7. Arisierung, Abschiebung,
Auschwitz -
Drei Einzelschicksale
JAKOB LIEBENSTEIN[61]
Der Schuhhändler Jakob
Liebenstein wurde am 1883 in Hüttenheim als deutscher Staatsbürger
geboren. Er war verheiratet mit Leonie Liebenstein aus Pirmasens,
geboren 1887. Die Zwillingstöchter Lieselotte und Ruth erblickten das
Licht der Welt 1921 in Garmisch-Partenkirchen. Seit 1919 betrieb
Liebenstein ein kleines Schuhgeschäft in der Ludwigstraße.
1936 wurde er wegen
unlauteren Wettbewerbs angezeigt, weil er vor seinem Laden ein Plakat
angebracht hatte mit dem Text "Reparaturen: schnell, gut und billig."
Die Zeugin Anneliese
Wollenburg berichtete 1948 beim Spruchkammerverfahren gegen Hausböck,
daß sie am 10. November 1938 "mit meiner Freundin gegen 1/2 10 Uhr
einkaufen ging, die Ludwigstraße herunter kam und wahrgenommen hatte,
daß die Schaufensterscheibe des Juden Liebenstein zerschlagen war.
Dies wunderte mich aber nicht sonderlich, weil es schon öfter der Fall
war." Im Verlaufe des Pogroms am 10. November wurden aber nicht nur
Fensterscheiben eingeschlagen, es wurde geplündert, beschmiert und
beschädigt. Liebenstein mußte Garmisch-Partenkirchen mit Frau und
Kindern "freiwillig" verlassen wie die anderen jüdischen Bürger
gleichfalls. Er fand einen Unterschlupf in München, zunächst in der
Tattenbachstr. 3, seit Juni 1939 Liebherrstr. 1.
Sein Geschäft mit allem was
dazugehörte wurde arisiert, oder, wie man das damals auch schon nannte,
abgewickelt.
"ABWICKLUNG DES JÜDISCHEN
SCHUHGESCHÄFTS LIEBENSTEIN"
14.11.1938
Antrag auf Erteilung einer
Ausnahmebewilligung nach dem Gesetz zum Schutz des Einzelhandels
"Erlaube mir höflichst anzufragen, betreffs der Arisierung des
Geschäftes Liebenstein. Wann und wo man sich hinwenden kann..."
"... Nachdem aus Garmisch-Partenkirchen endlich sämtliche Juden
verschwunden sind, wird es wohl nicht mehr lange dauern, bis das bisher
von dem Juden Jacob Liebenstein in Partenkirchen, Ludwigstr. 36
geführte Geschäft in die Hände eines Ariers übergeht..."
15.11.1938
Stellungnahme des Bürgermeisters
von Garmisch-Partenkirchen, Jakob Scheck
"Liebenstein ist nicht mehr hier, sein Geschäft wurde polizeilich
geschlossen. M. will diese Verkaufsstelle auf gleichem Anwesen
weiterführen."
Landrat Dr. Wiesend an Jakob Liebenstein, München,
postlagernd, Mü 15
"Da Sie Garmisch-Partenkirchen verlassen und Ihren Wohnsitz verlegt
haben... und auch sonst eine ordnungsgemäße Abwicklung durch Sie
keineswegs gewährleistet ist, wird durch das Bezirksamt ein Abwickler
aufgestellt."
31.12.1938
Stellungnahme der Industrie- und Handelskammer München an das
Bezirksamt Garmisch-Partenkirchen
"... Anläßlich der bei der Gauleitung gepflogenen Verhandlungen über
die Feststellung derjenigen jüdischen Geschäfte, die erhalten bleiben
sollen, bestand Einigkeit darüber, daß die Weiterführung des Geschäftes
des Juden Liebenstein erwünscht erscheint..."
31.12.1938
Zusammenstellung von Josef Geiselbrechtinger, Abwickler
Es bleibt ein Nettoverkaufswert von RM 10996,17.
3.1.1939
"Kaufvertrag für die Übernahme des jüdischen Schuhgeschäfts J.
Liebenstein"
6.1.1939
Bezirkssparkasse Garmisch-Partenkirchen an Josef Geiselbrechtinger,
Abwickler
"Wir bestätigen Ihnen wunschgemäß, daß von Herrn M., in Sachen Jacob
Liebenstein ein Betrag von 10996,17 ... einbezahlt worden ist.
