Garmisch-Partenkirchen und seine jüdischen Bürger  -  Dezember 1938

 

 

 

 

 

06.12.1938 / "... frei, auszuwandern"

"Völlige Freiheit vom jüdischen Einfluß ... der jüdische Einfluß, gleichgültig welcher Art er noch war, verschwindet gänzlich... Ge­fällt ihnen diese Situation nicht, so steht es ihnen selbstver­ständlich nach wie vor frei, auszuwandern..."

Garmisch-Partenkirchner Tagblatt, 06.12.1938

 

07.12.1938 / Bezirksamt Garmisch an Gestapo/Staatspolizeileitstelle München

"Selbstmorde von Juden: Kohtz, Klara, Witwe des verst. San.Rats Benjamin, geb. am 5.2.1857 in Danzig, Eltern: August Simon und Sofie, geb. Gutleben, israelitisch, deutsche Reichsangehörige, zuletzt wohnhaft in Garmisch-Partenkirchen, Partnachstr. 46
Klara Kohtz hatte sich am 10.11.1938 anläßlich der Judenaktion verpflichtet, das Reich unverzüglich zu verlassen. Bei der Abreise zeigte sie wie ihre Tochter Lotte Kohtz starke seelische Depressionen und machte Äußerungen, daß das Leben für sie beendet sei. Am 11.11.1938 gegen 11.30 Uhr wurde ihre Leiche in Innsbruck aus dem Inn geborgen. Nach den vorher gemachten Äußerungen ist anzu­nehmen, daß Klara Kohtz und ihre Tochter den Freitod nahm ... Die Leiche der Lotte Kohtz wurde bisher nicht geborgen.
Vermißt:
Kohtz Lotte, geb. am 16.8.1887 in Danzig, deutsche Reichsangehörige, zuletzt wohnhaft in Garmisch-Partenkirchen, Partnachstr. 46, ... dürfte mit Bestimmtheit anzunehmen sein, daß sie freiwillig mit ihrer Mutter in den Tod gegangen ist ...
Der Vollständigkeit halber berichte ich noch, daß der Jude Dr. Richard Ladenburg, geb. am 5.11.1864 in Mannheim, Bankdirektor, deutscher Reichsangehöriger, zuletzt wohnhaft in Garmisch-Partenkir­chen, Riesserseestr. 20, auf der Reise nach England im Krankenhaus am 14.11.38 gegen 9.30 Uhr verstorben ist.  gez. Dr. Wiesend"

Staatsarchiv München - LRA Garmisch-Partenkirchen 61616

 

07.12.1938 / Keine anständigen Juden

Bürgermeister Scheck: "Es kann heute in Deutschland keiner mehr sagen, es gibt auch 'anständige' Juden. Der Jude wird nie anstän­dig einem Volke gegenüber sein können, weil sein ganzes Wesen und seine Haltung nur auf sein eigenes Ich abgestellt ist."

Garmisch-Partenkirchner Tagblatt, 07.12.1938

 

08.12.1938 / Dr. Georg Walter (Buntes Haus), Amtsrichter a.D., Partenkirchen, Hölzlweg 21, an den Herrn Bürgermeister des Marktes Garmisch-Partenkirchen - Jüdische Mieter

