"Halt's Maul, sonst kommst nach Dachau!" - Staatsfeinde, Schutzhaft, KZ Dachau

 

 

 

 

Der Machtübertragung an Hitler und die NSDAP am 30. Januar 1933 folgte die systematische Beseitigung des Rechtsstaates, verbunden mit organisiertem Terror gegen politische Gegner, die sich nicht mundtot machen lassen wollten und gegen Menschen, die "anders" waren und nicht in das Bild vom "Herrenmenschen" passten wie Juden, Zigeuner, Homosexuelle und soziale Außenseiter.

 

 

Der "Illustrierte Beobachter", die Wochen-Illustrierte der NSDAP, berichtete am 3. Dezember 1936 mit dieser Titelseite ganz offen über das Konzentrationslager Dachau.

Umschlagseite mit dem "Verzeichnis der Schutzhäftlinge im Konzentrationslager Dachau" aus dem Bezirksamt Garmisch (Quelle: StAM LRA 199036)

 

 

Schon Anfang März 1933 gab es einen ersten Hinweis darauf, dass auch in den Gemeinden des Bezirks Garmisch schier grenzenlos mächtig gewordene NS-Funktionäre auf die Gelegenheit warteten, mit ihren politischen Gegnern gewaltsam und gefahrlos  abrechnen zu können. Das Bezirksamt informierte in diesen Tagen die Regierung von Oberbayern darüber, dass "die NSDAP mit baldiger Heranziehung zu polizeilichen Aufgaben"[1] rechne. Am 11. März war es soweit: In der Nacht zum Samstag wurden „Personen, die als kommunistische Parteifunktionäre bekannt sind, in Polizeihaft genommen.“[2] Dabei kam es auch zu den ersten Hausdurchsuchungen. Die SA gab dabei den Ton, nach offizieller Lesart hieß es, die Gendarmerie werde „durch SA und Stahlhelm unterstützt“.[3] Die rechtsstaatlichen Machtverhältnisse standen aber Kopf: Mitglieder der NSDAP-Parteiarmee und eines der NSDAP nahestehenden paramilitärischen Wehrverbandes machten sich auf den Weg, um politisch missliebige Personen zu verhaften und ins Gefängnis zu sperren.

Der Bericht des Bezirksamtmanns von Merz macht das ganze Ausmaß dieser Aktion deutlich.[4] Es handelte sich nicht nur um „einige Personen“, sondern um eine Gruppe von 14 als „kommunistische Aufwiegler“ bezeichnete Männer, die auf „Weisung des Herrn Reichsbeauftragten“ Franz Ritter von Epp in Schutzhaft genommen wurden. Epp hatte zwei Tage zuvor die rechtmäßige bayerische Staatsregierung im Auftrag Hitlers aus dem Amt gedrängt.

Sieben der Verhafteten kamen aus Garmisch. Sie hießen Karl Christoph, Max Unger, Richard Schwanninger, Josef Brunner, Ludwig Handlmeier, Max Gmeinwieser und Dominik Malik. Sie wurden als „Aufwiegler“ bezeichnet, als „treibende Kraft im Stillen“. Christoph und Gmeinwieser wurden als „Führer“ genannt, Malik war „Broschürenverteiler“. Sieben weitere Anhänger der KPD wurden in Partenkirchen festgenommen: Anton Piethold als Vorsitzender, Paul Riedel, Bernhard Kaspar, Josef Radner, Eberhard Kaufmann, Adolf Breuer und Alfred Lauterbach als „Schriftenverteiler, Aufwiegler, Propagandist“.

Außer Mitgliedern der KPD oder ihr Nahestehenden wurden mit der gleichen Aktion auch die folgenden Personen vorübergehend in Haft genommen: In Garmisch Therese Götz, Andreas Buch, August Mairandres, Michael Siefert, Albert Wittmann, Josef Reiser und Josef Reitmeier; in Partenkirchen Franz Xaver Schöffmann, Josef Schmidt, Josef Haas, Walter Fehrenz und Johann Schramek.

Von Merz nannte in seinem Bericht die Verantwortlichen für diese Aktion mit 26 Verhaftungen ohne Haftbefehl: „Die Festhaltung in Polizeihaft erfolgte, soweit die Einzelnen dem Bezirksamt und den Gendarmerieorganen nicht bereits als Funktionär etc. der KPD bekannt waren, unter Verantwortung der hiesigen Führer der NSDAP-Formationen.“[5] Das waren der NS-Kreisleiter und SA-Sonderkommissar Hans Hartmann, der Partenkirchner SA-Führer Jakob Scheck und der Garmischer SA-Führer Josef Thomma. Mit ihren Machtbefugnissen endete der Rechtsstaat, die Willkürherrschaft begann.

