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6. "Nun sind wir wieder
unter Deutschen!" -
Der 10. November 1938 in
Garmisch-Partenkirchen
1938 war das Jahr der
offenen Gewaltanwendung - von der verbalen Gewalt der Sprache in der
Zeit vor der Machtergreifung führte der Weg über die Gewalt der
Nürnberger Paragraphen zur Anwendung physischer Gewalt im
Novemberpogrom - am Ende des Jahres wurde aus allen Orten des
Bezirksamtes Garmisch gemeldet: "Judenfrei!"[40]
Ein erstes Zeichen setzte
schon Ende 1937 der neue NS-Kreisleiter Hans Hausböck, der bei einer
Ortsbesichtigung in Unterammergau einen jüdischen Reisevertreter
höchstpersönlich aus einem Geschäft des Dorfes hinauswarf.[41]
Mitte Januar 1938 bereitete
die Garmisch-Partenkirchner NSDAP ihren nächsten Schlag bei einer
Versammlung der Ortsgruppe Kramer im Gasthof "Lamm" vor. Der Redner
kritisierte dabei in aller Schärfe, daß es bei der Judenaktion vor den
olympischen Spielen im Jahre 1935 immer noch Geschäftsleute gegeben
habe, die sich geweigert hätten, die "Judenabwehrschilder" anzubringen.
Dies werde nicht länger geduldet, denn "die wirtschaftliche Existenz von
Garmisch-Partenkirchen hängt nicht davon ab, ob 100 Juden mehr oder
weniger bei uns sind." Die ausländischen Gäste würden sich mit Recht
wundern, wenn der bedeutendste Fremdenverkehrsort Deutschlands eine
andere Stellung zur Judenfrage einnähme als andere deutsche Städte.
Wörtlich: "Weil auch wir in Garmisch-Partenkirchen die Juden kennen,
wollen wir nichts mit ihnen zu tun haben, und darum tragen unsere
Geschäfte, unsere Hotels und Gaststätten das Schild mit deutlicher
Sprache: "Juden unerwünscht".[42]
Wenige Tage später
bekräftigte Julius Streicher in einer Rede vor HJ- und BdM-Führern in
Hammersbach diese Position und erklärte: "In der Judenfrage gibt es kein
Nachgeben."[43]
Nach Aussage von Kreisleiter
Hausböck im Spruchkammerverfahren 1948 hatte außerdem Hitlers
Stellvertreter Hess in diesen Tagen von der NS-Kreisleitung schriftlich
gefordert, die in dem internationalen Wintersportplatz Garmisch
lebenden Juden "abzuziehen".[44]
Nach dieser Einstimmung
wurde die Bevölkerung für den 18. Februar zu einer Massenversammlung
in den neuen Festsaal geladen, die unter dem Motto stand "Fremdensaison
ohne Juden." Der Einzelhandelsverband erklärte die Teilnahme seiner
Mitglieder zur Pflicht. Die SA rief zwei Tage zuvor zu einem
"Propagandamarsch" auf, der als "erste Kampfansage gegen die Juden und
Judenfreunde im Kreis Garmisch-Partenkirchen" zu verstehen sei. Fritz
Brunner, Schriftleiter des Garmisch-Partenkirchner Tagblatts,
jubelte: "Wie in der Kampfzeit... Marschtritt in den Straßen, Musik,
Lieder der Bewegung: SA marschiert."[45]
Redner dieser Kundgebung
waren Kurdirektor Reitinger, Gauamtsleiter Wüster, Kreisleiter Hausböck
und ein Dr. Hafner vom Institut zum Studium der Judenfrage aus Berlin.
Wüster gab die Tonart vor:
"Der Nationalsozialismus sei sich darüber klar, daß es in dieser Frage
nur ein "Entweder - Oder" gebe."[46
Hausböck, so zitierte und
kommentierte ihn das Garmisch-Partenkirchner Tagblatt, "beschäftigte
sich in sachlicher und vornehmer Weise mit der Judenfrage und ihrer
Auswirkung auf Garmisch-Partenkirchen... (Er wolle)
Garmisch-Partenkirchen zu einem sauberen Kurort machen... gerade in den
Hotels sei es schwer, zu kontrollieren, ob der Jude Rassenschande
betreibe." Dann versicherte Hausböck, "daß die von ihm
vorgesehene Arbeit mit den ortsansässigen jüdischen Familien nichts zu
tun habe. Die in Garmisch-Partenkirchen wohnenden jüdischen Familien
könnten nach wie vor weiter in ihren alten Geschäften einkaufen, das
hindere jedoch die Geschäftsinhaber keineswegs, die
Judenabwehrschilder anzubringen, denn auch die hier ansässigen Juden
sollten wissen, daß sie bei uns unerwünscht sind." Es nimmt nicht
Wunder, daß die "von ihm vorgesehene Arbeit" am 10. November 1938 auch
die "ortsansässigen jüdischen Familien" mit aller Wucht traf.
