Alois Schwarzmüller

Beiträge zur Geschichte des Marktes Garmisch-Partenkirchen im 20. Jahrhundert

 

 

 

 

"Berge, Feuer, Fahnen" - HJ in Garmisch-Partenkirchen

 

Anton Reindl, Josef Graf und andere Dienstverweigerer

 

Gründung und Mitgliederzahlen

1926 wurde die HJ als offizielle Jugendorganisation der NSDAP gegründet. Sie war Gegengewicht gegen die Bündische Jugend, gegen kirchliche Jugendvereinigungen und Jugendorganisationen der sozialdemokratischen und kommunistischen Partei. Eine Garmisch-Partenkirchner HJ entstand erst gegen Ende der Weimarer Republik zusammen mit der zweiten Gründung einer NSDAP-Ortsgruppe - die erste hatte sich nach dem Hitlerputsch 1924 wieder aufgelöst - unter dem späteren NS-Bürgermeister Jakob Scheck.

1929 traf sich im Garmischer Gasthof „Zum Lamm“ ein lokaler SA-Sturm. Ihm folgten die NS-Frauenschaft, eine Zelle der NSBO (Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation), die Hitler-Jugend und der Bund Deutscher Mädel. Die NSDAP-Ortsgruppe Garmisch-Partenkirchen war, als Reichspräsident von Hindenburg am 30. Januar 1933 Adolf Hitler die Macht übergab, etwa 300 Mitglieder stark.

1938 wurde im Garmisch-Partenkirchner Tagblatt die einzige zugängliche Mitgliederstatistik der NSDAP im Landkreis Garmisch-Partenkirchen veröffentlicht:[1] Nach dieser Meldung gab es ein Jahr vor Kriegsbeginn 2600 Mitglieder der NSDAP, davon 380 Politische Leiter, insgesamt 10300 Mitglieder der DAF (Deutsche Arbeitsfront)  mit 679 Amtswaltern, 600 SA-Männer mit 64 Führern und Unterführern, 320 Angehörige des NSFK (Nationalsozialistisches Fliegerkorps), 300 NSKK-Männer (Nationalsozialistisches Kraftfahrerkorps) mit 21 Führern und Unterführern, 80 SS-Männer und -Führer und 1500 Angehörige der HJ sowie 1400 Angehörige des BdM. 

 

Mitgliedschaft in HJ und BdM

Zu wuchtiger Stärke und politischer Kraft erwuchs die HJ erst nach dem 30. Januar 1933. Die Mitgliedschaft in der HJ wurde in den ersten Jahren noch nicht in aller Schärfe erzwungen. Erst mit dem Gesetz vom 1. Dezember 1936 wurde bestimmt, „dass die gesamte deutsche Jugend in der Hitler-Jugend körperlich, geistig und sittlich im Geiste des Nationalsozialismus zum Dienst am Volke und zur Volksgemeinschaft zu erziehen ist.“ [2]  Es schien verlockend, einer mit üppigen Mitteln und interessanten Freizeitangeboten auftretenden Organisation anzugehören. Damit konnte man Jungen in die HJ und Mädchen in den BdM ködern. Es gab ein attraktives Angebot an Zeltlagern, Fahrten, Festen und Feiern. Selbst eigene Heime wurden HJ und BdM im Laufe der Zeit zur Verfügung gestellt. Schließlich war die HJ ein wichtiger Faktor für die NSDAP: Sie war Nachwuchsorganisation, Staffage für große Aufmärsche und Feiern und nicht zuletzt Gegengewicht zu katholischen und anderen Jugendvereinen, die bis 1938 eine Rolle spielten. Andererseits: Die uniformiert auftretende und militärisch organisierte Jugend schreckte mit ihrem militärischen Drill Jugendliche und Eltern auch ab. Es war zweifellos der Reiz der HJ, dass Jugendliche von Jugendlichen geführt wurden. Gleichzeitig war es freilich ein Handicap, dass damit nicht selten auch unerfahrene Erzieher die Leitung hatten, die ihrer Verantwortung nicht immer gewachsen waren. Ein Beispiel: Die Gendarmeriestation Garmisch klagte 1936 über „die Jugend… besonders die HJ“. Diese Klagen, so hieß es, höre man auch aus anderen Orten: „Es scheint tatsächlich, dass die HJ und das Jungvolk nicht immer und überall in den richtigen Händen ist.“ [3] Die anfangs noch formell freiwillige Mitgliedschaft wurde am 1. Dezember 1936 durch das "Gesetz über die Hitler-Jugend" beseitigt und seit 25. März 1939 konnte sie durch die Einführung der "Jugenddienstpflicht" auch erzwungen werden.

