"Juden sind hier nicht erwünscht!"

Zur Geschichte der jüdischen Bürger in Garmisch-Partenkirchen von 1933 bis 1945

 

 

 

2. "Dieser Dreck muss weg!" -
Die Einübung der Gewalt bis 1933

 

Der alltägliche Antisemitismus um die Jahrhundertwende hatte seine journalistische Heimstatt im "Werdenfelser Anzei­ger", der in Par­tenkirchen in einer Auflage von ca. 400 Exemplaren zweimal wö­chentlich erschien. Das Königliche Bezirksamt Garmisch bescheinigte dem Parten­kirchner Blatt im Jahre 1894 "antisemitischen Beige­schmack", während der Garmischer "Loisachbote" von den amtli­chen Zensoren mit dem Prädikat "farblos" benotet wurde.[6]

Im März 1919 zeigte sich erstmals, wie leicht aus dem latenten ein manifester Anti­semitismus werden konnte, der im Gewande der Gegen­revolution auftrat und auch deshalb schon auf breitere Zustimmung hoffen durfte:

"Selm hams ja no an Kini ghabt
Und warn für den durchs Feua tappt
Jetzt brauch`ns fei koan Kini mehr,
Koan Herrgott und koa Christ`nlehr`.
Sie ham ja jetzt a Republik,
Freiheit und Gleichheit, auwezwick,
G`mütli sans - ja aba dumm,
Der Wucherer führts an der Nas`n rum,
Der macht sein Rebbach und sein Schmu,
Sie spannens net, er lacht dazu."

Da sind alle zukünftigen Vorurteile versammelt: der schlaue Jude als Ausbeuter des unbedarften, aber gutmütigen und christlichen Bayern  - der demokratische Jude als Anführer des Umsturzes im Zeichen von Freiheit und Liberalismus, im Zeichen von Gleichheit und Sozialismus. 1938 ließ man dann die lyrische Verbrämung fal­len: "Juden sind Ratten" lautete eine Schlagzeile des Garmisch-Par­tenkirchner Tagblatts.[8

Nach Hitlers mißglücktem Putschversuch im Jahre 1923 bis zum Ende der "Goldenen Zwanziger" war dieser offene Antisemitismus im Fremden­verkehrsbezirk Gar­misch-Partenkirchen aber nicht mehr will­kommen und stieß auf zunehmenden Widerstand von verschiedenen Sei­ten.

Im Juli 1924 analysierte der Garmisch-Partenkirchner  "Verein für das Gastgewerbe" die Ursachen für die Stagnation im Fremdenver­kehrsgewerbe und kam zu dem Schluß, "daß der Feldzug gegen die Ju­den mit einem wirtschaftlichen Fiasko enden" werde. Die "Hakenkreuzbewegung" und die "Behandlung der Ausländer in Bayern" wurden für das Ausbleiben der Gäste verant­wortlich gemacht: "Die Juden gehen nicht nach Bayern, sie lassen sich nicht beschimpfen, anpöbeln und selbst schlagen."[9]

Im April 1928 kam es in öffentlicher Versammlung zum Schlagab­tausch zwischen na­tionalsozialistischen und sozialdemokratischen Rednern, die den Hitler-Anhängern vorwarfen, "durch ihre juden­feindliche Haltung dem Fremdenverkehr Schaden zuge­fügt" zu haben. Der Münchner NS-Stadtrat Fieler, nach 1933 Oberbürgermeister von München, mußte sich von Georg Schütte, dem 2. Bürgermeister der Ge­meinde Par­tenkirchen, sagen lassen, man "lasse sich in einem Frem­denort wie Garmisch das aufreizende Ver­halten der Hitler nicht ge­fallen."[10]

Dieses Thema spielte auch bei den Reichstags- und Landtagswahlen im Mai des glei­chen Jahres noch eine Rolle in der öffentlichen Diskussion. In einem Kommentar des Garmisch-Partenkirchner Tag­blatts mit dem Titel "Die Völkischen als Störer des Fremdenver­kehrs" hieß es: "Für uns im Fremdenverkehrs­gebiet ist die Frage erlaubt, was dient und nützt uns die Hitler-Partei? ... Man er­lasse uns das üble Gezeter über die Juden. Das kön­nen wir in Gar­misch-Par­tenkirchen nicht brauchen, da tun wir ein­fach nicht mit." Ziel sollte sein, "daß bei den Wahlen am nächsten Sonntag mög­lichst keine einzige Stimme für die Hitlerpar­tei abgegeben wird."[11]

Dieser Wunsch ging nicht in Erfüllung. Die Nazi-Partei verstärkte ihre Agitation in Garmisch-Partenkirchen. Im März 1929 versicher­ten die Redner einer NSDAP-Ver­sammlung im Gasthof "Lamm" in Gar­misch, die mit 300 Besuchern auf großes Inter­esse gestoßen war, "daß sie nun öfter auch nach Garmisch kommen, gerade weil sie wis­sen, daß es den hiesigen Wirten unangenehm sei, die auf die Ju­den so große Stücke halten." Der Polizeibericht über diese Versammlung schloß mit der Feststel­lung, daß "eine systematische Propaganda der Nationalsozialisten in Garmisch einen schweren Schlag für den Fremdenverkehr darstellen"[12] würde.