Die Kundgebung im Festsaal
erreichte ihren Höhepunkt mit einer "Erklärung und Anordnung" der
Bürgermeister des Kreises Ga.-Pa.:[47]
" - Die Gemeindeverwaltungen
werden ... bei Auftragserteilung alle Geschäftsinhaber des Kreises
Garmisch-Partenkirchen unberücksichtigt lassen, die sich der
Kreisleitung in ihrem Kampf gegen die Juden entgegenstellen.
Die Kurverwaltungen ...
haben von den Bürgermeistern des Kreises Garmisch-Partenkirchen die
Weisung erhalten, an Häuser, die nach wie vor Juden aufnehmen,
Vermittlungen oder Zuweisungen von Fremden zu unterlassen...
Die Bürgermeister des
Kreises Garmisch-Partenkirchen ersuchen die Kreisleitung, uns darüber
Mitteilung zu geben, welche Häuser bzw. Geschäfte in unseren Gemeinden
die Bindungen mit den Juden nicht aufgegeben haben.
Es folgen die Unterschriften
der Bürgermeister von Garmisch-Partenkirchen, Eschenlohe, Ettal,
Farchant, Grainau, Kohlgrub, Krün, Mittenwald, Oberau, Oberammergau,
Ohlstadt, Saulgrub, Schwaigen, Unterammergau, Wallgau und Wamberg.
Mit dem Ruf "Deutschland
ewig den Deutschen" wurde dieser Abend beschlossen.
Nach dieser massiven
Aufforderung zur Diskriminierung der jüdischen Gäste und Einwohner,
nach den Drohungen den Geschäfts- und Beherbergungsbetrieben gegenüber,
die immer noch nicht mitmachen wollten, nach dem offiziellen Aufruf zur
Denunziation teilte die NSDAP-Ortsgruppe "Wank" einige Tage später mit,
"daß noch eine Anzahl Judenabwehrschilder in unserer Geschäftsstelle zu
haben sind und können diese ab heute nachmittags 15 Uhr dortselbst in
Empfang genommen werden." Stückpreis 2,- RM.[48]
Aus Grainau wurde berichtet,
daß diese Abwehrschilder jüdischen Gästen als lächerlich vorgekommen
seien und daß sie sich durch diese Tafeln vom Besuch der Geschäfte und
Gaststätten nicht abhalten ließen.[49]
Mitten in die Sommersaison
des Jahres 1938 platzte die amtliche Erklärung, daß der Besuch jüdischer
Kurgäste in Bädern und Kurorten wie Garmisch-Partenkirchen neu geregelt
werden müsse. So sollten z.B. Juden von Gemeinschaftseinrichtungen wie
Luft- und Sonnenbädern ausgeschlossen werden können.[50]
Und der bürokratische Terror
ließ sich noch etwas ganz besonderes einfallen: "Die für Juden
ausgestellten Kurkarten können durch eine besondere Farbe (z.B. gelb)
kenntlich gemacht werden." Dem Judenstern aus Stoff ging damit schon
in der Mitte des Jahres 1938 der aus Papier voraus.[51]
Ende Oktober 1938 wurde
anläßlich des Hitler-Putsches vom 9. November 1923 zum "Letzten Appell
vor der Ewigen Wache für die Blutzeugen des Dritten Reiches"
aufgerufen. Das düstere Ritual vor der Feldhernhalle in München sollte
zum fünfzehnten Male stattfinden. Auch in Garmisch-Partenkirchen wurde
eine Gedenkfeiern zum 9. November vorbereitet. Da fielen wie bestellt
die Schüsse von Paris - und schon aus den ersten Reaktionen in der
örtlichen Presse wurde deutlich, was auf die Juden zukommen würde.
Fritz Brunner leitartikelte: "Hoffentlich ist sich das jüdische
Verbrechergesindel darüber klar, daß diese ruchlose Tat die schwersten
Folgen für die Juden in Deutschland haben muß. Unseren Toten sind wir
ein sauberes Reich schuldig! Kreisleiter Hausböck fordert die Juden
auf, den Kreis Garmisch-Partenkirchen zu verlassen."[52]
Damit nahm die sogenannte
"Judenaktion" vom 10. November 1938 in Garmisch-Partenkirchen ihren
Lauf.
