.“

 

c) „Die Rührigkeit der Protestanten“

Mit großem Missfallen beobachtete Mencke, dass „wohlhabende norddeutsche und speziell protestantische Kreise“ sich in Garmisch und Umgebung niederließen. Es sei bedauerlich, so formulierte er, „dass die Regierung gerade in katholischen Gegenden Protestanten anstellt.“ Überhaupt kein Verständnis zeigte er dafür, dass das Bezirksamt Garmisch wieder an einen protestantischen Oberamtmann vergeben wurde, „obschon die gegenteilige Bitte den betreffenden Stellen vorgetragen worden war.“ 1928 stellte er zufrieden fest, „dass in diesem Jahr neben protestantischen Familien sich auch einige katholische aus dem Rheinland und Westfalen hier angesiedelt haben.“ Mit dem Ergebnis der Gemeinderatswahl im Jahre 1929 zeigte er sich einigermaßen zufrieden. Zwar gehörten jetzt dem Garmischer Gemeinderat vier Protestanten an, aber, schrieb er nach München „so gelang es doch, die Bürgermeisterposten mit 2 kath. Männern, dem Bürgermeister Ostler und Bankdirektor Vogel, zu besetzen.“

Evangelische Johanneskirche - 1927

Pfarrer Ernst Lipffert - Evangelische Gemeinde Garmisch-Partenkirchen - 1930

Er dokumentierte seine Sorge über den wachsenden protestantischen Einfluss und den generellen Rückgang der religiösen Bindungen an die katholische Kirche beeindruckend materialreich. Protestanten waren der Leiter des Bezirksamtes Garmisch Carl von Merz, der Leiter des Finanzamtes, Oberregierungsrat Baer, einer der drei Richter am Amtsgericht Garmisch, Oberhauser. Auch die beiden anderen Amtsrichter entsprachen den Vorstellungen von Pfarrer Mencke nicht: Amtsgerichtsrat Hermann von Valta war zwar katholisch, blieb aber den Gottesdiensten fern, politisch stand er den Deutschnationalen nahe. Oberamtsrichter Dr. Alfons Kienle war gleichfalls katholischen Glaubens, aber Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Dazu kam, dass der Großteil der mittleren Beamtenschaft ins Lager der Nationalsozialisten gerechnet werden musste, religiöse Bindungen waren bei ihnen, wie Mencke schreibt, „null“. Von vier Rechtsanwälten, die wir auf Menckes Liste finden, war einer ein „abgefallener Katholik“, drei waren Protestanten. Von elf Ärzten waren sechs katholisch, drei davon geschieden und wieder verheiratet, zwei gehen selten zur Kirche, zwei lehnen Kirche oder Sakramente ab, einer ist Mitglied des „Stahlhelms“, der einflussreichen, Hitler nahestehenden Veteranenorganisation der Deutschnationalen Volkspartei. Fünf Ärzte waren Protestanten. Der Chef der Kurverwaltung, Hauptmann a.D. Bletschacher, war katholisch, aber geschieden und wiederverheiratet. Und schließlich: Auch Richard Strauss, Generalmusikdirektor und Träger eines großen Namens, verehrter Komponist und Dirigent, seit 1908 in vielen Sommern Bewohner des Hauses Zoeppritzstraße 42 in der Gemeinde Garmisch, war seinem katholischen Glauben nicht treu geblieben – er war, so hielt Mencke fest, „vor Jahren aus der Kirche in Berlin ausgetreten.“

Mencke bedauerte ausdrücklich, dass sich Zivilehen sowie protestantische Trauungen einzelner Katholiken nicht mehr vermeiden ließen. Ein Dorn im Auge war ihm auch ein neu errichtetes protestantisches Töchterheim. Der Grund: Es „kommen manche bessere junge Damen nach Garmisch und angeln sich hier katholische Männer.“ Seiner Anregung, in Garmisch ein katholisches Töchterheim zu gründen, wurde nicht aufgegriffen.

Viele EnttäusPfarrer Hermann Mencke (2.v.l.) auf dem Grasberg bei Garmischchungen für den katholischen Priester Hermann Mencke, der zusehen musste, wie sich das Bild seiner Gemeinde in den Jahren seit 1923 unaufhaltsam gewandelt hatte. Dabei stand die größte Bedrohung – die durch den Nationalsozialismus – erst noch bevor. Sie war absehbar, er konnte ihr nicht aus dem Weg gehen und er hat es auch nicht getan.

Da mag es Hermann Mencke wie eine letzte Stärkung vor dem politischen Unwetter erschienen sein, dass ihm, dem 50. Pfarrherrn von St. Martin, die politische Gemeinde Garmisch im Juni 1932 das Ehrenbürgerrecht verlieh - aus Anlass seines 25jährigen Priesterjubiläums und „in Anerkennung seiner vielen Verdienste um Kirche und Schule“. Die Urkunde gestaltete der angesehene Maler Carl Reiser. Fahnenabordnungen von 13 Vereinen, Serenade, Kirchenzug, Hochamt und Festrede von Bürgermeister Kaspar Ostler bildeten den feierlichen Rahmen dieser letzten Dokumentation der Einheit von politischer und religiöser Gemeinde vor dem Beginn der Nazi-Diktatur.

 

 

© Alois Schwarzmüller 2007