Heil Hitler Bezirkssparkasse"
11.1.1939
Bürgermeister Jakob Scheck an
Josef Geiselbrechtinger, Abwickler
"In der Sache Liebenstein melde ich an
Gewerbesteuer 1938 285.- RM
Bürgersteuer 1939 27.- RM"
14.1.1939
Jakob Liebenstein an den Abwickler Josef Geiselbrechtinger
"... Heute muß ich Sie ersuchen, mir aus dem Erlös meines Geschäfts
einen Betrag von RM 500.- zur Bestreitung der Lebsucht für mich und
meine Familie zukommen zu lassen."
15.1.1939
Abwickler Josef Geiselbrechtinger an Landrat Dr. Wiesend
"Ersuche um Anweisung, in welchem Sinn ich diesen Brief beantworten
soll..."
23.1.1939
Landrat Dr. Wiesend an Jakob Liebenstein
"Ihr Verlangen auf Überweisung eines Betrages von 500.- RM zur
Bestreitung Ihrer Lebsucht ist insofern verfrüht, als die Abwicklung
des Geschäfts noch nicht völlig durchgeführt ist."
26.01.1939
Landrat Dr. Wiesend an Polizeipräsidium München
"Nach einer Mitteilung des Liebenstein vom 3.12.38 will letzterer mit
seiner Familie für dauernd in die Schweiz auswandern."
2.2.1939
Finanzamt Garmisch-Partenkirchen
"Gegen die Ausreise der Juden Liebenstein bestehen in steuerlicher
Hinsicht keine Bedenken."
6.2.1939
Jakob Liebenstein an Landrat Dr. Wiesend
"Nachdem sich nun überblicken läßt, welcher Betrag aus dem Verkauf
meines Geschäftes übrig bleibt, möchte ich um eine Übersendung eines
Betrages von 1000.- RM höfl. bitten, da ich das Geld in erster Linie zum
Leben brauche, andererseits die Auswanderung meiner beiden Töchter,
welche in allernächster Zeit vor sich geht, alle möglichen Ausgaben
verursacht."
9.2.1939
Abwickler Josef Geiselbrechtinger an Landrat Dr. Wiesend
"Nach Feststellung der Außenstände des Schuhgeschäfts Liebenstein
blieben noch ca. 1400.- bis 1500.- RM zugunsten des L. übrig."
14.2.1939
Jakob Liebenstein an Landrat Dr. Wiesend
"... möchte ich Sie nochmals bitten, mir den angeforderten Betrag doch
sofort zugehen zu lassen, denn ich habe nichts mehr zum Leben, und
andererseits bin ich mit der Auswanderung meiner Töchter behindert, da
mir auch zur Erledigung dieser Sache ... Mittel fehlen und dieselben
so bald wie möglich abreisen sollen, da sie einem Handwerkskurs in
England zugeteilt sind."
16.2.1939
Landrat Dr. Wiesend an Jakob Liebenstein
"Sobald das Einverständnis des Herrn Oberfinanzpräsidenten vorliegt,
erfolgt die Auszahlung des erbetenen Zuschusses."
21.2.1939
Der Oberfinanzpräsident an Landrat Dr. Wiesend
"Gegen die Auszahlung von RM 1000.- ... bestehen meinerseits keine
Bedenken, da dieser Betrag glaubwürdigerweise für Auswanderungszwecke
... verwendet werden soll."
12.4.1939
Jakob Liebenstein an Abwickler Josef Geiselbrechtinger
"Hiermit bitte ich höfl. um Zusendung von RM 200.- aus meinem
Guthaben, da ich das Geld zum Leben brauche."
23.4.1939
'Jakob Liebenstein an Landrat Dr. Wiesend
"Es besteht für mich die Aussicht, unter Umständen schon in 1 1/2 - 2
Monaten endgültig auszuwandern. Ich möchte deshalb höflichst bitten,
daß die Angelegenheit meiner früheren Firma Jakob Liebenstein,
Ludwigstr. 36, Partenkirchen, bald endgültig abgeschlossen wird, damit
ich nötigenfalls über den Restbetrag schnellstens verfügen kann und an
der Auswanderung nicht gehindert bin."
23.4.1939
Jakob Liebenstein an Abwickler Josef Geiselbrechtinger
"... Vielleicht ist es Ihnen möglich, mir einstweilen RM 45.-
anzuweisen, damit ich am 15. meine Miete pünktlich zahlen kann.
