IV. Olympische Winterspiele 1936 in Garmisch-Partenkirchen

Die Kehrseite der Medaille

Eine Ausstellung im Olympia-Skistadion

 

Texte und Materialien für die Leseecke

 

 

 

 

01 - Die Bewerbung - „Eine bayerische Sache“

02 - Olympischer Gedanke und nationalsozialistische Ideologie

03 - Internationale Anerkennung für den „Friedenskanzler“ Hitler

04 - „Ein Land der Ruhe und Ordnung“

05 - Die Präsenz der NS-Führung bei den Winterspielen:

06 - Generalprobe für die Sommerspiele - „Es muss alles klappen“

07 - Jüdische Bürger und Gäste in Garmisch-Partenkirchen

08 - Antisemitismus führender Sportfunktionäre

09 - Ein Bericht aus dem Alltag

10 - Die Zwangsvereinigung von Garmisch und Partenkirchen 1935

11 - Kontrolle und Steuerung der Berichterstattung

12 - Auswahl der deutschen Athleten

13 - Die internationale Boykottbewegung

14 - Aus dem Polizeibericht: Lokale Aktionen gegen das NS-Regime

15 - Jüdische Bürger und Gäste in Garmisch-Partenkirchen nach 1936

16 - Olympismus und Faschismus in den dreißiger Jahren

17 - Die Vergabe der Winterspiele 1940 an Garmisch-Partenkirchen

18 - Olympische Elite?

19 - Schicksale

20 - „Nicht alle ließen sich täuschen“

 

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Die internationale Boykottbewegung

 

Der Makkabi-Weltverband beschloss im September 1935, kurz nachdem die sogenannten "Nürnberger Gesetze" verkündet worden waren, nicht an den Olympischen Spielen 1936 teilzunehmen. Von Boykott war namentlich nicht die Rede, jedoch hieß es in einem Schreiben an IOC-Präsident Baillet-Latour:
”We certainly do urge all Jewish sportsmen, for their own self-respect, to refrain from competing in a country where they are discriminated against as a race and our Jewish brethren are treated with unexampled brutality”.

Olympische Spiele 1936 - Der jüdische Sport als Politikum - http://www.s-port.de/david/ns/hist_04.html

 

Die verschiedenen Befürworter eines Boykotts der Olympischen Spiele 1936 rekrutierten sich in Europa vorwiegend aus Kreisen der politischen Linken, der deutschsprachigen Emigration - vor allem in Amsterdam und Paris -, sowie der Katholiken und Juden. Keine dieser Gruppen hatte jemals die Chance, die Meinung nationaler Sportverbände oder gar der Nationalen Olympischen Komitees, geschweige denn des IOC positiv zugunsten einer politisch motivierten Absage der Olympiateilnahme zu beeinflussen.

Olympische Spiele 1936 - Der jüdische Sport als Politikum - http://www.s-port.de/david/ns/hist_04.html

 

Die - vermutlich - einzige reelle Chance, die Durchführung der Olympischen Spiele von Garmisch-Partenkirchen und Berlin entscheidend zu beeinträchtigen oder sogar zum Scheitern zu bringen, ging von amerikanischem Boden aus. Seit Beginn des Jahres 1933 war der amerikanische Amateursport in zwei Lager gespalten. Der Konflikt konnte gedeihen, weil zwei der Spitzenfunktionäre des US-Sports entgegen der Erwartungen und 'Gepflogenheiten' sich als Befürworter des Olympiaboykotts herausstellten. Dies war, zum einen, mit Commodore Ernest Lee Jahncke das einzige IOC-Mitglied überhaupt, das einem Boykott zustimmte; zum anderen handelte es sich um Jeremiah T. Mahoney, den Präsidenten der AAU. Insbesondere Mahoney nahm die Berichte über die täglichen Ereignisse in Deutschland beim Wort und verhielt sich dementsprechend.