"Frl. Erna Gumprecht, die Eigentümerin des Bunten Hauses, Bahnhofstr. 66, erhielt Ihre Zuschrift vom 30.11.1938, welche lautet:
"Auf Grund einer Mitteilung der Kreisleitung der N.S.D.A.P. Garmisch-Partenkirchen gebe ich Ihnen hiemit bekannt: Vermieter können die an Juden abgegebenen Wohn- und sonstigen Mieträume bei der Kreisleitung der N.S.D.A..P. Garmisch-Partenkirchen, Haus der Nationalsozialisten, kündigen und gleichzeitig die sofortige Wohnungsräumung beantragen.- Die Kündigung und Antrag auf Wohnungsräumung müssen schriftlich erfolgen.- Ich erwarte von Ihnen, daß Sie von dieser Möglichkeit umgehend Gebrauch machen. gez. Scheck“
Diese Zuschrift wurde mir als Hausverwalter zur Feststellung der nicht arischen Mieter übersandt. Zu diesem Zweck bitte ich um Bezeichnung derjenigen Mieter, welche als Juden zu gelten haben. Die Maßnahmen des 10. November 1938 richteten sich ausschließlich gegen die Ehefrau des Fritz Staackmann, so daß ich annehmen muß, daß weitere Juden um Bunten Haus nicht festgestellt sind. Frau Staackmann hat aber die Wohnung am 10.11. verlassen, ist nicht mehr zurückgekehrt und beabsichtigt nach Mitteilung ihres Ehemannes, welcher der eigentliche Mieter der Zwei-Zimmerwohnung ist, nicht mehr in dieselbe zurückzukehren. Herr Staackmann hat die Wohnung bereits gekündigt, seine Leihbibliothek bereits aufgegeben und sucht sich anderweit ein neues Unterkommen... 
Mir ist überdies nicht klar, ob die von der Kreisleitung angeregte fristlose Kündigung zu dem gewünschten Ergebnis führen kann. Ich habe eine Bekanntmachung in den M.N.N. Nr. 333 vom 29. Nov. 1938 vor mir, welche lautet: „Kündigung jüdischer Mieter. Gesetzliche Regelung ist abzuwarten.- Nach einer Mitteilung des Presseamtes der D.A.F. sind in letzter Zeit zahlreiche Kündigungen von Hausbesitzern gegen ihre jüdischen Mieter erfolgt. Bei der unterschiedlichen Gerichtspraxis laufe der Hausbesitzer aber Gefahr, daß er, falls der jüdische Mieter die Kündigung nicht annehmen sollte, mit seiner Klage auf Aufhebung eines dem Mieterschutzgesetz unterliegenden Mietvertrages abgewiesen wird. Zuständige Stellen erörtern daher bereits die Frage, wie weit den Juden noch Mieterschutz gewährt werden soll. Das Amt Haus und Heim der D.A.F. empfiehlt daher den Hausbesitzern, Klagen gegen jüdische Mieter vorerst noch zurückzustellen.“
Wenn bei solchen fristgerechten Kündigungen der Rechtsstandpunkt der Gerichte schon zweifelhaft ist, so ist bei einer außerordentlichen Kündigung mit Antrag auf sofortige Wohnungsräumung mit ziemlicher Sicherheit mit einer gerichtlichen Aufhebung der Kündigung unter Überbürdung der Kosten auf den kündigenden Vermieter zu rechnen, weil keiner der außerordentlichen Kündigungsgründe der §§ 553 & 554 BGB vorliegt. Eine Auslegung der §§§ 553 & 554 nach nationalsozialistischen Grundsätzen scheint nicht in Frage zu kommen. Denn es ist anzunehmen, daß das Presseamt der DAF diese Grundsätze genau kennt und bei der obigen Bekanntmachung auf dieselben hingewiesen hätte, wenn ihre Anwendung in Frage kommen könnte und zu einem Ziele führen würde.
Die ganzen Bedenken sind aber in dem Augenblick gegenstandslos, in welchem festgestellt werden kann, daß Juden im Bunten Haus nicht mehr wohnen.
gez. Dr. Walter"

Marktarchiv Garmisch-Partenkirchen

 

20.12.1938 / Der Bürgermeister Garmisch-Partenkirchen an Herrn Dr. jur. Georg Walter, Amtsrichter a.D., Verwaltung Buntes Haus, Garmisch-Partenkirchen, Bahnhofstr. 47 - Betreff: Jüdische Mieter

"Die Ehefrau des Fritz Staackmann ist Jüdin. Weitere Juden sind im Bunten Haus nicht festgestellt. gez. Scheck"

Marktarchiv Garmisch-Partenkirchen

 

02.04.1939 / Dr. Walter, Verwaltung Buntes Haus, an Bürgermeister Scheck - Betreff: Wohnungswesen

"Wie ich bereits am 8. Dezember 1938 in Sachen „Jüdische Mieter II/1 im Bunten Haus“ berichtet habe, hat Herr Fritz Staackmann seine Wohnung im Bunten Haus bestehend aus einem Zimmer und einer Küche gekündigt ...
Gestern zeigte mir Herr Staackmann an, daß er die zwei Zimmer 1. Mai 1939 räume.
Ich melde diese Wohnungsräumung an und beantrage Genehmigung der neuen Vermietung, soweit eine solche für den gegebenen Fall erforderlich ist. Heil Hitler! gez. Dr. Walter"

Marktarchiv Garmisch-Partenkirchen

 

20.12.1938 / Aus dem Amtsblatt des Bezirksamts Garmisch-Partenkirchen Nr. 17 - Betreff: Vermietung von Wohnräumen etc. an Juden