Meine beiden Töchter sind bereits seit 25.3. in England und ... kann ich
mit meiner Frau selbst auch bald dorthin... die Genehmigung von England
(Permit) kann sehr rasch kommen."
25.4.1939
Landrat Dr. Wiesend an Jakob Liebenstein
"Die Abwicklung ihres Geschäfts ist abgeschlossen, es verbleibt ein
Barbestand von RM 421,91."
16.11.1951
Wiedergutmachungskammer beim Landgericht München I
Verhandlung Liebenstein/M. wegen Rückerstattung
LUDWIG UND MARGARETE
ALTSCHÜLER[62]
Im Krüner Ortsteil
Bärnbichl, Haus Nr. 91, lebte das jüdische Ehepaar Altschüler aus
Neustadt a. d. Weinstraße etwa seit Juli 1940. Die Wohnung dort war
ihnen durch den Garmischer Justizrat und Notar Sailer zur Verfügung
gestellt worden. Die Gendarmeriestation Garmisch leitete im August die
Ausweisung des Ehepaars ein.
Im September 1940 wurde
gegen Ludwig und Margarete Altschüler von der Gendarmeriestation
Wallgau angezeigt, weil sie, so der Vorwurf, "ihre zusätzlichen
Vornamen Israel und Sara nicht geführt hatten und dadurch ihre jüdische
Abstammung verheimlichten."
Die Verhandlung fand am 16.
Januar 1941 vor dem Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen statt, die
Eheleute wurden zu je zwei Wochen Gefängnis verurteilt, weil sie die
zusätzlichen jüdischen Vornamen "Sara" und "Israel" nicht geführt
hatten. Die Polizei meldete danach: "Die Altschüler verhalten sich ruhig
und leben vollständig zurückgezogen."
Nur fünf Monate später wurde
das Ehepaar von der Kreisgendarmerie verdächtigt, zu hamstern und sich
an Devisenschiebungen zu bereichern. Die Haussuchung am 16. Mai - eine
reine Schikane - erbrachte keine Bestätigung des Verdachts.
Am 28. November 1941
schließlich wurden, wie die Polizei berichtete, "die letzten im
Kreisgebiet ansässigen Juden, nämlich das Ehepaar Altschüler in Krün"
auf Veranlassung der NS-Gauleitung aus der Gemeinde Krün ausgewiesen
und in ein Judenlager in München überstellt: "Die Krüner Bevölkerung
begrüßt die Abreise." - Mit großer Sicherheit kann man vermuten, daß
damit die Deportation in ein Vernichtungslager verbunden war.
ANNA RIEMER[63]
Frau Riemer, geb. 1893 in
Krefeld, evangelisch, jüdischer Abstammung, zog 1938 aus Saarbrücken
nach Garmisch-Partenkirchen. Sie war verheiratet mit dem
Studienprofessor a.D. Dr. Otto Paul Riemer, der im März 1939 an den an
den Folgen eines Unfalls gestorben war.
Landrat Dr. Wiesend beklagte
sich im November 1941 bei der Kriminalpolizei darüber, daß "die Jüdin
Riemer ... ohne den vorgeschriebenen Zionsstern in der Öffentlichkeit
auftritt". Er mußte sich von der Polizeistation Garmisch-Partenkirchen
sagen lassen, daß "die genannte Anna Riemer aufgrund vorliegender
Umstände - Ehefrau eines Nichtjuden - nicht verpflichtet war, den
Judenstern zu zeigen."
Ob es weitere Versuche
gegeben hat, der Jüdin Anna Riemer in dem seit 1939 "judenfreien" Ort
Garmisch-Partenkirchen den Aufenthalt zu erschweren oder zu verleiden,
aus welchen Gründen sie Garmisch-Partenkirchen verlassen hat, bleibt
unklar. Auffällig jedenfalls ist, daß ihr weiteres Schicksal vom
Einwohnermeldeamt Garmisch-Partenkirchen im Auge behalten wurde. Aus den
handschriftlichen Eintragungen auf ihrer Meldekarte geht klar hervor,
daß sie von Garmisch-Partenkirchen am 21.7.1942 weggezogen ist,
"unbekannt wohin", daß sie dann "von der Gestapo in Frankfurt/M. in
Haft genommen" genommen wurde und daß sie "am 23.2.1943 in Auschwitz"
gestorben ist.
[61]
Gesamte Darstellung aus: LRA
Garmisch 61667
[62]
LRA Garmisch 61616 - 61620
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