Olympische Spiele 1936 - Der jüdische Sport als Politikum - http://www.s-port.de/david/ns/hist_04.html

 

21.11.1933 - Theodor Lewald an den Staatssekretär im Reichsministerium des Innern Pfundtner:

„Der von Herrn Halt und mir befürchtete Beschluss der Amerikanischen Amateur Athletik Union, die, wie ich bemerke, nahezu alle Sportzweige, die für die Olympischen Spiele in Betracht kommen,… umfasst, ist nach Zeitungsberichten nunmehr erfolgt. Wir drei deutschen Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees, Herzog Friedrich zu Mecklenburg, Dr. Ritter von Halt und ich haben daraufhin an die Amerikanische Olympische Association das in Abschrift beigefügte Telegramm gerichtet, damit Klarheit darüber besteht, dass seit der Wiener Beschlussfassung in der Behandlung jüdischer Sportsleute in Deutschland sich nichts geändert hat….
… Sollte Amerika auf der Tagung des IOK im Mai in Athen erklären, an den Spielen nicht teilzunehmen und beantragen, sie an einen anderen Ort zu verlegen, so besteht für uns Drei kein Zweifel, dass dieser Beschluss die große Mehrheit finden wird…
Herr von Halt hat es übernommen, den Bayerischen Minister Herrn Esser noch heute von dieser Sachlage zu unterrichten, da die Infragestellung der Olympischen Winterspiele für Garmisch-Partenkirchen und auch München ein sehr schwerer Schlag wäre."

Bundesarchiv Potsdam - 70 Or 1 G 147

 

21.11.1933 - Theodor Lewald, der Herzog zu Mecklenburg und Ritter von Halt an die American Olympic Association (Telegramm):

„Bezugnehmend auf den gestrigen Schluss der „Amerikanischen Amateur Athletik Union" erklären wir feierlich, dass das in Wien durch die Deutsche Regierung und das Deutsche Olympische Komitee abgegebene und von Garland und Sherrill als befriedigend angenommene Versprechen, betreffend Beteiligung der deutschen Juden an den Spielen, genau eingehalten werden wird, und dass seit Wien weder Regierung noch Olympisches Komitee irgend einen Erlass oder Befehl herausgegeben haben, der die deutschen jüdischen Wettkämpfer diskriminiert."

Bundesarchiv - 70 Or 1 G 147

 

14.12.1933 - Aus dem Vortrag von Dr. Theodor Lewald, Präsident des Deutschen Olympischen Komitees, bei Reichskanzler Hitler, Innenminister Frick, Propagandaminister Goebbels, Staatssekretär Pfundtner und Reichssportführer von Tschammer und Osten:

„Der Kanzler fragte mich, ob die Schwierigkeiten mit Amerika behoben seien. Ich bemerkte, dass, wenn die neueren Bestimmunen des Reichssportführers wegen der Trainingsmöglichkeiten für jüdische Sportler durchgeführt würden, ich keine Besorgnisse hege. Hieran knüpfte sich eine kurze Erörterung, die das Festhalten an der grundsätzlichen Auffassung nachdrücklich bestätigte…"

Bundesarchiv - 70 Or 1 G 147

 

13.01.1934 - Der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, Graf Baillet-Latour, an Theodor Lewald:

„Glücklicherweise spielt hier (in Belgien), wie auch in Frankreich und Italien, die Judenfrage keine Rolle. Die öffentliche Meinung widersetzt sich zwar sehr einem sportlichen Ausschuss aus Gründen der Rassenfrage, da ein solcher nicht mit der inbezug auf Religion, Sprache oder politische Anschauung olympischen Neutralität in Einklang zu bringen wäre, aber wir haben keine aktiven Elemente. In anderen Ländern, besonders in Amerika und England, liegt die Sache anders…
Der am meisten verbreitete Einwand ist die Ungeschicklichkeit, … mit der die Dinge veröffentlicht sind. Die von Deutschland selbst ausgesandten Nachrichten waren dazu angetan zu beweisen, dass man durchaus nicht die Absicht hatte, das in Wien gegebene Versprechen, das seitdem nochmals bestätigt wurde, aufrichtig einzuhalten…
Man hat niemals etwas getan, um die Propaganda der Gegner zu konterkarieren… denn – verhehlen Sie es sich nicht – wenn die Engländer und Amerikaner nicht zu der Überzeugung gelangen können, dass den deutschen Athleten jüdischer Rasse nicht dieselben Erleichterungen für das Training wie den übrigen gewährt oder sie systematisch von den Klubs und Verbänden ausgeschlossen werden, werden sie nicht zu den Spielen kommen.
"

Bundesarchiv - 70 Or 1 G 147

 

1934 - Erklärung des Deutschen Olympischen Komitees im Einverständnis mit dem Reichsinnenministerium für die Sitzung des Internationalen Olympischen Komitees in Athen 1934:

1. „Deutschland wird die in Wien 1933 eingegangenen Verpflichtungen, nicht arische deutsche Sportsleute bei entsprechender Leistung in die deutsche Olympiamannschaft einzureihen selbstverständlich sorgfältig beachten und allen hierfür aussichtsreichen Sportsleuten Gelegenheit zur Vorbereitung geben.
2…Der Deutsche Leichtathletik-Verband hat … den Reichsbund Jüdischer Frontsoldaten und den Makkabikreis aufgefordert, Olympiatalente zur Ausbildung namhaft zu machen…
3. Bei der Suche nach dem „unbekannten Sportsmann" ist ausdrücklich nur deutsche Staatsangehörigkeit gefordert, so dass auch hier nichtarische Talente weiter ausgebildet werden.
4. Die Besorgnis, es könnten gegen jüdische Teilnehmer Demonstrationen erfolgen, ist bei dem sportlichen Geist und der Disziplin des deutschen Volkes als außerhalb jeder Möglichkeit zu betrachten…"

Bundesarchiv - 70 Or 1 G 147

 

18.05.1934 - Aus dem Sitzungsprotokoll des Internationalen Olympischen Komitees in Athen:

"Lord Aberdare: Bedenken seines Komitees wegen der deutschen Juden. In politischer Hinsicht seien Schwierigkeiten verstärkt, statt vermindert… Es seien Besorgnisse wegen Demonstrationen gegen Juden bei Wettkämpfen im Stadion laut geworden.
Garland: Amerika würde auf keinen Fall teilnehmen, wenn Versprechen nicht voll gehalten würde… In clean athletics müsse auch volle Moral gelten, Sportrecht für die Juden auf den Trainingsfeldern. Er wolle Sport frei von Politik.
Von Halt: Er gäbe, zugleich im Namen des Reichssportführers, die Zusage: jeder deutsche Nicht-Arier von entsprechender Leistung werde in die Mannschaft aufgenommen. Beispiele: Helene Mayer, der Segler Baer, Ball…
Lewald: Er übernähme feierlich Garantie gegen Kränkungen… Die ausländischen Juden in den Sportmannschaften würden ebenso herzlich als Gäste aufgenommen wie die anderen.
Baillet-Latour: Die Spiele dürften kein moralisches Defizit haben, sie sollen aber auch nicht zu politischer Propaganda benutzt werden… Also auch kein contra oder du bien für die Juden. Es sei ausdrücklich und feierlich das Versprechen wiederholt, dass deutsche Non aerien trainieren, kämpfen und teilnehmen dürften, das sei satisfaisant…"

Bundesarchiv - 70 Or 1 G 147

 

Als 1934 der Präsident des AOC, Avery Brundage, seinen Kollegen im Ausschuss die amerikanische Olympiateilnahme mit der Begründung nahelegte, dass an den deutschen Zusicherungen von Wien und Athen nichts auszusetzen sei, entgegnete Jeremy T. Mahoney:

”The Nazis trampled upon the fundamental Olympic principles of fairness and equality” - und - ”that the U.S.’s absence from Berlin would prevent American athletes from sacrificing these principles and provide a clear message to the German population that its government’s policies were viewed with disdain”.

Olympische Spiele 1936 - Der jüdische Sport als Politikum - http://www.s-port.de/david/ns/hist_04.html

 

1934 reiste Avery Brundage im Auftrag des American Olympic Committee nach Berlin. Er begegnete im Hotel Kaiserhof  in Anwesenheit von Tschammer und Ostens Stellvertreter Arno Breitmeyer und Sigfrid Edström, Vizepräsident des IOC, drei Vertretern jüdischer Sportorganisationen in Deutschland, um sich über die Lage der jüdischen Sportler in Deutschland zu informieren. Robert Atlasz, einer der Beteiligten, erinnerte sich:

„Mr. Brundage kam mit einem dicken Aktenpaket zu dieser Sitzung, in dem Berichte über alle möglichen Vorfälle enthalten waren, die sich in den früheren Monaten gegen jüdische Sportler und Organisationen ereignet hatten. Und seine Fragen waren zum Teil recht gut fundiert. ... Unsere Vertreter konnten verschiedene Fragen und Tatsachen nicht frei und wahrheitsgemäß beantworten, da sie die scharfe Einstellung von Breitmeyer kannten. Wir mussten zugeben, dass man uns einen allgemeinen Sportbetrieb interner Art erlaubte, trotz mancher Zwischenfälle und Schikanen, aber das Wesentlichste der ganzen Unterredung, die deutlich Brundages Absichten und seine Einstellung charakterisierten, war seine Frage an uns: 'Können Juden Mitglieder in einem deutschen Sportverein sein?' (Und dies, nachdem ihm das ganze Material in seinem Aktenstück bekannt war). Als unsere Vertreter und der Naziführer das verneinten, sagte Brundage ganz trocken: 'In my club in Chicago Jews are not permitted either'. Dies zeigte uns ganz klar, in welche Richtung er steuerte.”

