Garmisch-Partenkirchen und seine jüdischen Bürger  -  1934-1945

 

 

 

 

 

25.03.1943 / Gendarmerie-Station Mittenwald an Landrat

"Die Halbjüdin Bergmann aus Berlin, welche sich hier des öfteren aufhielt und mit Offizieren der hie­sigen Wehrmacht verkehrte, wurde wegen Spionageverdachts der Geheimen Staatspolizei München überstellt."

 

29.04.1945 / Heimatkundliche Sammlung der Grund- und Hauptschulen

"Die letzten Kriegstage 1945 in Mittenwald
... Am Sonntag, dem 29. April war Erstkommunion der Kinder in wirklich gedrückter Stimmung. Im Laufe des Nachmittags wurden einige tausend KZ-Häftlinge durch den Ort in Richtung Seefeld getrie­ben. Ein Panzer-Flakzug fuhr in den Bahnhof ein und konnte nicht mehr weiter, denn im Norden war schon der Feind und im Süden waren die Gleise aufgerissen...
Am 30. April, früh zwischen 3 und 4 Uhr, drangen die ersten KZ-Häftlinge in den Ort ein, von Schar­nitz kommend. Sie wurden in der Turnhalle gesammelt und es wurde für sie an mehreren Stellen Kaffee gekocht. Am gleichen Vormittag wurden von der Grenze bei Scharnitz bis Mittenwald ca. 2000 KZ-Häftlinge gesammelt und zur Jägerkaserne getrieben. Es war dies ein Trauermarsch von halbver­hungerten und halberfrorenen Menschen...
Die Kasernen wurden als Ausländerlager verwendet. Etwa 2500 Ausländer aus 16 Nationen hausten dort in primitiver Weise bis zum 15. Januar 1951. Nach der Räumung des Lagers wurden die Kaser­nen für die Stationierung amerikanischer Truppen (darunter viele Neger) neu instandgesetzt, doch dauerte deren Anwesenheit nicht lange..."

 

01.05.1945 / Hochland-Bote - Befreiung der Juden in Mittenwald

"Am 1. Mai wurden ca. 2000 KZ-Häftlinge, vor allem Juden, aus dem Lager Dachau durch die SS an einem Teich bei Krün zusammengetrie­ben. Die SS hatte diesen Zug menschlichen Elends noch nach Österreich schleppen wollen, wurde aber durch die vorrückenden amerika­nischen Truppen an diesem Vorhaben gehindert und beschloß dann eine vorzeitige "Liquidierung". Man hatte den Haufen verhun­gerter, zu Tode erschöpfter Menschen mit einem Kordon umgeben und ein Ma­schinengewehr in An­schlag gebracht, der Befehl zum Erschießen war bereits gegeben worden. Wie durch ein Wunder entgingen diese Men­schen der Vernichtung. Eine unbekannte Frau flehte den befehlfüh­renden SS-Mann um Erbarmen, diese Unglücklichen am Leben zu las­sen. Der SS-Mann ließ sich auch erwei­chen und fuhr mit der Frau davon. Die KZler blieben am Leben..." 

 

01.05.1945 / Garmisch-Partenkirchner Tagblatt (28.04.1975)

"So starben sie an der Straße... Das ist einer jener KZ-Insassen, die zu Kriegsende noch von der SS, vor den Amerikanern her, durch Werdenfels bis Scharnitz ge­trieben wurden. Viele von ihnen starben am Wegesrand... Peter Zannantonio, der dieses Bild aufnahm, berichtet dazu: "Wir über­holten den KZ-Zug, mußten aber später bei Scharnitz umkehren und auf dem Rückweg sahen wir bei Klais diesen Mann am Straßen­rand liegen. Ein SS-Mann stieß ihn mit dem Fuß "Russki aufstehn", aber er rührte sich nicht mehr. Wir baten den Bewacher, doch von dem Mann abzulassen und legten einen Wecken Brot neben ihn. Bei Krün hatte der KZ-Zug Rast gemacht, man hörte weithin, wie die Bewacher mit Prügeln auf die elenden Männer in ihren Sträflings-Anzügen und Holzpantoffeln einschlugen..." - Ein gutes Dutzend der erschöpften Männer wurde dann noch auf Wagen und Karren zurückgebracht ins Standort-Laza­rett nach Garmisch-Partenkirchen. "Sie sind dort alle noch intensiv behandelt worden, manche sogar unter Sauerstoff­maske, aber keiner hat überlebt. Sie waren schon viel zu schwach. Die Toten kamen in die Leichenkammer zu den verstorbenen Verwunde­ten, die Leichen häuften sich, wir hatten keine Särge mehr", be­richtet ein Mitarbeiter aus dem Lazarett."