 

 

 

 

 

Verzeichnis der ersten Häftlinge aus dem Bezirk Garmisch, die im März 1933 aus der "Schutzhaft" in das Konzentrationslager Dachau überstellt wurden:
"Lfd.Nr. - Name - Geburtszeit - Geburtsort - Familienstand - Beruf - Wohnort - Tag der Festnahme - Nach Dachau gebracht am: - Bemerkungen"  (Quelle: StAM LRA 199036)

 

Der eine oder andere NS-Funktionär wollte noch weiter gehen. So drängte die NSDAP-Ortsgruppe Garmisch-Partenkirchen im August 1933 die Gendarmeriestation Garmisch zur Herausgabe der Adresse von Personen, denen – aus Sicht der NSDAP – „minderwertige Handlungen“[6] zugetraut wurden. Ortsgruppenleiter von Hagen wollte Verhaftungen durch die NSDAP, Verdacht genügte. Der neue Bezirksamtmann Dr. Franz Fux, Nachfolger des nach Regensburg versetzten Carl von Merz, berichtete am 30. August 1933, dass "am letzten Sonntag mit Hilfe von SA-Mannschaften eine Razzia in Partenkirchen durchgeführt wurde, bei der 20 verdächtige arbeitsscheue männliche Personen im Alter von 18 – 26 Jahren festgenommen und in Schutzhaft genommen wurden.“[7] Er fügte hinzu, er „hoffe, dass ein großer Teil dieser Tagediebe nach Lager Dachau zur weiteren Verwahrung übernommen wird.“[8] Fux lag damit ganz auf der Linie der NS-Propaganda, die das Konzentrationslager Dachau gerne zum harmlosen Umerziehungsort für soziale Außenseiter und politische Querulanten erklärte.

Ein Paradebeispiel für die Verharmlosung von „Dachau“ gibt ein Gedicht, das 1934 in Kohlgrub bei einer Faschingshochzeit vorgetragen wurde. Es handelt davon, dass die Sammler für das „Winterhilfswerk“ nicht von allen mit offenen Armen empfangen wurden:[9]

„Ma woaß ja, oft a ganz a Arma
Ko nix gebm, isch selbm zum dabarma.
Doch meistens san's dö Bessergstelltn,
Dö so üba d'Sammla scheltn.
Oft oa, dö doan sie glei vaduftn
Voar dö Sammla, dö san Schuftn.
Eisngeld werd a neigschmissn
Vo sölle Leut, dö ham koa Gwissn.
Dös wißt's, daß ma bei sölla Sünd
Glei schnurstraks auf Dachau kimmt.“

Lange dauerte es freilich nicht, bis der wahre Charakter dieses Lagers erkannt wurde. Kritik am Dritten Reich oder an seinen politischen Führern wurde immer häufiger von der Warnung "Halts Maul, sonst kommst nach Dachau!" begleitet.

Am Jahresende 1934, knapp zwei Jahre nach der „Machtergreifung“, erstellte das Bezirksamt Garmisch eine „Liste über die in Schutzhaft genommenen Personen“. Danach wurden vom 11. März 1933 bis zum 6. Dezember 1934 insgesamt 132 Personen aus dem Bezirk in „Schutzhaft“ genommen, bei 28 von ihnen stand der Vermerk „Dachau“, sechs wurden zuerst „nach Weilheim, dann nach Dachau“ gebracht, einer wurde „von SS nach München verbracht“.[10] Eine zweite vom Bezirksamt angefertigte Liste nannte für die Zeit vom 4. November 1934 bis zum 18. Januar 1938 noch einmal 44 „in Schutzhaft genommene Personen.“[11]

 


[1] StAM – LRA 61611 – Monatsberichte des Bezirksamts Garmisch 1933 – 01.03.1933

[2] ebd.

[3] ebd.

[4] StAM – Spruchkammern – Karton 629, Hans Hartmann – 11.03.1933

[5] StAM – Spruchkammern – Karton 629, Hans Hartmann – 11.03.1933

[6] StAM – LRA Garmisch-Partenkirchen 199036 – Schutzhaft – 26.08.1933

[7] ebd.

[8] ebd. – 30.08.1933

[9] zit. nach Luitraud M. Ober, Kohlgrub - Eine Ortsgeschichte. Mit besonderer Berücksichtigung der Zeit unter den Klöstern Rottenbuch und Ettal 1295/1330 - 1803 (St. Ottilien, 1956) - Der Verfasser des Gedichts war Johann Mangold , Hochzeitslader zu Kohlgrub.

[10] StAM – LRA Garmisch-Partenkirchen 199036 – Schutzhaft

[11] ebd.

 

© Alois Schwarzmüller 2013