Olympische Spiele 1936 - Der jüdische Sport als Politikum - http://www.s-port.de/david/ns/hist_04.html

 

24.08.1935  - Aufzeichnung über den Empfang des amerikanischen Botschafters a.D. Charles H. Sherrill durch Hitler in München:

„Sherrill kam dann auf die Judenfrage zu sprechen. Für Amerika sei sie ein sehr ernstes Problem. Von den 5 Millionen Juden, die in den Vereinigten Staaten lebten, seien im Staats New York allein 2 ½ Millionen gegenüber einer Gesamtbevölkerung von ungefähr 7 Millionen ansässig…
Diese jüdischen Kreise hätten schon im Oktober 1933 im Zusammenhang mit der Olympiade 1936 eine Boykott-Bewegung ins Leben gerufen. Es sei ihm – Sherrill – ganz allein gelungen, die amerikanische Beteiligung am dem Olympischen Spielen in Deutschland trotz dieser Widerstände durchzusetzen… Nun wisse er aus seiner sportsmännischen Erfahrung, dass die jüdischen Athleten im allgemeinen den Anforderungen, die für die Aufnahme in eine Olympia-Ländermannschaft gestellt werden müssten, nicht gewachsen sein… Es sei daher für ihn als erfahrenen Sportsmann nicht verwunderlich, dass in der deutschen Olympiamannschaft für die Olympiade 1936 kein Jude auftrete, da er wissen, dass dies an den mangelnden sportlichen Leistungen der jüdischen Sportsleute läge…
Um die Schwierigkeiten, die sich aus den für die Anforderungen einer Olympiamannschaft nicht genügenden Leistungen der jüdischen Sportsleute und ihrer daraus folgenden Nichtaufnahme in die deutsche Olympiamannschaft ergeben, aus dem Weg zu räumen, schlage er vor, die Deutsche Reichsregierung solle die jüdischen Sportklubs in Deutschland auffordern, einen Vertreter für die Olympiamannschaft Deutschlands zu ernennen, wodurch dann der vom Reichsinnenministerium gegebenen Zusage Genüge geleistet sei.
Der Führer erwiderte, dass ihm eine derartige Lösung unmöglich erscheine. Sie würde schon an der Tatsache scheitern, dass in Deutschland eine völlige Trennung zwischen Juden und Deutschen hergestellt sei. Die Juden würden nicht unterdrückt, sondern völlig von den Deutschen abgesondert und könnten ihr eigenes Kulturleben führen. Aber es sei unter diesen Umständen natürlich unmöglich, der Anregung des Botschafters Sherrill Folge zu leisten. Der Führer erklärte dann weiter, dass … keinesfalls eine Verpflichtung übernommen worden sei, für eine jüdische Beteiligung innerhalb der deutschen Olympiamannschaft Sorge zu tragen. Deutschland habe … nur erklärt, dass es keine Einwendungen dagegen machen werde, wenn andere Länder in ihre Mannschaft Juden aufnehmen und dass diese Juden selbstverständlich innerhalb ihrer Ländermannschaften an den olympischen Spielen teilnehmen könnten. Er – der Führer – würde aber selbstverständlich den Text der vom Reichsinnenministeriums gegebenen Zusage prüfen lassen.
Botschafter Sherrill wies erneut auf den außerordentlichen Ernst dieser Frage hin…. Es sei also nicht nur mit einer Nichtbeteiligung Amerikas zu rechnen, sondern die Dinge lägen weit ernster, und als Freund Deutschlands bäte er den Führer, die Lage in diesem Sinne doch noch einmal zu prüfen.
Der Führer erwiderte, dass er von seinem Standpunkt nicht abgehen könne… Sollten im übrigen die olympischen Spiele vom Olympiaausschuss aus Deutschland wegverlegt werden, so würde auch dies nichts an der Haltung Deutschlands ändern, man würde dann eben rein deutsche olympische Spiele veranstalten."