   
 

Bekanntmachung der HJ-Dienstpflicht
im Garmisch-Partenkirchner Tagblatt November 1939

Liste der HJ-Dienstverweigerer
aus dem Fähnlein 18 im Februar 1940 in Garmisch

 

 

Schule und HJ

Für die Schulen war die HJ mit ihren Veranstaltungen nicht selten eine problematische Konkurrenz. Gauleiter und Innenminister Wagner wandte sich deshalb an die Schulen: „Wiederholt wenden sich die Schulleiter und Direktoren beschwerdeführend an das Ministerium wegen Fernbleibens einzelner oder mehrerer Schüler vom Unterricht ohne vorherige Benachrichtigung der Schulleitung durch die HJ.“ Um Überschneidungen zwischen Schuldienst und HJ-Dienst zu vermeiden, wird empfohlen, „dass sich die Schulleitungen um die örtlichen Dienstzeiten der HJ kümmern, wie überhaupt allein das gegenseitige Einvernehmen zwischen HJ-Führung und Schulführung eine gedeihliche Zusammenarbeit zwischen den beiden Erziehungsmächten gewährleistet.“ [4] Weitere Herausforderungen der Schule erwuchsen aus anderen ministeriellen Weisungen. Der Weilheimer Schulrat Thoma erhielt aus Anlass der Leistungswoche der HJ des Gebietes Oberland den Auftrag, einen Schulappell abzuhalten: „Er soll vor allem dazu dienen, die Jungen und Mädel dahin aufzuklären, dass auch ihre Leistung in der Schule Kriegseinsatz ist. Die Leistungswoche der Hitlerjugend steht unter dem Leitsatz: „Auch die Jugend hilft mit zum Sieg“. Schule als Kriegseinsatz – das waren ganz neue, ehrliche und gefährliche Gedanken. Weiter hieß es: „Der Appell ist in der Woche zwischen 27.9. und 2.10. 1943 oder in der folgenden Woche abzuhalten; er ist in straffer, bei Jungen in soldatischer Form an allen Volks- und höheren Schulen … durchzuführen. Im Anschluss an den Appell findet Unterricht statt…“  Der Ablauf des Schulappells war exakt vorgegeben: 1. „Meldung an den Schulleiter, 2. Sprecher: Gedicht von B. v. Schirach: „…Töte in dir den Toren und den Tand und sage dann zu Volk und Vaterland: Ich bin bereit!“, 3. Lied: Ein junges Volk steht auf… 4. Ansprache des Schulleiters, 5. Sprecher: Gelöbnis an den Führer – Text von Gerhard Schumann: „Wir stehen wie Mauern um dich her in Treue und Geduld. Kein Opfer ist so groß und schwer, wir sind in deiner Schuld…“ 6. Gruß an den Führer, 7. Lied: „Vorwärts, Vorwärts…“ [5]

 

Lagerromantik und Appelle, Appelle, Appelle...

Mit verlockenden Tönen wurde für HJ-Lager in Oberau und Farchant geworben: „Trommel, Flöte, Marschlieder und frohes Treiben werden nun bald unser Tal beleben.“ Für vier Wochen „zur Stählung von Geist und Gliedern“, wo der Weg über die romantische Brücke über die Loisach führt, am Fuße des grünen Bergmassivs, entsteht eine kleine Zeltstadt. Etwa 14 Tage später kommen dann 800 Angehörige der HJ aus Konstanz.“6]