Aussagen der Täter:
Kreisleiter Hans Hausböck:
Er habe in
der Nacht vom 9. zum 10. November telefonische Anweisungen aus München
bekommen, alle Juden in Garmisch-Partenkirchen und Umgebung verhaften zu
lassen. Anschließend habe er sofort seinen Stellvertreter, den
Bürgermeister von Garmisch-Partenkirchen, Herrn Scheck, in seine Wohnung
gebeten. Dort habe man beschlossen, daß alle in Garmisch-Partenkirchen
lebenden Juden sofort den Ort, wenn möglich auch Deutschland verlassen
sollten.[53]
Da er, Hausböck, keinerlei Kenntnis von dem Namen und der Zahl der in
Garmisch-Partenkirchen lebenden jüdischen Einwohnern gehabt habe, habe
er Bürgermeister Scheck gebeten, ihm diese Namen und Anschriften
beizubringen. Scheck bestellte daraufhin den Sachbearbeiter des
örtlichen Einwohnermeldeamtes, Herrn Schuster, und den Polizeimeister
der Gemeindeverwaltung, Herrn Vollnhals, mit den erforderlichen
Unterlagen auf die Kreisleitung. Beide Herren seien nach kurzer Zeit
eingetroffen und hätten ein Adressenverzeichnis der in
Garmisch-Partenkirchen lebenden Juden angefertigt.
Anschließend habe man Anweisung gegeben, die Vorstände der jüdischen
Familien des Ortes durch Polizeibeamte der Gemeinde auf die Kreisleitung
vorführen zu lassen.
Dann habe er, Hausböck, sich von seinem Büro zur Fahnenhalle in der
NS-Kreisleitung - dem heutigen Musik-Cafe am Marienplatz - begeben, in
der er etwa 20 bis 25 Personen angetroffen habe. Er habe ihnen die für
Garmisch-Partenkirchen in dieser Sache getroffenen Maßnahmen erklärt
und Anweisungen gegeben, keinesfalls "wilde Aktionen" der
Eigenmächtigkeit zu unternehmen.
Weiter habe er durch Rechtsanwalt Hiller eine Erklärung vorbereiten
lassen, aufgrund deren sich die jüdischen Familien verpflichteten, den
Ort zu verlassen, nicht wieder zurückzukehren und ihren festen Besitz
zum Verkauf zu bringen. Rechtsanwalt Hiller habe sich während der
Aussprache mit den jüdischen Familienvorständen in der Kreisleitung
aufgehalten, um die Vorgeführten in Vermögens- und
Besitzangelegenheiten zu beraten. Er, Hausböck, habe den Juden
folgendes erklärt: "Entweder Sie verlassen mit Ihren Angehörigen so
schnell als möglich den Ort und Kreis oder Sie müssen mit Ihrer
Verbringung in ein Konzentrationslager rechnen. Ich empfehle Ihnen,
sofort abzufahren. Nehmen Sie an beweglichem Gut wie Schmuck, Geld usw.
mit, was Sie können und verlassen Sie möglichst schon bis Mittag den
Ort. Am besten erscheint mir, Sie gehen sofort über eine Grenze in das
Ausland." Mißhandlungen seien nicht vorgekommen, alle erschienen Juden
hätten diese "Eidesstattliche Verpflichtung" freiwillig unterzeichnet:
"Ich verpflichte mich, mit dem nächsten erreichbaren Zug
Garmisch-Partenkirchen zu verlassen und nie wieder zurückzukehren.
Ich verpflichte mich weiter, die in meinem Besitz vorhandenen Grundstücke,
Gebäude und Waren sofort von meinem neuen Aufenthaltsplatz aus an einen
Arier zu verkaufen.
Ich bin damit einverstanden, daß mich ab sofort bis zu meiner Abreise ein
Arier zu meinem persönlichen Schutz begleitet, bis ich mit dem Zug
Garmisch-Partenkirchen verlassen habe.
Garmisch-Partenkirchen, den 10. November 1938"
Abgesehen von unbedeutenden kleineren Erbitterungsausbrüchen der
Bevölkerung gegen die in der Kreisleitung erschienenen Juden wickelte
sich die ganze Aktion völlig reibungslos ab."
"Nun sind wir wieder unter Deutschen" - Auszüge aus
den Berichten des Garmisch-Partenkirchner Tagblatts über die Ereignisse
vom 10. November[54]
"Der gestrige 10. November gehört mit
zu den denkwürdigen Tagen in der Geschichte unseres Ortes.
