"Juden sind hier nicht erwünscht!"

Zur Geschichte der jüdischen Bürger in Garmisch-Partenkirchen von 1933 bis 1945

 

 

 

7. Arisierung, Abschiebung, Auschwitz -
Drei Einzelschicksale

 

JAKOB LIEBENSTEIN[61]

Der Schuhhändler Jakob Liebenstein wurde am 1883 in Hütten­heim als deutscher Staatsbürger geboren. Er war verheiratet mit Leonie Lie­benstein aus Pirmasens, ge­boren 1887. Die Zwil­lingstöchter Lie­selotte und Ruth erblickten das Licht der Welt 1921 in Garmisch-Partenkirchen. Seit 1919 betrieb Liebenstein ein kleines Schuhge­schäft in der Ludwigstraße.

1936 wurde er wegen unlauteren Wettbewerbs angezeigt, weil er vor seinem Laden ein Plakat angebracht hatte mit dem Text "Reparaturen: schnell, gut und billig."

Die Zeugin Anneliese Wollenburg berichtete 1948 beim Spruchkammer­verfahren ge­gen Hausböck, daß sie am 10. November 1938 "mit meiner Freundin gegen 1/2 10 Uhr einkaufen ging, die Ludwigstraße herun­ter kam und wahrgenommen hatte, daß die Schaufen­sterscheibe des Ju­den Liebenstein zerschlagen war. Dies wunderte mich aber nicht sonderlich, weil es schon öfter der Fall war." Im Verlaufe des Po­groms am 10. November wurden aber nicht nur Fensterscheiben einge­schlagen, es wurde ge­plündert, beschmiert und beschädigt. Lieben­stein mußte Garmisch-Partenkirchen mit Frau und Kindern "freiwillig" verlassen wie die anderen jüdischen Bürger gleich­falls. Er fand einen Unterschlupf in München, zunächst in der Tat­tenbachstr. 3, seit Juni 1939 Liebherrstr. 1.

Sein Geschäft mit allem was dazugehörte wurde arisiert, oder, wie man das damals auch schon nannte, abgewickelt.

 

"ABWICKLUNG DES JÜDISCHEN SCHUHGESCHÄFTS LIEBENSTEIN"

14.11.1938
Antrag auf Erteilung einer Ausnahmebewilligung nach dem Gesetz zum Schutz des Einzelhandels
"Erlaube mir höflichst anzufragen, betreffs der Arisierung des Ge­schäftes Liebenstein. Wann und wo man sich hinwenden kann..."
"... Nachdem aus Garmisch-Partenkirchen endlich sämtliche Juden verschwunden sind, wird es wohl nicht mehr lange dauern, bis das bisher von dem Juden Jacob Lie­benstein in Partenkirchen, Lud­wigstr. 36 geführte Geschäft in die Hände eines Ariers über­geht..."

15.11.1938
Stellungnahme des Bürgermeisters von Garmisch-Partenkirchen, Jakob Scheck
"Liebenstein ist nicht mehr hier, sein Geschäft wurde polizeilich geschlossen. M. will diese Verkaufsstelle auf gleichem Anwesen weiterführen."

Landrat Dr. Wiesend an Jakob Liebenstein, München, postlagernd, Mü 15
"Da Sie Garmisch-Partenkirchen verlassen und Ihren Wohnsitz ver­legt haben... und auch sonst eine ordnungsgemäße Abwicklung durch Sie keineswegs gewährleistet ist, wird durch das Bezirksamt ein Ab­wickler aufgestellt."

31.12.1938
Stellungnahme der Industrie- und Handelskammer München an das Be­zirksamt Garmisch-Partenkirchen
"... Anläßlich der bei der Gauleitung gepflogenen Verhandlungen über die Feststel­lung derjenigen jüdischen Geschäfte, die erhalten bleiben sollen, bestand Einigkeit darüber, daß die Weiterführung des Geschäftes des Juden Liebenstein erwünscht erscheint..." 