Bundesarchiv Potsdam - 70 Or 1 G 147

 

01.09.1935 - Bayerische Politische Polizei an alle Polizeidirektionen:

„Nach Mitteilung des Herrn Reichssportführers ist die den jüdischen Sportorganisationen zur Vorbereitung der Teilnahme an der Olympiade 1936 zugesicherte Sportausübung und Austragung von Wettkämpfen in Bayern dadurch behindert, dass dort der Reichsausschuss jüdischer Sportverbände nicht anerkannt und lediglich der Landesausschuss jüdischer Sportverbände für Bayern zuglassen ist, in dem Assimilanten und Zionisten zusammengefasst ist…
Um die reibungslose Abwicklung der Vorarbeiten für die Olympiade nicht zu hemmen und um der jüdischen Auslandshetze den Boden zu entziehen, wird der Makkabi-Organisation und dem Sportbund des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten in Bayern bis zur Olympiade 1936 die sportliche Betätigung erlaubt, ohne dass es einer Auflösung des Landesausschusses jüdischer Sportvereine in Bayern bedarf.
Eine generelle Regelung des jüdischen Sports wird nach Ablauf der Olympiade erfolgen…
Die antisemitischen Ausschreitungen der letzten Zeit sind in der ausländischen Presse aufgebauscht wiedergegeben worden. Das jüdisch beeinflusste Ausland hat diese übertriebenen Nachrichten zum Anlass genommen, die Durchführung der Olympiade 1936 in Berlin in Zweifel zu stellen. Es ist bereits … der Vorschlag gemacht worden, die Olympiade nach Rom oder in eine andere Weltstadt zu verlegen.
Nach dem Willen des Führers soll die Olympiade 1936 jedoch unter allen Umständen in Berlin stattfinden…“

Bundesarchiv - 70 Or 1 G 147

 

20.10.1935 - Der Präsident der amerikanischen Amateur Athletic Union (AAU), der Richter am Obersten New Yorker Gericht Jeremiah T. Mahoney, begründet am 20. Oktober 1935 in einem sehr persönlichen Brief an Theodor Lewald, den Vorsitzenden des Deutschen Olympischen Ausschusses, warum der größte Sportbund der USA die Teilnahme an den Olympischen Spiele 1936 in Deutschland ablehnt:

"Sehr geehrter Herr Lewald! Ihre unglückliche Position als nomineller Vorsitzender des Deutschen Olympischen Ausschusses zwingt mich, Ihre kürzlichen entschuldigenden Auslassungen über den Sport in Deutschland und die Teilnahme Amerikas an den Olympischen Spielen unter die Lupe zu neh­men. Ich tue das mit um so größerem Bedauern, als ich Sie einst als einen Sportsmann angesehen habe, der sich den be­sten Überlieferungen und den höchsten Idealen des Sports widmete, und weil ich weiß, wie schwierig Ihre Lage als Mitglied der großen Gruppe nicht-arischer Christen ist, die ihre Regierung in barbarischer Weise und zusammen mit den Juden zu dem Stand von Parias in ihrem Heimatland herabge­drückt hat.
Ich erinnere mich, dass man Ihnen die Beibehaltung Ihrer Stellung als nomineller Leiter des Deutschen Olympischen Komitees unter dem Druck der öffentlichen Meinung im Aus­land gestattet hat, und ich befürworte, dass Sie, da Ihnen jede wirkliche Macht mangelt, als ein Schleicher verwendet werden, um die offenbaren Verstöße Ihrer Regierung gegen das olympische Ideal als Fair Play für alle, auch die Schwächsten, zu verdecken.
Falls Sie nicht eine Geisel Ihrer Regierung sind, rate ich Ihnen, mein verehrter Herr Lewald, Ihr Amt in dem olympi­schen Komitee aus Achtung vor den Idealen des Sportgeistes, denen Ihr ganzes bisheriges Leben gewidmet war, formell und öffentlich niederzulegen.
Gestatten Sie mir zu bemerken, dass Ihr Land unter seiner gegenwärtigen Führung die Grundsätze der Demokratie und der Gleichheit, auf denen sich die Olympischen Spiele aufbauen, nicht nur missachtet, sondern sie überhaupt nicht beachten kann. Das olympische Prinzip, das im Reich des Sports die vollkommene Gleichheit aller Rassen und Bekenntnisse aner­kennt, steht im direkten Gegensatz zu der Nazi-Ideologie, deren Eckstein das Dogma von der Rassenungleichheit ist. Ehe das Nazi-Regime nicht zu Ende gegangen ist, wird das amerikanische Volk keinen Grund zu der Annahme haben, dass der wahre Sportgeist, dem die Olympischen Spiele gewidmet sind, seinen Ausdruck in Deutschland finden kann."