Garmisch-Partenkirchen wurde innerhalb 24 Stunden frei von Juden! Als
sich die Empörung der Bevölkerung über den Meuchelmord in Paris durch
spontane Protestkundgebungen gegen die hier ansässigen Juden Luft
machte, nahm sich die Partei der dadurch an ihrem Leben gefährdeten
Juden an und gab ihnen den guten Rat, unseren Ort möglichst schnell zu
verlassen... Der Erfolg dieser Maßnahme war, daß Punkt 6 Uhr abends der
letzte Jude den Kreis Garmisch-Partenkirchen verlassen hat... Nur ein
einziger Jude, der durch seine Haltung die Menge provoziert habe, sei
geschlagen worden. Wenn die Menge einmal auf der Straße einen Juden
anspie, so sei das nicht so tragisch. Wir Nationalsozialisten seien
jahrelang angespuckt worden... In Zukunft würden die Volksgenossen,
die sich noch immer zu den Juden bekennen, genau so wie die Juden selbst
behandelt. Innerhalb 24 Stunden sollten alle Geschäfte und Betriebe des
Kreisgebietes das Judenabwehrschild tragen. Wer sich dazu weigert, werde
öffentlich bekanntgegeben."
Bericht der Gestapo-Staatspolizeileitstelle
Innsbruck, Dienerstr. 8 an BAG[55]
15.11.1938
"Selbstmord des jüdischen Ehepaares DR. Michael Schnebel, geb. am
10.4.1867 in Nürnberg und Emma Schnebel, geb. am 14.5.1881 in Nürnberg,
zuletzt wohnhaft in Garmisch-Partenkirchen, Waxensteinstr. 1.
Das oben genannte Ehepaar wurde am 14.11.1938 gegen 20 Uhr mit
Veronaltabletten vergiftet im Hotelzimmer "Vorarlberger Hof" in
Feldkirch tot aufgefunden. Dr. Schnebel hat einen Brief ...
hinterlassen, in dem er u.a. schreibt: Wir haben uns getötet, wir
halten es für besser, im Vaterland zu sterben, als in der Fremde zu
verelenden. Wie Cicero bitten wir, in unserem Vaterlande sterben zu
dürfen... Es ist das Beste, daß wir aus der Welt gehen."
Zeugenaussagen:
Aus einem Bericht der CIC-Garmisch-Partenkirchen
vom Juni 1945:[56]
Herr C. "tat sich besonders durch
Anspucken und Anschreien hervor"
Frau H. hat "Leute geschlagen und gebrüllt: "Ihr Schweine, jetzt
müßt ihr fort, erschlagt sie. Spuckt die Juden an!"
Herr H. hat "Juden geschlagen"
Herr S. "zog Herrn Meyer-Kredell (Frau Jüdin) mit dem Säbel eins
über"
Frau B. sei "an der rechten Seite vom Haus der NSDAP gestanden, hat
den Kindern Geldstücke gegeben, damit sie die Juden anspucken. Sagte:
"Jetzt haut nur zu Kinder, und spuckt".
Frau O. habe sich "dadurch ausgezeichnet, daß sie mit einem stumpfen
Straßenbesen, den sie vorher in einen Misthaufen getaucht hatte, Herrn
Ladenburg ins Gesicht gefahren ist. Herr Ladenburg war krank und
alt..."
Strassenkehrer M. hat den Juden Seligmann mit Kuhmist beworfen.
Kreisleiter Hausböck "hat sich besonders hervorgetan: "Raus mit der
jüdischen Sau," habe er zur Frau von Dr. Strauss jun. gerufen. "Die
Kinder Strauss standen an der Mauer und weinten sehr."
Karl Egon Freiherr von Schaezler: Bericht über die
Ereignisse im November 1938
in Garmisch-Partenkirchen[57]
26.09.1948
Gegenüber dem Haus meiner Mutter befindet sich in der Storistraße ein
kleines Häuschen, welches damals einem alten jüdischen Ehepaar (Jakob
und Babette Kohn) gehörte. Da ich damals noch im Hause meiner Mutter
wohnte, konnte ich selber mit Entsetzen ansehen, wie eine johlende
Menschenmenge die alten Leute aus dem Hause zog. Zuerst schlug man mit
langen Stangen die Fenster des ersten Stockes ein, dann kletterten
einige mittels einer Leiter auf den Balkon des ersten Stockes ..."
Aussagen von Opfern:[58]
Maud Ladenburg:Bericht über die Vorkommnisse am 10.