HJ-Lager in Farchant

Die Häufung von Appellen, Antreten, Propagandaterminen und Geländeübungen konnte auch zur Überforderung der Jugendlichen werden: NS-Kreisleiterstellvertreter de Hesselle stellte am 10.03.1939 in seinem Rundschreiben Nr. 40/39 an die Mitglieder des Kreispropagandringes Garmisch-Partenkirchen folgendes Tagesprogramm für Mittwoch, 01.03.1939 vor: HJ-Appell im HJ-Heim um 19.30-21.00 Uhr, Appell in der Schule 15.30-17.00 Uhr, Jungmannschaft 1 trifft sich zum Turnen in der Turnhalle von 15.00-17.00 Uhr. [7] Die Diensttafel der HJ für die Woche vom 1. bis zum 9. September 1934 macht in besonderer Weise deutlich, welche Bereitschaft erwartet wurde.

Dienstzeiten der HJ Garmisch-Partenkirchen - 1934

Tagesdienstplan der HJ Garmisch und Partenkirchen
für die Woche vom 1. bis  9. September 1934

 

Gezielte Erfassung aller Jugendlichen

Sogenannte Erfassungsappelle sorgten dafür, dass auch kein Jugendlicher „verlorengehen“ konnte. Jahrgang für Jahrgang wurde aufgerufen - wie bei der Wehrmacht. Voraussetzung für die Erfassungsappelle war die genaue Übersicht über die Mitglieder in den einzelnen Orten. In Garmisch-Partenkirchen war dafür HJ-Führer Bernhard Roth zuständig. Er ging seiner Aufgabe zuverlässig nach. Im August 1934 wandte er sich an 1. Bürgermeister Thomma: „Die Hitler-Jugend Gebiet 19 Hochland benötigt von sämtlichen Orten ihres Bereiches eine genaue Aufstellung aller in dem betreffenden Ort ansässigen Jugendlichen, um nachprüfen zu können, in wieweit die Jugend bisher durch die HJ erfasst wurde.“  Ergebnis für Garmisch: von den 6-10jährigen waren 154 Jugendliche beim Jungvolk, von den 10-14jährigen 127 bei der HJ. [8]

1938 - die Mitgliedschaft in der HJ war noch nicht verpflichtend - meldete die Oberrealschule Garmisch-Partenkirchen: 98,7 % aller Schüler sind in der HJ. Die Schule stellte der HJ Räume zur Verfügung, führte aber auch Klage über den durch die NS-Jugend mutwillig ausgelösten Unterrichtsausfall. Schulleiter und Studiendirektor Höllerer führte daraufhin eine Aussprache mit HJ-Führern herbei. [9]

Dann kamen die jährlichen Erfassungsappelle mit großem Zeremoniell durch Landrat Dr. Wiesend: Hier das Beispiel für die „Einberufung des Jahrgangs 1923 zur HJ“. Laut Gesetz über die Hitlerjugend „unterstehen alle Jugendlichen des Jahrgangs 1923 deutscher Staatsangehörigkeit, die den blutsmäßigen Anforderungen zum Reichsbürgergesetz entsprechen und nicht als Juden (jüdische Mischlinge) anzusehen sind, der Gestellungspflicht.“ Die Erfassungsappelle fanden für die Gemeinden des  Kreises statt: „Für Garmisch-Partenkirchen u. Grainau am 4.10.1940 um 14 Uhr in Garmisch-Partenkirchen, SA-Heim.“ Die Erfassungsappelle wurden von dem zuständigen HJ-Führer geleitet und fanden im Beisein des Bannführers, des Bürgermeisters und des zuständigen Gendarmeriepostens statt.[10]

Im Februar 1941 wurden auch die jüngsten Jahrgänge 1930 und 1931 in den Bann Werdenfels (328) der HJ übernommen: „Auf Grund der §§ 1,9 Jug.D.V.O.. sind im Jahre 1941 alle zehnjährigen reichsangehörigen Jungen und Mädel… zum Dienst in der Hitlerjugend zu erfassen. Eltern und gesetzliche Vertreter sind verpflichtet, diese Jugendlichen… bei der HJ-Bannführung 326, Garmisch-Partenkirchen, Haus der Nationalsozialisten, anzumelden.“ In der Zeit vom 5. März bis 15. April 1941 fanden in den Gemeinden Erfassungsappelle statt. „Eltern und gesetzliche Vertreter sind verpflichtet, alle Jugendlichen der aufgerufenen Jahrgänge zu diesen Appellen zu schicken.“ Juden und solche jüdischen Mischlinge, die als Juden gelten, „sind nicht anzumelden.“ [11]  