 

01.05.1945 / Garmisch-Partenkirchner Tagblatt (28.04.1975)

"KZler-Tragödie - In Mittenwald hatte sich inzwischen das Drama mit dem Zug der KZ-Häftlinge aus Dachau vollendet, die in langen Reihen von der SS bis hierher durch Werdenfels getrieben worden waren. Der Gauleiter von Tirol, Hofer, verweigerte bei Scharnitz den Weitermarsch.
In den langen Märschen geschwächt, mußten die zu Tode erschöpften im Freien in der Kälte zwi­schen Mittenwald und Scharnitz neben der Isar biwakieren. Die Bewacher setzten sich ab, die KZler suchten Unterschlupf überall, wurden zum Teil auch in den geräumten Kaser­nen untergebracht und bevölkerten das Krankenhaus. Einige konnten noch nach Garmisch-Partenkirchen ins dortige Lazarett gebracht und behandelt werden, sie starben aber alle."

 

01.05.1945 / Garmisch-Partenkirchner Tagblatt (20.05.1975)

"Hermann Fink: ... Bis an mein Lebensende werde ich den Leidenszug von KZ-Insassen nicht verges­sen können, die aus Richtung Grainau kommend an der Zugspitzgarage vorbeizogen oder besser gesagt, sich vorbeischleppten; verlumpt, ausgemergelt, kaum sich auf den Beinen halten könnend, bewacht von SS-Schergen und einer Meute von Wolfs­hunden. So weit hatte es dieses Barbarentum gebracht, nur der Ab­schaum der Menschheit konnte das ersinnen und sich zu seinem Voll­zug bereit finden.
Vergesse es, wer kann, solche Bilder, ich kann es nie und nimmer."

 

01.05.1945 / Garmisch-Partenkirchner Tagblatt (18.04.1991 - Markus Gschwendtner)

"Als die Amerikaner immer näher ans Werdenfelser Land kamen, hatte man mit der Eisenbahn "KZ-Häftlinge" aus Dachau in Richtung Österreich verbringen wollen, doch dieser "Elendszug" kam nur bis Mit­tenwald. In Scharnitz ließ man keinen Zug, vor allem keine Deut­schen, mehr passieren. So ergoß sich dieses Elend mit diesen armen Menschen über Mittenwald. Soweit es möglich war, wurden diese halbverhungerten Menschen von der Bevölkerung versorgt in der Turnhalle, im Krankenhaus und vielen Privathäusern."

 

01.05.1945 / Christian Hallig, Festung Alpen - Hitlers letzter Wahn. Wie es wirklich war - ein Erlebnisbericht (Freiburg 1989 S. 22 ff)

"Sie treiben KZler durch den Ort - in einem furchtba­ren Zustand... Hunderte von KZlern, in den dünnen Drillichanzügen, fast ohne Schuhwerk, verhun­gert, geschwächt... Waffen-SS. Ganz brutale Hunde. Wenn einer nicht mehr kann, schlagen sie ihm mit dem Gewehrkolben ins Kreuz oder treten ihn zusammen... Wir müssen versuchen, einige KZler zu befreien. Von ihnen können wir erfahren, was man mit den Todge­weihten vorhat...
Die Nachricht, daß die KZler durch den Ort getrieben würden, hatte sich mit Windeseile verbreitet... Schon war ein Brausen in der Luft, ein Geräusch, noch nie gehört. Ein Gemisch aus Stimmen, aus laut gebrüllten Befehlen, Geklirr von Gasmaskenbüchsen und Seitengewehren, die gegen Koppel und Körper schlugen, von einzel­nen schrillen Schmerzensrufen und Stöhnen. Da bog schon die Spitze des Zuges um die Ecke, in die Hauptstraße hinein. Und zu dem Ge­stöhn, das dem Zug vorausgeeilt war, kam nun, mit einem Schlag, ein Aufstöhnen derer, die das sahen - ein Ausdruck der Betroffen­heit, des Entsetzens und der Ohnmacht, das sehen zu müssen und nicht helfen zu können.
Sie zogen in Fünferreihen dahin, an der Spitze ein SS-Offizier, dann folgten zwei Scharführer. Und dann die Unglücklichen in ihrer dünnen, blau-weiß gestreiften Häftlingskleidung. Die Temperatur be­trug zwei Grad über Null, es wehte ein bissiger Nordwind. Mit Papier, Zeitungen, Fetzen von Lumpen hatten die Männer aus dem KZ ihre Beine, den Oberkörper umwickelt... Die entkräfteten Körper schlotterten vor Kälte hin und her... Lag einer, sprang einer der Wachen hinzu, riß ihn hoch und stieß ihn, mit dem Kolben des Ge­wehrs nachhelfend, in die Reihe zurück...
Zum ersten Male wurden die Einwohner mit der Wirklichkeit konfron­tiert, dem unverhüllten Terror des Nationalsozialismus... Es war, als hätte eines der von Dämonen, Teufeln, Gefolterten und Gegei­ßelten wimmelnden Bildes von Hieronymus Bosch, Gestalt angenom­men...
Neun hatten wir befreit. Fünf Polen, zwei Holländer, einen Tschechoslowaken. Bis auf den einen Holländer, einen jungen Kerl von zwanzig Jahren, den man als Mitglied einer Widerstandsgruppe geschnappt hatte, waren alle Juden. Auch der neunte, Dr. van Leeuwen." (Dr. Hano van Leeuwen, Tierarzt, aus Holland; KZ-Lager Natzweiler, d.H.)...
"Wieviele Häftlinge sind es zusammen? ... unterwegs sind ja viele umgekommen. Jetzt vielleicht noch achthundert. Wissen Sie, was man mit ihnen vorhat? ... Von den Isarinseln. Bei Scharnitz. Dort sol­len sie ausgesetzt werden - verhungern und erfrieren...
Was ist aus den KZ-Insassen geworden? Sie sind alle gerettet. Wir haben die Gebirgsjäger alarmiert, und da sind sie getürmt, die SS-Wachen... Sie sind gut untergebracht, zu großen Teil in der Turn­halle, und sie haben alles."