November 1938
30.11.1948
"Als ich von der 8 Uhr Messe zurückkehrte, fand ich mit Entsetzen, daß
mein kranker Mann, Dr. Richard Ladenburg, von Nazis aus dem Bett geholt
und nach dem Parteihaus Garmisch abgeführt wurde. Ich fuhr ihm sofort
nach. Sicherlich ist er schlecht behandelt worden, denn auch ich mußte
meinen Weg durch johlende, uniformierte Hitlerjugend, vor dem
Parteihaus angesammelt, durchmachen. Im Parteihaus fand ich meinen Mann,
stundenlang mußten wir warten, obgleich ich die wachenden Nazis darauf
aufmerksam machte, daß mein Mann keinerlei Nahrung zu sich aufgenommen
hatte und krank sei. Endlich wurden wir in einen Saal geführt. Dort lag
vor Dr. Richard Ladenburg ein Revolver-Schießgewehr. Es wurde ihm kurz
mitgeteilt, daß er ein Dokument zu unterschreiben hätte, wonach sein
Hausbesitz in Garmisch den Nazis übergeben werden sollte. Täte er dies
nicht und zwar sofort, bliebe nichts übrig, als ihn nach einem
Konzentrationslager abzuführen auf eine 3jährige Strafe. Außerdem und
auf jeden Fall müsse mein Mann Deutschland sofort verlassen. Er wurde
bis zu seiner Abreise ständig bewacht. Unser Haus wurde übernommen.
Ich bat meinen Mann, seine Unterschrift ohne weiteres zu geben, und
hatte nur den einen Gedanken - nach England. Wir hatten aber, da Dr.
Richard Ladenburg seit Ende des letzten Krieges Invalide gewesen war,
keinen Paß für ihn, nur einen kleinen Ausweis. Am 10. November, als wir
in Cleve ankamen, wurde mein Mann sofort wieder von Nazis verhaftet
und ins Gefängnis geführt, wo es unserem treuen Pfleger und mir erst
nach 24 Stunden gelang ihn zu befreien. Er war am Ende seiner Kräfte.
Es gelang mir, ihn in ein katholisches Krankenhaus unterzubringen, wo er
von Arzt und Nonnen gütig behandelt wurde. Aber am 14. November 1938
früh morgens starb er am Herzschlag."
Reinhold Kohtz: Auszug aus
seinem Bericht an die Militär-Regierung
22.5.1945
"Am 9. Nov. 1938 erhielt ich plötzlich von einer Freundin meiner in
Garmisch-Partenkirchen lebenden Mutter und Schwester ein Telegramm:
"Mutter und Lotte nach Basel abgereist bitte sofort kommen."
Da an diesem Tage auch in Danzig die Judenverfolgungen in geradezu
abscheulicher Form eingesetzt hatten, lag die Annahme nahe, daß die
Abreise meiner fast 82-jährigen Mutter und meiner 51-jährigen Schwester
Lotte auch mit ebensolchen Vorgängen im Reich im Zusammenhang stünden.
Die von meinem Vater erbaute Villa Partnachstr. 46 durfte ich nicht
betreten. Sie stand unter Bewachung der SA.
Von meinen Freuden hörte ich nun die Vorgänge der letzten Tage: Ein
Pöbelhaufen meist ortsfremden Gesindels war am Morgen des 10. Nov. vor
die elterliche Villa gekommen und hatte unter dauernden unflätigen
Beschimpfungen meine alte Mutter und Schwester zur Kreisleitung der
NSDAP gebracht. Dort wurde meiner Mutter eröffnet, daß sie sofort
deutschen Boden zu verlassen habe, andernfalls sie in ein
Konzentrationslager überführt werden würde. Da meine Schwester angab,
meine Mutter unter keinen Umständen verlassen zu wollen, wurde die
Drohung auch auf sie ausgedehnt...
Nach kurzer Haft wurden die beiden Frauen, die nicht das geringste bei
sich hatten, nach dem Bahnhof durch ein Spalier spuckender Menschen
gebracht und unter Bewachung von SA in einen über Innsbruck nach der
Schweiz fahrenden Zug gebracht. Jede von ihnen hatte RM 10.- bei sich,
ihre Ausweise waren ihnen abgenommen worden. Da die Bewachung bald
hinter Garmisch den Zug verließ, beschlossen die beiden Frauen
in ihrer Verzweiflung, sich weiteren Quälereien nicht weiter aussetzen
zu wollen, sondern gemeinschaftlich den Tod zu suchen..."
Lina Lengenleicher: Zeugenaussage im
Spruchkammerverfahren Hausböck
18.3.1949
"... Gegen 8 Uhr morgens stürzte sich eine große Menschenmenge bei uns
(Angerstr. 12) an die Tür und riefen "Raus mit der Jüdin, dem Mistvieh."
Ich trat heraus und sagte, daß sie nicht da wäre, aber sie umstellten
das Haus. Später kam dann die Stadtpolizei und machte Haussuchung ...