 

Provokation der Kirche

Besonderen Unwillen erregte es. wenn Veranstaltungen der HJ zeitlich bewusst so angesetzten waren, dass damit die Teilnahme an Gottesdiensten kaum möglich war. Das Bezirksamt berichtete der Regierung von Oberbayern darüber: „Das katholische Volk schenkt den Besorgnissen, die in den Hirtenbriefen zum Ausdruck kommen, meist vollen Glauben und entfremdet sich dadurch der Idee der nationalsozialistischen Weltanschauung… z.B. Übungen der HJ, BdM, SA während des sonntäglichen Gottesdienstes.“  Damit traf man in einer weitgehend katholischen Tradition und Umgebung Eltern und Jugendliche. [12]

Religiöse Widerstände wurden deutlich: NS-Kreisgeschäftsführer Kropfelner informierte Landrat Dr. Wiesend über verschiedene Appelle der Wehrmannschaften im Kreisgebiet. Allein in Garmisch waren 450 Mann angetreten. Kreisleiter Scheck sprach „zu den Männern über Sinn und Bedeutung der vormilitärischen Ausbildung.“ Oberleutnant Seidenschwann, Verbindungsoffizier der Wehrmacht, sprach „über die Aufgaben der Wehrerziehung als vorbereitende Schule der Soldaten.“ Er erwähnte dabei auch Probleme wegen der Verhaftung des Garmischer Pfarrers Mencke und seiner beiden Kapläne. „Eltern würden ihre Kinder aus diesem Grund teilweise vom HJ-Dienst abhalten.“ [13]

 

Schule und Hitlerjugend

Die Beziehungen zwischen Schule und HJ wurden schon im März 1934 in einer Bekanntmachung des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus geregelt. Darin heißt es: „1. Die Hitlerjugend hat die Aufgabe, die Erziehungsarbeit der Schule durch Stählung des Charakters, Förderung der Selbstzucht und körperliche Schulung zu ergänzen. 2. Zum Eintritt in die Hitlerjugend bedürfen die Schüler keiner Genehmigung durch die Schule… Schüler über 18 Jahren können ausnahmsweise auch in die SA (SS) eintreten.“

Uniformen und Gruß wurden ebenfalls neu geordnet: „Schüler und Schülerinnen, die der Hitlerjugend einschließlich des Jungvolks, der SA, SS oder dem Bund Deutscher Mädel einschließlich der Jungmädel angehören, dürfen deren Uniformen und Abzeichen auch in der Schule und bei Veranstaltungen der Schule tragen… Lehrer (einschließlich der Religionslehrer) und Schüler (Schülerinnen) erweisen einander innerhalb und außerhalb der Schule den deutschen Gruß (Hitlergruß). Der Lehrer tritt zu Beginn jeder Unterrichtsstunde vor die stehende Klasse und grüßt als erster, indem er den rechten Arm erhebt und dabei die Worte „Heil Hitler“ spricht. Die Klasse erwidert den Gruß in der gleichen Weise.“ [14] 

 

Heime für die Hitlerjugend

Das erste Heim im Bezirk Garmisch wurde bereits am 28. September 1934 in der Partenkirchner Martinswinkelstraße eröffnet.[15] Das Garmisch-Partenkirchner Tagblatt berichtete darüber ausführlich am 4.Oktober 1934: „Das erste HJ-Heim im Werdenfelser Land wurde im Partenkirchner Martinswinkel erstellt. Der Eröffnungsfeier gingen sportliche Veranstaltungen und ein Bunter Abend in den Kurlichtspielen voraus. Am Vorabend fand ein Fackelzug der HJ zum Kriegerdenkmal Partenkirchen statt. Nach dem Totengedenken wurden die Fahnen zum Rathaus gebracht.“Gebietsführer Klein besuchte aus diesem Anlass Unterbann und Stamm II des Bannes 26: „In seiner Ansprache an die HJ mahnte er nicht nur, äußerlich und im Dienst eine mustergültige Haltung beizulegen, sondern auch im privaten Leben zu zeigen, dass man ein Hitler-Junge ist.“