 

17.11.1945 / Hochland-Bote

"Eröffnung des 'Jüdischen Hauses' in Mittenwald -  Gasthaus 'Blaue Traube' als das Haus der Juden in Mittenwald feierlich eröffnet. Unter dem Motto eines 'KZ-Befreiungsfestes' versammelten sich in dem mit weiß-blauen Farben und Zionsternen reich geschmückten Saal die Gemeindemitglieder des Landkreises Garmisch-Partenkirchen... Land­rat Ritter, Bürgermeister von Gar­misch und Mittenwald, Vertreter der Behörden, der Kirche und des Bayerischen Roten Kreuzes."

Rabbiner Borenstein: "... daß der Hitlerismus nicht nur dem Juden­tum, sondern auch den Katholizis­mus den Kampf angesagt hatte, aber daß beide Religionen den Terror der Gottlosigkeit überlebt ha­ben. Er betonte die Gemeinschaft beider Religionen durch das Be­ten zu ein und demselben Gott... das Neue Testament ohne das Alte Testa­ment, aus dem es geboren wurde, nicht denkbar."

Landrat Ritter: "... daß vor sieben Jahren Verfolgung und Qual über die Juden hereingebrochen sei, und daß die vielen anständig denkenden und tapferen Menschen in Deutschland nicht in der Lage gewesen seien, das nazistische Wahnsinnsregime zu brechen. Dazu mußten die Befreier von außer­halb der Grenzen kommen... Daß an dem üblen Gerücht, wonach ehemalige KZler am 8. und 9. No­vember Naziwoh­nungen ausplündern wollten, kein wahres Wort gewesen ist..."

Herr Lichtenstein: "... wies mit rührender Deutlichkeit auf das jetzige tragische Dasein der überleben­den Juden hin, die gleich Waisen auf der Welt umherirren, weil sie ihr Heim und alle ihre Lieben ver­loren haben. "Wir wollen dort sein, wo sie sind", rief er aus, "denn wir können nicht vergessen was man uns angetan hat... werden alle Juden derjenigen in großer Dankbarkeit geden­ken, die geholfen haben, den Weg aus dem KZ in die Freiheit zu bahnen."

Dipl. Ing. Przygoda in polnischer Sprache: "...daß sein Herz heftig geschlagen habe bei der "Befreiung" an der kleinen Kapelle zu Krün... heftig schlagen, wenn sich die Tore der gemeinsamen Heimat Erez Israel öffnen würde...

 

03.12.1945 / Bürgermeister Reiser, Grainau, an Landrat Dr. Ritter

"Von den ehemals jüdischen Besitzungen wurde neuerdings das Haus Berolzheimer von der Militär­regierung unter treuhänderische Verwaltung genommen."

 

Häuser, die der jüdischen Gemeinde zur Verfügung gestellt wurden:

- Pension Obermühle, Garmisch
- Gasthof Werdenfelser Michel, Partenkirchen
- Gasthaus Blaue Traube, Mittenwald

 

© Alois Schwarzmüller 2006