Nachdem sie Fr.Sch. nicht fanden, sollte ich sagen, wo sie ist. Da ich
den Aufenthalt nicht preisgab, wurde ich durch die schimpfenden
Menschen zur Kreisleitung geführt, einige Stunden unter Bewachung in
ein Zimmer gesperrt. Ich durfte dann wieder nach Hause. Ich mußte dann
noch einmal zur Kreisleitung und wurde wieder eingesperrt und kam dann
noch zum Bezirksamt. Hier sagte man mir dann, daß ich 3 Tage
eingelocht werde, wenn ich nicht sage, wo Fr. Schneider ist ... Sie
hatte sich schon in Sicherheit gebracht und ist 1 Tag später nach
München gefahren ... Wiesend telefonierte mit dem Kreisleiter und
sagte, daß ich nicht sage, wo Fr. Sch. sei. Es hieß dann "ab ins
Gefängnis... Als ich dann nach Hause kam, war alles ausgeraubt."
Martha von Gahlen-Kempe: Eidesstattliche Erklärung
zum Judenpogrom in Garmisch-Partenkirchen im November 1938
21.09.1948
"Bei den hiesigen Pogromen in der Nacht vom 8. zum 9. November 1938 wurde
ich als Jüdin auf Veranlassung des damaligen Kreisleiters Hausböck,
Garmisch-Partenkirchen, morgens gegen 7 Uhr durch eine organisierte
größere Demonstration vor unserem Haus (Mittenwalderstr. 21) geweckt,
die 1 1/2 bis 2 Stunden anhielt. Dann erlöste uns die herbeigerufene
Polizei, die mich beschützte und mit dem Leiter der Demonstranten zum
bereitstehenden Wagen geleitete, der uns (mein Mann ging mit) ins Haus
der Nationalsozialisten brachte, wo Hausböck schon auf die armen
Opfer - es waren dies alles Juden aus Garmisch und Umgebung - wartete.
Wir wurden einzeln aufgerufen und erklärte uns Hausböck, daß der Ort
sofort innerhalb weniger Stunden von sämtlichen Juden geräumt werden
müsse. Wir sollten uns sofort entschließen, was wir zu tun gedenken.
Entweder käme ich auf 3 - 4 Jahre in ein KZ oder ich müßte innerhalb 24
Stunden ins Ausland abwandern. Als Mein Mann (der Arier ist, mich aber
keine Sekunde allein ließ) etwas zu diesem unseligen Vorschlag
einwenden wollte, wurde ihm jedes weitere Wort in schroffer Weise
verboten. Wir unterschrieben dann beide eine in Schreibmaschinenschrift
vorgeschriebene Erklärung, daß wir niemehr nach Garmisch-Partenkirchen
zurückkehren und innerhalb 24 Stunden aus Deutschland gehen werden. Wir
mußten den Zug um 1 Uhr mittags nehmen, eine Droschke nach München war
uns nicht erlaubt."
Dr. Franz Strauss jun.: Zeugenaussage im
Spruchkammerverfahren gegen Hausböck
18.03.1949
"Am 10.11.1938 kamen SA-Leute in das Haus meines Vaters, um meine Frau zu
holen, die Jüdin ist. Ich war aber mit meiner Frau nicht zu Hause,
sondern (wir) befanden uns in unserer Jagdhütte oben. Einer
telefonierte daraufhin und sagte, daß der Vogel ausgeflogen sei. Sie
gingen dann fort. Unser Mädchen rief uns sofort an und teilte uns mit,
daß in Garmisch eine Judenverfolgung wäre. Meine Kinder kamen dann zu
uns und erzählten davon. So erzählten sie, daß sie auf dem Wege zur
Schule von der SA angehalten worden sind und aufgefordert wurden, zur
Kreisleitung zu kommen, wo sich eine große Menge Menschen befand. Es
wäre nun bald soweit gegangen, daß sie ihre eigene Mutter angespuckt
hätten... Hausböck dazu: "Ich habe damals, als Frau Strauss zurückkam,
Goebbels angerufen und gesagt, daß es die Schwiegertochter unseres
Komponisten wäre und er möchte entscheiden, was geschehen soll."
Käthe Hirsch: Eidesstattliche Erklärung über die
antijüdischen Vorgänge am 9. November 1938
21.09.1948
"Ich lag krank zu Bett, unsere Schlafzimmer waren im 1. Stock.- Morgens
gegen 7 Uhr plötzlich ein fürchterlicher Lärm, Stimmengewirr, Geschrei:
"Juden raus! Schlagt sie tot! An den Galgen!" - Gekrach von
eingedrückten Fensterläden. Scherbengeklirr von eingeschlagenen
Scheiben.- Erst glaubte ich zu träumen, dann fuhr ich aus meinem Bett,
horchte nochmals, hüpfte in meinem Nachthemd auf meinen zwei Stöcken die
Treppe runter und stand plötzlich in der Diele einer Einbrecherbande von
ca. 20 Männern, die mit Stöcken und Latten bewaffnet waren, gegenüber.