Dieser Auffassung war auch der Sprecher des Garmisch-Partenkirch­ner Hotel- und Gaststättengewerbes und Besitzer des Hotels "Sonnenbichl", Georg Bader. In einem Brief an das Bezirksamt wies Bader im Mai 1929 darauf hin, daß "zur Zeit wieder Be­strebungen im Gange" seien, "die Ereignisse vom November 1923 zu wiederholen ... in unserem schönen Werden­felser Land greift die Bewegung, ausge­hend von Murnau und Oberau, immer stärker um sich ... Es dürfte dem Bezirksamt Garmisch nicht un­bekannt sein, daß die antisemiti­sche Hetze dieser Kreise es mit sich brachte, daß in al­len deut­schen und außerdeutschen jüdischen Blättern vor einem Be­such in Bayern gewarnt wurde, es ist auch da­mit erreicht worden, daß das jüdische Publikum sich vollkommen zu­rückgezogen hat."[13]

Nach Auftritten des Reichstagsabgeordneten Heinrich Himmler in Wallgau in Parten­kirchen im "Werdenfelser Hof", in denen der spä­tere Organisator des Massenmords "die Versammelten zum Kampf gegen das Judentum"[14] aufforderte, ver­schärfte der Verein für das Gastge­werbe am Jahresbeginn 1931 sei­nen Kampf gegen die NSDAP. Vorsit­zender Georg Bader protestierte energisch gegen Pla­kate der NSDAP mit der Aufschrift "Juden haben keinen Zutritt".[15] 

Auftreten und Propaganda der Nazis wurden im Lauf der Jahre 1931 und 1932 von Veranstaltung zu Veranstaltung aggressiver: Bolsche­wismus und Judentum, Zins­knechtschaft und Rassenfrage, Untergang des deutschen Volkes standen von Eschenlohe bis Mittenwald, von Partenkirchen bis Oberammergau als Themen im Mittelpunkt. "Alle NS-Versammlungen sind stark besucht", notierte das Bezirksamt.[16]

Ein fast alltägliches Beispiel für die Sprache der Gewalt bot der Auftritt des Bayeri­schen Landtagsabgeordneten Adolf Wagner, des späteren Ehrenbürgers von Gar­misch-Partenkirchen. Vor 300 begei­sterten Anhängern einer NSDAP-Versammlung in Mittenwald verlangte Wagner, es müsse "mit den Verbrechern, die unser deutsches Vater­land durch die Revolution 1918 so ins Elend stürzten, noch abge­rechnet wer­den... Es muß endlich einmal gesäubert werden. Dieser Dreck muß weg." Im Februar 1932 jubelten über 700 Zuhörer, als Wagner in einer Rede in Garmisch feststellte, "daß im deutschen Staat Men­schen herumlaufen, die stinken, daß diese Menschen im Staat kein Recht haben."[17]

Der Garmischer Marienplatz trug von 1934 bis 1945 den Namen dieses Mannes. Am 10. November 1938 versammelte sich auf diesem Platz eine joh­lende Menge von Garmisch-Partenkirchner Bürgern und Gaffern, von SA- und SS-Leuten, um den jüdi­schen Bürgern des Olympiaortes deut­lich zu machen, daß sie "im Staat kein Recht haben."  Unglaub­lich schnell haben politische Sprache und politische Wirklichkeit ein­ander eingeholt.

Höhepunkte dieses offen zur Schau getragenen Antisemitismus in der mörderischen Sprache des Unmenschen waren drei NSDAP-Versammlung im letzten Jahr der Re­publik. Ein Innsbrucker NS-Redner sprach im März 1932 in Garmisch vor rund 300 Zuhörern. Die Polizei berich­tete darüber: "... sein Hauptvortrag war die Judenfrage, die nach seinen Ausfüh­rungen alle aufgehängt gehören, wobei er bei den Zu­hörern große Begeisterung auslöste."[18]

Im April 1932 kündigte ein Nazi-Redner in Partenkirchen an, daß "im Dritten Reich natürlich alle Beamten jüdischer Abstammung ... sofort entfernt" würden.[19] 

Und nur wenige Wochen vor Hitlers Machtergreifung, am 29. Oktober 1932, verkün­dete ein Redner bei einer NSDAP-Versammlung in Ohl­stadt, daß die Nationalsoziali­sten alle Juden "dorthin schicken werden, wohin sie gehö­ren."[20] Ob deutsch-polni­sches Niemandsland, ob Madagaskar oder Auschwitz - nur das blieb noch of­fen

Ergebnis der RT-Wahlen im Bezirk Garmisch für die NSDAP:[21]

1924       3,5 %
1928       5,0 %
1930     21,4 %
1932     29,6 %
1932     28,4 %
1933     46,3 %

 

[6] LRA Garmisch 58/880, Verzeichnis der im Amtsbezirk Garmisch im Jahre 1894 erschienen politischen Zeitungen

[7] Werdenfelser Anzeiger, 15.03.1919

[8] Garmisch-Partenkirchner Tagblatt, 21.11.1938

[9] Werdenfelser Anzeiger, 16.07.1924

[10] LRA Garmisch 56/853

[11] Garmisch-Partenkirchner Tagblatt, 18.05.1928

[12] LRA Garmisch 56/853, 10.03.1929

[13] LRA Garmisch 56/853, 14.05.1929

[14] LRA Garmisch 56/853, 23.02.1930

[15] LRA Garmisch 56/853, 15.01.1931

[16] LRA Garmisch, 114/1658, 21.06.1931

[17] LRA Garmisch, 115/1660, 42.02.1932

[18] LRA Garmisch, 115/1661, 12.03.1932

[19] LRA Garmisch, 115/1662, 09.04.1932

[20] LRA Garmisch, 114/1658, 29.10.1932

[21] Zitiert nach: Alois Schwarzmüller, Die Landtags und Reichstagswahlen von 1900 bis 1933 im Wahlkreis Weilheim unter besonderer Berücksichtigung des Bezirksamtes Garmisch (München, 1971 - unveröffentlichte Zulassungsarbeit zur wissenschaftlichen Prüfung für das Lehramt an Gymnasien in Bayern) S. 100 f.