NS-Bürgermeister Jakob Scheck aus Partenkirchen „sprach kampffrohe Worte an seine Jugend.“ Eine Reihe führender Persönlichkeiten der SA, der Arbeitsfront, der Partei und der Behörden war erschienen. Neben dem gesamten Gemeinderat von Partenkirchen mit seinem ersten Bürgermeister an der Spitze war auch der Gemeinderat von Garmisch mit Bürgermeister Thomma vertreten. Auch „Oberregierungsrat Roidl, Kreisleiter Röhrl, der Vertreter des NSKK, Olympiaführer Kilian, der Vertreter der Realschule und der Vertreter des Bannes 26, Bannführer Sonderer, wohnten den Veranstaltungen bei.“ [16] 

     
  HJ-Zeitschrift 75/1937: Eröffnungsfeier mit NS-Prominenz  

HJ-Zeitschrift 76/1938: Neues Heim für Oberau

 


Dennoch: Jugendliche verweigern den HJ-Dienst

Nicht alles konnte überzeugen. Der Drill wurde von manchen als absurd empfunden. Der Gedanke der Wehrerziehung gefiel nicht jedem in der HJ. Zunächst ballten sie nur die Faust in der Tasche. Nach Kriegsbeginn begann aber auch in Garmisch-Partenkirchen eine innere und äußere Auswanderung aus der HJ – trotz schöner Heim, feuriger Sprüche und sportlichem Zeitvertreib. Seit April 1940 häuften sich die Meldungen über jugendliche Dienstverweigerer.

Es begann mit einem Rapport von Obergefolgschaftsführer Anton Dopfer am 29. April 1940 aus dem Hitler-Jugend Bann 326 Werdenfels an Landrat Dr. Wiesend. Betreff: Dienstverweigerung. [17]Dopfer schrieb: „Anliegend übersende ich Ihnen eine Aufstellung der Jungens, die am Freitag den 26.IV. den Dienst verweigert haben. Es handelt sich um Jungens vom Fähnlein 18 Garmisch (Jungvolk). Ich ersuche, das Weitere zu veranlassen. Gez. Anton Dopfer Obergefolgschaftsführer.“ Die ersten namentlich bekannten Verweigerer hießen Johann Art, Ferdinand Sailer, Hermann Ostler, Martin Demmel, Wilhelm Hartl, Erich Schönberger, Erwin Mühlbauer, Anton Heiß, Fritz Pohl und Jakob Praxmeier.

Nur wenige Tage später, am 9. Mai 1940, brachte auch Roland Koppenmüller, er war Führer der Gefolgschaft 17 und ist 1941 in Russland gefallen, die folgenden Jungen zur Anzeige. Der Grund: „Sie fehlen ständig bei Dienst:“ [18] Diesmal waren es schon erheblich mehr junge Leute, die der HJ innerlich gekündigt hatten: Andreas Beck, Josef Sperber, Ludwig Furth, Georg Grasegger, Josef Grasegger, Ludwig Greiner, Georg Neuner, Ostler Martin, Klement Porer, Josef Zwerger, Karl Maurer, Johann Maier, Anton Schwaiger, Anton Wagner, Johann Blößl, Erhardt, Gottfried Brandmayer, Anton Berghofer, Josef Hengg, Kurt Steinkirchner, Max Wendler, Anton Witting, Otto Trautinger, Josef Rottenwallner, Max Konstanzer, Franz Grasegger, Max Gleitsmann, Hans Edelmann, Siegfried Knoll, Jörg Wendler und Hans Westermeier – insgesamt 31! 

 

Anton Reindl und Josef Graf

Beispiele zweier junger Garmisch-Partenkirchner „Dienstverweigerer“ samt offener Unterstützung ihrer Eltern ist im Marktarchiv dokumentiert.