Ich schrie sie an: "Einbrechergesindel, was habt ihr da zu suchen,
macht, daß Ihr raus kommt!" Da schlugen sie mir die Stöcke weg,
bedrohten mich, so daß ich hinfiel. Wie ich auf dem Boden lag, fingen
sie an mich zu beschimpfen: "Ah, die Saujüdin, die Judenmatz,
Theaterspielen tat`s a`no!" usw.- Andere waren inzwischen nach
oben gegangen, wo sich mein kranker Bruder Otto eingeschlossen hatte,
traten dort die Türen ein und jagten ihn heraus und lärmten weiter.
Wir mußten uns dann fertig machen und wurden per Auto zur Kreisleitung
gebracht. Vor dem Haus der Nationalsozialisten war eine große Menge
versammelt, teils Gaffer, teils anscheinend dafür gemietetes Gesindel,
das die "kochende Volksseele" markierte. Wieder das Geschrei "Hängt es
auf, an den Galgen usw." - Wir wurden in den großen Saal im I. Stock
gebracht, wo schon ca. 50 Leute jüdischer Abstammung versammelt waren.
Ich fühlte mich plötzlich so elend, bat meine Brüder, mich
hinauszuführen, vor der Türe brach ich ohnmächtig zusammen. Als ich
wieder aufwachte, befand ich mich in einem kleinen Raum, meine beiden
Brüder waren bei mir. Inzwischen waren die Personalien aufgenommen
worden und alle, außer mir, fotografiert worden; sie mußten dann an
einen Tisch, an dem der Kreisleiter Hausböck mit einem geladenen
Revolver hantierte, einen Revers unterschreiben, daß sie sich
verpflichten, eine Fahrkarte ins Ausland zu lösen, mit dem nächsten
Schnellzug Deutschland zu verlassen und, vom Ausland aus, ihre
Vermögensangelegenheit zu ordnen. Dann drohte er noch mündlich: "Falls
Sie es wagen sollten, aus irgendeinem Grund nach Garmisch-Partenkirchen
zurückzukehren, sind sie tot!"-
Gegen 1/2 12 Uhr wurde ich von 2 jungen einheimischen Burschen in
Sanitätsuniform, die bei mir die ganze Zeit zur Bewachung waren, auf
einer Bahre die Treppe hinuntergezerrt. Ich hatte mich mit meinem Mantel
zugedeckt, um nichts mehr zu sehen und zu hören, der wurde mir
heruntergerissen, unter den gemeinsten, unflätigen Beschimpfungen,
Anspucken usw. wurde ich ins Auto verfrachtet. Da die Burschen mit der
Bahre nicht zurechtkamen, kam der Fahrer, ein wirklicher Sanitäter, ich
glaube namens Ostler, zu Hilfe, der schob die Bahre ins Auto. Und sagte
schnell zu mir, die Tränen liefen ihm dabei herunter, während sich die
beiden anderen vorn am Auto zu schaffen machten: "O'mei, Frl. Hirsch, um
Gotteswillen, wie ist denn sowas menschenmöglich! Das werden wir alle
noch schwer zu büßen haben." - Ein SA-Mann löste die Fahrkarten nach
München. Dann brachten sie uns in den Zug, einer tippte mir noch auf
die Schulter, sagte: "Ich meine es gut mit Ihnen, halten Sie sich ja
nicht länger als 24 Stunden in München auf, Sie sind von der Gestapo
überwacht!" - Beim Zeichen der Abfahrt verschwanden die "Herren", und
wir waren unserem Schicksal überlassen."
Emil Fechheimer: Eidesstattliche Erklärung über die
antijüdischen Vorgänge im November 1938 in Garmisch-Partenkirchen
03.10.1948
"An dem oben genannten Tage wurden meine Frau und ich um 7 Uhr morgens
mit dem Rufe "Juden heraus, Rache für Paris" aus dem Schlafe geweckt und
durch eine Anzahl SA-Leute, die wir in unserem Garten erblickten,
befehlshaberisch aufgefordert, sofort herunterzukommen. Man drängte
uns derart, daß wir uns nur mangelhaft ankleiden konnten.- Frühstück
war natürlich ausgeschlossen - und brachte uns dann in`s Parteihaus, wo
wir warten mußten, bis die Nichtarier des Bezirkes
Garmisch-Partenkirchen zusammengeholt waren.