Bundesarchiv - 70 Or 1 G 147

 

14.12.1935 - Schweizer Olympisches Komitee an Ritter von Halt:

„Sicherlich wissen Sie dass man hier in der Schweiz jeden Tag Propagandamaterial gegen die Feier der Olympischen Spiele in Garmisch-Partenkirchen und Berlin erhält. Ich bemühe mich meinerseits sehr um die Wirkung dieser Propaganda in der Schweiz zu ersticken…“

Bundesarchiv - 70 Or 1 G 147

 

Dezember 1935: Auf der Jahreshauptversammlung der amerikanischen "Amateur Athletic Union" über die Olympiateilnahme der USA entschieden. Als Avery Brundage, der Vorsitzende des amerikanischen NOK und entschiedener Befürworter einer Teilnahme, "sah, daß er die Abstimmung verlieren würde, verzögerte er mit Geschäftsordnungstricks die Entscheidung um einen Tag. Über Nacht zitierte er per Telegramm weitere, ihm gewogene stimmberechtigte Delegierte ... herbei". Die Befürworter setzten sich mit 58:56 Stimmen durch.

Arndt Krüger, Die Olympischen Spiele 1936 und die Weltmeinung (München 1975) S. 71

 

30.12.1935 - Botschafter a.D. Charles H. Sherrill an Generalsekretär le Fort mit der dringenden Bitte, „alle antijüdischen Tafeln in Garmisch-Partenkirchen entfernen zu lassen, ehe die amerikanische Mannschaft dort eintrifft. Sollte dies nicht geschehen. So ist ernstlich damit zu rechnen, dass viele der amerikanischen Mannschaft sofort wieder abreisen und dann auch nicht nach Berlin kommen werden. Berlin wird dafür Garmisch die Schuld geben.“

Bundesarchiv - 70 Or 1 G 147

 

21.01.1936 - Anweisung der Bayerischen Politischen Polizei:

„Juden als Hotel-, Gaststätten- oder Pensionsinhaber dürfen die deutsche Flagge nicht zeigen…“

Staatsarchiv München - LRA 61971

 

27.01.1936 - Bayerische Politische Polizei an das Bezirksamt Garmisch:

„Überwachung der Ausländer während der Winterolympiade 1936: Nach einer im Auszug wiedergegebenen Meldung sollen sich in einer amerikanischen Stadt Mitglieder des „Comitee on fair play in sports", des sogenannten deutschen Kulturverbandes getroffen haben… Es soll vereinbart worden sein, die Boykotthetze-Ausschüsse nach Möglichkeit weiter bestehen zu lassen. Im Laufe der Besprechung soll ferner die Bemerkung gefallen sein: „Wir müssen hoffen, dass während der Winterolympiade ein Zwischenfall passiert, der gegen Deutschland ausgewertet werden kann. Zweckmäßig wäre, wenn in den bayerischen Alpen ein amerikanischer Sportler erdolcht aufgefunden worden wäre.""

Staatsarchiv München - LRA 61939

 

29.01.1936 - Rudolf Heß an die NS-Gauleiter:

„Ich bitte darauf zu achten, dass nur solche Tafeln und Schilder angebracht werden, die ohne besondere Gehässigkeit zum Ausdruck bringen, dass Juden unerwünscht sind…“

Bundesarchiv Potsdam - 70 Or 1 G 27

 

06.02.1936 - Deutsches Nachrichtenbüro:

„Die ‚Morning Post‘ veröffentlichte einen unfreundlichen Bericht aus Garmisch-Partenkirchen über die Eröffnung der Winterspiele. Die Naziregierung habe einige der Unannehmlichkeiten des Dritten Reiches beseitigt. Garmisch-Partenkirchen sei offiziell frei von allen antisemitischen Zeichen, von den Stürmer-Kästen usw. befreit worden. Auf den Straßen von München nach Nürnberg und nach Augsburg sehe man jedoch immer noch viele der judenfeindlichen Schlagworte…“

Bundesarchiv - 70 Or 1 G 27

 

Jüdische Sportler reagierten auf die Diskriminierung - nicht nur durch Boykott, sondern auch durch eigene Wettbewerbe: 1936 fanden in der slowakischen Stadt Banska Bystrica am Fuße der Niederen Tatra die „II. Maccabi-Winterspiele“ statt - als erste Internationale Jüdische Olympische Winterspiele und zugleich als Alternative zu den Winterspielen in Garmisch-Partenkirchen. Wettkämpfer aus 15 Ländern nahmen daran teil.

 

 

 

 

© Alois Schwarzmüller 2016