31.12.1938
Zusammenstellung von Josef Geiselbrechtinger, Abwickler
Es bleibt ein Nettoverkaufswert von RM 10996,17.

3.1.1939
"Kaufvertrag für die Übernahme des jüdischen Schuhgeschäfts J. Liebenstein"

6.1.1939
Bezirkssparkasse Garmisch-Partenkirchen an Josef Geiselbrechtin­ger, Abwick­ler
"Wir bestätigen Ihnen wunschgemäß, daß von Herrn M., in Sachen Ja­cob Liebenstein ein Betrag von 10996,17 ... einbezahlt worden ist.
Heil Hitler Bezirkssparkasse"

11.1.1939
Bürgermeister Jakob Scheck an Josef Geiselbrechtinger, Abwickler
"In der Sache Liebenstein melde ich an
Gewerbesteuer 1938  285.- RM
Bürgersteuer  1939    27.- RM"

14.1.1939
Jakob Liebenstein an den Abwickler Josef Geiselbrechtinger
"... Heute muß ich Sie ersuchen, mir aus dem Erlös meines Ge­schäfts einen Betrag von RM 500.- zur Bestreitung der Lebsucht für mich und meine Familie zukommen zu lassen."

15.1.1939
Abwickler Josef Geiselbrechtinger an Landrat Dr. Wiesend
"Ersuche um Anweisung, in welchem Sinn ich diesen Brief beant­worten soll..."

23.1.1939
Landrat Dr. Wiesend an Jakob Liebenstein
"Ihr Verlangen auf Überweisung eines Betrages von 500.- RM zur Be­streitung Ihrer Lebsucht ist insofern verfrüht, als die Abwicklung des Geschäfts noch nicht völlig durchgeführt ist." 

26.01.1939
Landrat Dr. Wiesend an Polizeipräsidium München
"Nach einer Mitteilung des Liebenstein vom 3.12.38 will letzterer mit seiner Familie für dauernd in die Schweiz auswandern."

2.2.1939
Finanzamt Garmisch-Partenkirchen
"Gegen die Ausreise der Juden Liebenstein bestehen in steuerlicher Hinsicht keine Bedenken."

6.2.1939
Jakob Liebenstein an Landrat Dr. Wiesend
"Nachdem sich nun überblicken läßt, welcher Betrag aus dem Verkauf meines Ge­schäftes übrig bleibt, möchte ich um eine Über­sendung ei­nes Betrages von 1000.- RM höfl. bitten, da ich das Geld in erster Linie zum Leben brauche, andererseits die Auswanderung meiner bei­den Töchter, welche in allernächster Zeit vor sich geht, alle mög­lichen Ausgaben verursacht."

9.2.1939
Abwickler Josef Geiselbrechtinger an Landrat Dr. Wiesend
"Nach Feststellung der Außenstände des Schuhgeschäfts Liebenstein blieben noch ca. 1400.- bis 1500.- RM zugunsten des L. übrig."

14.2.1939
Jakob Liebenstein an Landrat Dr. Wiesend
"... möchte ich Sie nochmals bitten, mir den angeforderten Betrag doch sofort zuge­hen zu lassen, denn ich habe nichts mehr zum Le­ben, und andererseits bin ich mit der Auswanderung meiner Töchter behindert, da mir auch zur Erledigung dieser Sa­che ... Mittel feh­len und dieselben so bald wie möglich abreisen sollen, da sie ei­nem Handwerkskurs in England zugeteilt sind."

16.2.1939
Landrat Dr. Wiesend an Jakob Liebenstein
"Sobald das Einverständnis des Herrn Oberfinanzpräsidenten vor­liegt, erfolgt die Auszahlung des erbetenen Zuschusses."

21.2.1939
Der Oberfinanzpräsident an Landrat Dr. Wiesend
"Gegen die Auszahlung von RM 1000.- ... bestehen meinerseits keine Bedenken, da dieser Betrag glaubwürdigerweise für Auswanderungs­zwecke ... verwendet werden soll."

12.4.1939
Jakob Liebenstein an Abwickler Josef Geiselbrechtinger
"Hiermit bitte ich höfl. um Zusendung von RM 200.- aus meinem Gut­haben, da ich das Geld zum Leben brauche."

23.4.1939
'Jakob Liebenstein an Landrat Dr. Wiesend
"Es besteht für mich die Aussicht, unter Umständen schon in 1 1/2 - 2 Monaten end­gültig auszuwandern. Ich möchte deshalb höflichst bitten, daß die Angelegenheit mei­ner früheren Firma Jakob Lieben­stein, Ludwigstr. 36, Partenkirchen, bald endgültig abgeschlossen wird, damit ich nötigenfalls über den Restbetrag schnellstens ver­fügen kann und an der Auswanderung nicht gehindert bin."

23.4.1939
Jakob Liebenstein an Abwickler Josef Geiselbrechtinger
"... Vielleicht ist es Ihnen möglich, mir einstweilen RM 45.- an­zuweisen, damit ich am 15. meine Miete pünktlich zahlen kann.
Meine beiden Töchter sind bereits seit 25.3. in England und ... kann ich mit meiner Frau selbst auch bald dorthin... die Genehmi­gung von England (Permit) kann sehr rasch kommen."