Bei dem einen handelte sich um den Anton Reindl, Sohn des Schlossermeisters Georg Reindl und seiner Frau Maria. Gradl und Zahneis, zwei Schutzpolizisten, gaben am 17. Dezember 1942 ihrer Dienststelle folgenden Bericht über den Vater des sperrigen Anton Reindl. Sie schrieben: Anton weigere sich beharrlich, an der außermilitärischen Wehrerziehung teilzunehmen. Sein Vater sei daraufhin polizeilich verhört worden. Dabei zeigte sich, dass Vater Reindl nationalsozialistische Grundgedanken in Frage stellte. So erklärte er, er lehne „diese Ausbildung für seinen Sohn in Bausch und Bogen ab“ und sei „der Meinung, dass es sich hier um einen ungesetzlichen Zustand handelt, denn die Wehrpflicht beginne bei ihm erst ab 18 Jahren und das andere sei nur „Parteisache“ und deshalb ungesetzlich.“ Auch weitere Belehrungen der Polizei ließ er nicht gelten: „Auf meine Erklärung hin, dass es sich hier um das Gesetz über die Hitlerjugend und die vom 1. Dez. 1936 und die Jugenddienstverordnung vom 25.3.39 handeln würde, meinte Reindl, das sei für ihn kein Gesetz, denn über jedes Gesetz werde vom Volk abgestimmt und er habe bis jetzt darüber noch nicht abgestimmt.“ Das war starker Tobak. Die Polizei reagierte hilflos: „Man kann nur annehmen, dass die Einstellung des Reindl entweder als grenzenlose Borniertheit oder aber als politisch alles andere als nationalsozialistisch anzunehmen ist… Es bleibt abzuwarten, ob Reindl in Zukunft seinen Sohn zu den Appellen der außermilitärischen Wehrerziehung schickt.“ Für die Polizisten blieb nur ein Schluss übrig: Die Schuld für das Fernbleiben Anton Reindls von der außermilitärischen Wehrerziehung lag beim Vater – und der war für sie „unzurechnungsfähig.“[19]

Drei Monate später, am 31. März 1943, wandte sich Maria Reindl, Antons empörte Mutter, an Haupttruppführer Völkel: „Heute soll mein Junge in den Appell der vormilitärischen Ausbildung kommen. Nun würde ich gerne wissen, … ob Sie den Jungen von einem ermüdeten Vater brauchen können. Der Vater kämpft seit 4 Jahren für Deutschlands Ruhm und Größe ohne eine vormilitärische Ausbildung genossen zu haben. Mein Sohn ist jetzt Lehrling statt unter dem Reichsjugendschutz. Wie stimmt das alles zusammen? Mit deutschem Gruß Frau Maria Reindl“[20]

Am 13. April 1943 beschwerte sich Hauptsturmführer Völkel über Anton Reindl. Völkel war Leiter der Wehrmannschaft der außermilitärischen Wehrerziehung beim SA-Sturm 23/J.4. Aus seinem Beschwerdebrief an den Bürgermeister des Marktes Garmisch-Partenkirchen: „Betreff: Anton Reindl, geb. 30.3.1927, Schnitzschulstraße 12b: Ich bringe Ihnen zur Kenntnis, dass der HJ-Angehörige Anton Reindl an keinem der 27 abends von 20-22 Ihr in der Volksschule Partenkirchen in der Zeit vom 20. Oktober 1942 mit 7. April 1943 stattgefundenen Appellen teilgenommen hat… Am 31. März 1943 hätte Reindl am Appell teilnehmen müssen. Anstatt dass Frau Reindl ihren Sohn zum Appell geschickt hätte, schickte sie mir beiliegenden Brief. Heil Hitler." [21]

Nur eine Woche später, am 24. April1943, beschäftigten die HJ-Wehrerziehungsverweigerer auch den Landrat des Kreises Garmisch-Partenkirchen. Er beauftragte den Bürgermeister des Marktes mit der Erzwingung der Jugenddienstpflicht: „Der Führer des Bannes Garmisch (326) hat gegen die nachstehend aufgeführten Jugendlichen die Verhängung von Wochenendkarzer beantragt, weil sie sich in gröblicher Weise ihren Dienstpflichten im Rahmen der vormilitärischen Ausbildung entziehen:“ [22] Wieder war Anton Reindl dabei, diesmal zusammen mit Adolf Bösl, Josef Leiderer, Alois Ojetz, Hubert Strobl, Anton Heiß, Ignaz Lechner, Fritz Pohl und Andreas Beck.

