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1. Adolf Stoecker, Hermann
Levi und Richard Strauss -
"Täter, Opfer und Zuschauer" um die
Jahrhundertwende
Es ist nicht überliefert, ob
sie sich je hier in Partenkirchen begegnet sind, der antijüdische
Berliner Hof- und Domprediger Adolf Stoecker und der jüdische Münchner
Hofkapellmeister und - ausgerechnet - Wagnerdirigent Hermann Levi.[1]
Beide jedenfalls hatten sich um die Jahrhundertwende in die Idylle der
Partenkirchner Bergwelt zurückgezogen, sich sozusagen nebeneinander
häuslich niedergelassen, der eine 1891 im Reintaler Hof und der andere
1897 auf Schloß Riedberg.
Stoecker redete seit 1878 in
seinen politischen Auftritten im Preußischen Landtag und im Deutschen
Reichstag einem wirtschaftlich und sozial begründeten Antisemitismus
das Wort. Er hielt Einschränkungen bei der Anstellung jüdischer
Richter für notwendig, drängte auf die Entfernung der jüdischen Lehrer
aus allen Volksschulen, pries die "Kräftigung des
christlich-germanischen Geistes" als "Mittel, um dem Überwuchern des
Judentums im germanischen Leben... entgegenzutreten." Die jüdischen
Bürger waren ihm eine "Wunde" am deutschen Volkskörper, die man
offenhalten müsse, "bis sie geheilt ist."[2]
Ob Stoecker mit diesen Gedanken einheimische politische Kreisen
beeinflußt hat, ist nicht bekannt.
Hermann Levi, Sohn eines
Rabbiners aus Gießen, Generalmusikdirektor in München, ließ sich im
Jahr 1897 in dem von Adolf von Hildebrandt erbauten Schloß Riedberg mit
seiner Frau Mary im Alter von etwa 70 Jahren nieder. Der als Zeitgenosse
in Partenkirchen lebende Dichter Walter Siegfried nannte Levis
Übersiedlung auf Riedberg einen "Zuwachs an höchster Kultur in unserem
Hochlandwinkel".[3]
Als Förderer zeitgenössischer Komponisten setzte Levi sich immer wieder
für die Aufführung der Werke von Richard Strauss ein. Das anfänglich gute
Verhältnis zwischen dem Partenkirchner Levi und dem Garmischer Strauss,
den Levi 1886 zum III. Kapellmeister in München gemacht hatte, war
später durch die Haltung von Strauss belastet, dessen
Schwiegertochter und Enkelkinder 1938 in Garmisch-Partenkirchen - wie
noch zu zeigen sein wird - nicht verschont blieben vor dem
mobilisierbaren Volkszorn gegen alles Jüdische. Nach dem Tode Hermann
Levis im Jahre 1900 entwarf Adolf von Hildebrandt für den Garten des
Schlosses Riedberg eine Mausoleumsanlage zu Ehren des Dirigenten. Sie
war schutzlos dem Wahn derer ausgeliefert, die nach 1933 alles Jüdische
- die Menschen, ihre Kunst und ihre Kultur - aufspürten,
verfolgten und zerstörten.
So nah lebten Täter, Opfer
und Zuschauer um die Jahrhundertwende mehr neben- als gegeneinander,
noch ganz ohne Vorahnung dessen, was Krieg und Diktatur, christlich
verkleideter Germanenkult und die Bereitschaft zum Wegschauen schon eine
Generation später auch in Garmisch-Partenkirchen möglich machten.
Im Bezirksamt Garmisch
hatten im Jahre 1905 bei einer Zahl von insgesamt knapp 14000 Einwohnern
nur fünf Bürger jüdischer Herkunft ihren Wohnsitz.[4]
20 Jahre später hatten sich diese Zahlenverhältnisse nur geringfügig
geändert, die Gesamteinwohnerzahl war auf 24600 gestiegen, unter ihnen
lebten jetzt 30 jüdische Bürger.[5]
Eine sehr viel schneller anwachsende Zahl von Menschen erklärte freilich
ausgerechnet diese Minderheit für verantwortlich an "Deutschlands
Unglück."
[1]
Diese Aussage muß inzwischen korrigiert
werden. Bei Walther Siegfried heißt es: „Oft ergab der Zufall auf Riedberg
merkwürdige Mischungen. Es kam vor, daß Stöcker nach einer seiner
Sonntagspredigten, die Levi eifrig besuchte, bei ihm zu Tische war und dort
Possart traf. Der fanatische Antisemit in der Gesellschaft zweier
Abkömmlinge der semitischen Rasse, Weltmann genug, sich mit beiden, als
geistig hervorragenden Menschen, ausgezeichnet zu unterhalten.“
Zitiert nach: Seinerzeit in Partenkirchen & Garmisch. Erinnerungen von
Walther Siegfried (Garmisch-Partenkirchen 1994) S. 87
[2]
Zitiert nach: Ludger Graf von Westphalen, Geschichte des Antisemitismus in
Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert (Stuttgart, 1971) S. 25 f.
[3]
Seinerzeit in Partenkirchen & Garmisch, a.a.O. S. 86
[4]
Zeitschrift des Kgl. Bayerischen Statistischen
Bureaus 1906, S. 237
[5]
Zeitschrift des bayerischen statistischen
Landesamtes 1926, S. 14
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