Nachdem ungefähr 20 Personen zusammen waren, wurde jedes Ehepaar dem
Kreisleiter vorgeführt. Da es in diesem Zimmer zog, während ich teils
aus Aufregung, teils aus mangelhafter Ankleidung eine Erkältung
fürchtete, so bat ich Hausböck, das offenstehende Fenster schließen zu
dürfen mit der Begründung, daß ich infolge eines mir im Kriege
zugezogenen Lungen-Emphysems sehr anfällig sei, worauf Hausböck schroff
entgegnete, das sei gerade recht, und die Schließung des Fensters
verbot...
Bei dem Verlassen des Parteihauses mußte man ein von den HJ und BdM
gebildetes Spalier passieren, um angespuckt zu werden. Infolge Warnung
durch eine uns wohlwollende Person konnten wir das Spuckspalier
umgehen.
Am Bahnhof war eine Abteilung von Leuten aufgestellt, welche die
verletzendsten Hohnrufe auf die abfahrenden Juden ausbrachten.
Wir fuhren gegen Mittag über München nach Bregenz, wo wir mit allen
Nichtariern aus dem Zuge geholt wie eine Herde Vieh über das Geleise
getrieben und in`s Gefängnis abgeführt wurden und bis zu unserer
Befreiung mit Schweizer Hilfe 12 Stunden bleiben mußten... Unsere
Wohnungseinrichtung wurde größtenteils versteigert mit der Begründung,
daß wir illegal ausgewandert seien, während wir in Wahrheit illegal
vertrieben wurden."
Soviel zu den schrecklichen
Ereignissen am 10. November, bei denen etwa 50 jüdische Frauen und
Männer aus Garmisch-Partenkirchen vertrieben wurden. Fünf Todesopfer
waren zu beklagen, ehrbaren Bürgern hatte man Heimat und Besitz
innerhalb weniger Stunden weggenommen.
Am 07. Dezember 1938, knapp
vier Wochen nach der "Judenaktion", kommentierte der
Garmisch-Partenkirchner Bürgermeister Jakob Scheck kaltschnäuzig: "Es
kann heute in Deutschland keiner mehr sagen, es gibt auch "anständige"
Juden. Der Jude wird nie anständig einem Volke gegenüber sein können."[59]
Die Gendarmerieinspektion
Garmisch meldete dem Bezirksamt: "Der Bezirk ist judenfrei."[60]
[40]
z. B.
26.12.1938: Garmisch-Partenkirchen
28.01.1939: Grainau
27.04.1939: Mittenwald
alle LRA Garmisch 61616
[41]LRA
Garmisch 61615, 30.11.1937
[42]
Garmisch-Partenkirchner Tagblatt 15.01.1938
[43]
Garmisch-Partenkirchner Tagblatt
03.02.1938
[44]
Ermittlungsakten der Spruchkammer
Garmisch-Partenkirchen gegen Johann Hausböck ehem. Kreisleiter (A 4 -
1711/3024/48): Protokoll der öffentlichen Sitzung der Lagerspruchkammer
Dachau am 22.9.1948 Az. 3282
[45]
Garmisch-Partenkirchner Tagblatt
18.02.1938
[46]
Garmisch-Partenkirchner Tagblatt
19.02.1938
[48]
Garmisch-Partenkirchner Tagblatt
23.02.1938
[49]
LRA Garmisch 61616, 02.03.1938
[50]
Garmisch-Partenkirchner Tagblatt
11.07.1938
[52]
Garmisch-Partenkirchner Tagblatt
08.11.1938
[53]Akten
der Spruchkammer Garmisch-Partenkirchen: Johann Hausböck - Berufungsregister
Nr. 135/50 Berufungskammer für München / Gen.Reg. 2904/49 - K 10065
[54]
Garmisch-Partenkirchner Tagblatt
14.11.1938
[55]Akten
der Spruchkammer Garmisch-Partenkirchen: Johann Hausböck - Berufungsregister
Nr. 135/50 Berufungskammer für München / Gen.Reg. 2904/49 - K 10065
[56]
Kopie aus Privatarchiv
[57]
Akten der Spruchkammer
Garmisch-Partenkirchen: Johann Hausböck - Berufungsregister Nr. 135/50
Berufungskammer für München / Gen.Reg. 2904/49 - K 10065
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Garmisch-Partenkirchen: Johann Hausböck - Berufungsregister Nr. 135/50
Berufungskammer für München / Gen.Reg. 2904/49 - K 10065
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Garmisch-Partenkirchner Tagblatt
07.12.1938
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LRA Garmisch 61616, 26.01.1939
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