Der andere Verweigerer hieß Josef Graf, war Kaufmannslehrling und wohnte in der Krankenhausstr. 2 bei seinen Eltern. Graf wurde am 11. Mai 1941 von der Schutzpolizei Garmisch-Partenkirchen wegen "wiederholter Verweigerung des HJ-Dienstes" festgenommen. "Nach energischer Zurechtweisung und anschließender geeigneter Belehrung" wurde er für 12 Stunden in polizeilichen Gewahrsam genommen und während dieser Zeit in einem gemeindlichen Arrestraum untergebracht. Mittagsverpflegung wurde vom Gasthof "Zum Schatten" verabreicht.[23]

   
  Haupttruppführer Völkel beschwert sich im November 1942
bei NS-Bürgermeister Jakob Scheck über Anton Reindl
 
     

Maria Reindl, Mutter von Anton Reindl, fordert Völkel auf,
auf ihren Sohn  bei der HJ zu verzichten.

Meldung der Polizei vom 11. Mai 1941
über das Verhalten von  Josef Graf

     

Eine kleine Gruppe selbstbewusster, unerschrockener Jugendlicher zeigte mitten im Krieg, dass es möglich war, Sand ins Getriebe des nationalsozialistischen Militärwahns zu streuen. Hut ab vor diesen jungen Leuten und ihren Eltern.

 


[1] Garmisch-Partenkirchner Tagblatt 10.09.1938

[2] LRA 199063 Garmisch-Partenkirchen – HJ 1934-1945 - 06.04.1938

[3] LRA Garmisch-Partenkirchen 62621 - Monatsberichte BAG 1936 - 02.11.1936

[4] LRA Garmisch-Partenkirchen 199063 - HJ 1934-1945 - 18.08.1939

[5] LRA 199063 Garmisch-Partenkirchen – HJ 1934-1945 - 22.09.1943

[6] LRA 199063 Garmisch-Partenkirchen – HJ 1934-1945 - 27.05.1935 - 27.05.1935

[7] dto.

[8] Marktarchiv Garmisch-Partenkirchen – I/3/22 - Hitlerjugend

[9] Jahresbericht der Oberrealschule Garmisch-Partenkirchen1937/38 S.18

[10] LRA 199063 Garmisch-Partenkirchen – HJ 1934-1945 - 09.10.1940

[11] LRA 199063 Garmisch-Partenkirchen – HJ 1934-1945 - 21.2.1941

[12] LRA Garmisch-Partenkirchen 61615 - Monatsberichte 1937-1938 - 04.01.1937

[13] LRA 199070 NSDAP Kreistage 1936-1944 - 10.04.1940

[14] Bayerische Staatszeitung 10.03.1934

[15] Marktarchiv Garmisch-Partenkirchen – I/3/22 - Hitlerjugend

[16] Garmisch-Partenkirchner Tagblatt, 04.10.1934

[17] Marktarchiv Garmisch-Partenkirchen - Akt 936 – Hitlerjugend

[18] Marktarchiv Garmisch-Partenkirchen - Akt 936 – Hitlerjugend

[19] Marktarchiv Garmisch-Partenkirchen - Akt 936 – Hitlerjugend

[20] Marktarchiv Garmisch-Partenkirchen - Akt 936 – Hitlerjugend

[21] Marktarchiv Garmisch-Partenkirchen - Akt 936 – Hitlerjugend

[22] Marktarchiv Garmisch-Partenkirchen - Akt 936 – Hitlerjugend

[23] Marktarchiv Garmisch-Partenkirchen - Akt 936 – Hitlerjugend


 

 

 

© Alois Schwarzmüller 2018