25.4.1939
Landrat Dr. Wiesend an Jakob Liebenstein
"Die Abwicklung ihres Geschäfts ist abgeschlossen, es verbleibt ein Barbestand von RM 421,91."

16.11.1951
Wiedergutmachungskammer beim Landgericht München I
Verhandlung Liebenstein/M. wegen Rückerstattung

 

LUDWIG UND MARGARETE ALTSCHÜLER[62]

Im Krüner Ortsteil Bärnbichl, Haus Nr. 91, lebte das jüdische Ehe­paar Altschüler aus Neustadt a. d. Weinstraße etwa seit Juli 1940. Die Wohnung dort war ihnen durch den Garmischer Justizrat und No­tar Sailer zur Verfügung gestellt worden. Die Gen­darmeriestation Garmisch leitete im August die Ausweisung des Ehepaars ein.

Im September 1940 wurde gegen Ludwig und Margarete Altschüler von der Gendar­meriestation Wallgau angezeigt, weil sie, so der Vor­wurf, "ihre zusätzli­chen Vornamen Israel und Sara nicht geführt hatten und dadurch ihre jüdi­sche Ab­stammung verheim­lichten."

Die Verhandlung fand am 16. Januar 1941 vor dem Amtsgericht Gar­misch-Partenkir­chen statt, die Eheleute wurden zu je zwei Wochen Gefängnis verurteilt, weil sie die zusätzlichen jüdischen Vornamen "Sara" und "Israel" nicht geführt hatten. Die Polizei meldete danach: "Die Altschüler verhalten sich ruhig und leben voll­ständig zurückge­zo­gen."

Nur fünf Monate später wurde das Ehepaar von der Kreisgen­darmerie verdächtigt, zu hamstern und sich an Devisenschiebungen zu bereichern. Die Haussuchung am 16. Mai - eine reine Schikane - er­brachte keine Bestätigung des Verdachts.

Am 28. November 1941 schließlich wurden, wie die Polizei berichtete, "die letzten im Kreisgebiet ansässigen Juden, nämlich das Ehepaar Altschüler in Krün" auf Veranlas­sung der NS-Gauleitung aus der Ge­meinde Krün ausgewiesen und in ein Judenlager in München über­stellt: "Die Krüner Bevölkerung begrüßt die Abreise." - Mit großer Si­cherheit kann man vermuten, daß damit die Deportation in ein Vernichtungslager ver­bunden war.

 

ANNA RIEMER[63]

Frau Riemer, geb. 1893 in Krefeld, evan­gelisch, jüdischer Abstam­mung, zog 1938 aus Saarbrücken nach Garmisch-Par­tenkirchen. Sie war verheiratet mit dem Studienprofessor a.D. Dr. Otto Paul Riemer, der im März 1939 an den an den Folgen eines Unfalls ge­storben war.

Landrat Dr. Wiesend beklagte sich im November 1941 bei der Krimi­nalpolizei darüber, daß "die Jüdin Riemer ... ohne den vorge­schriebenen Zionsstern in der Öffentlichkeit auftritt". Er mußte sich von der Polizeistation Garmisch-Partenkirchen sagen lassen, daß "die genannte Anna Riemer aufgrund vorliegender Umstände - Ehefrau eines Nichtjuden - nicht verpflichtet war, den Judenstern zu zeigen."

Ob es weitere Versuche gegeben hat, der Jüdin Anna Riemer in dem seit 1939 "judenfreien" Ort Garmisch-Partenkirchen den Aufenthalt zu erschweren oder zu ver­leiden, aus welchen Gründen sie Garmisch-Partenkirchen verlassen hat, bleibt unklar. Auffällig jedenfalls ist, daß ihr weiteres Schicksal vom Einwohnermeldeamt Garmisch-Partenkirchen im Auge behalten wurde. Aus den handschriftlichen Eintragungen auf ih­rer Meldekarte geht klar her­vor, daß sie von Garmisch-Partenkir­chen am 21.7.1942 weggezogen ist, "unbekannt wohin", daß sie dann "von der Gestapo in Frank­furt/M. in Haft genommen" genommen wurde und daß sie "am 23.2.1943 in Auschwitz" gestorben ist.

 

[61] Gesamte Darstellung aus: LRA Garmisch 61667

[62] LRA Garmisch 61616 - 61620

[63] LRA Garmisch 62621