"Nach nationalsozialistischer Rechtsauffassung ist wesentlicher Bestandteil des Mietsverhältnisses die Hausgemeinschaft der Bewohner eines Hauses. Eine wahre Hausgemeinschaft kann es nur unter gleichgesinnten, deutschdenkenden Personen arischer Abstammung geben; sie ist mit Personen jüdischer Rasse schlechterdings unmöglich. Der Hausbesitzer (Vermieter) ist daher nicht nur berechtigt, Mieter jüdischer Abstammung aus dieser Hausgemeinschaft auszuschließen und von ihnen die Räumung ihrer Wohnung zu fordern, sondern es besteht für ihn in erster Linie die selbstverständliche Verpflichtung, einer Störung dieser Hausgemeinschaft von allem Anfang an dadurch vorzubeugen, dass er grundsätzlich Wohnräume und gewerbliche Räume an Juden nicht vermietet. Verletzt er vorsätzlich oder fahrlässig dies Verpflichtung, die ihm die Volksgemeinschaft aufgibt, so kann und wird er im Interesse der Erhaltung und Sicherung einer wahren Hausgemeinschaft, die ein Teil der Volksgemeinschaft ist,  und im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ruhe angehalten werden, den Mieter jüdischer Abstammung unverzüglich wieder zu entfernen. Die Kosten dieser Massnahme und aller eventl. Hieraus sich ergebenden zivilrechtlichen Schadenersatzansprüche fallen dann ihm zur Last.
Wer sich vor Schaden bewahren  und nicht als ein Schädling der Volksgemeinschaft gebrandmarkt werden will, unterlasse es, an Juden Wohnungen oder gewerbliche Räume zu vermieten oder ihnen auf Grund eines anderen Rechtsgeschäftes zu überlassen. Das gilt selbstverständlich auch für die vorübergehende Vermietung von Sommerwohnungen oder Einzelzimmer an jüdische Fremdengäste.
Garmisch-Partenkirchen, den 23. November 1938. Bezirksamt gez. Dr. Wiesend"

Staatsarchiv München - LRA Garmisch-Partenkirchen 61616

 

26.12.1938 / Gendarmerieinspektion Garmisch an Bezirksamt Garmisch

"In Garmisch-Partenkirchen sind keine Juden."

Staatsarchiv München - LRA Garmisch-Partenkirchen 61616

 

29.12.1938 / Ministerpräsident Generalfeldmarschall Göring, Beauftragter für den Vierjahres-plan, Berlin

"Geheim! Schnellbrief! Der Führer hat auf meinen Vortrag folgende Entscheidungen in der Judenfrage getroffen:
1.a) Der Mieterschutz für Juden ist generell nicht aufzuheben. Dagegen ist es erwünscht, in Einzelfällen nach Möglichkeit so zu verfahren, dass Juden in einem Haus zusammengelegt werden, soweit die Mietverhältnisse dies gestatten.
b) Aus diesem Grund ist die Arisierung des Hausbesitzes an das Ende der Gesamtarisierung zu stellen, d.h. es soll vorläufig nur dort der Hausbesitz arisiert werden, wo in Einzelfällen zwingende Gründe vorliegen. Vordringlich ist die Arisierung der Betriebe und Geschäfte, des landwirtschaftlichen Grundbesitzes, der Forsten u.a.
2. Die Benutzung von Schlafwagen und Speisewagen ist Juden zu untersagen. Andererseits sollen keine besonderen Judenabteile bereitgestellt werden...
3. Der Judenbann soll nur für gewisse, der Öffentlichkeit zugängliche Einrichtungen usw. ausgesprochen werden. Dazu gehören solche Hotels und Gaststätten, in denen vor allem die Parteigenossenschaft gehört... Ferner kann der Judenbann für Badeanstalten, gewisse öffentliche Plätze, Badeorte usw. ausgesprochen werden...  gez. Göring

Marktarchiv Garmisch-Partenkirchen

 

30.12.1938 / Bezirksamt Garmisch an Regierung von Oberbayern

"Das Vorgehen gegen die Juden wird nach wie vor, wenn auch weniger leidenschaftlich, besprochen; immer wieder hört man der Meinung Ausdruck geben, dass man den Erfolg auch mit weniger drasti­schen Mitteln hätte erreichen können."

Staatsarchiv München - LRA Garmisch-Partenkirchen 61616

 

31.12.1938 / Karikatur

Titelblatt mit Skizzen und Zeichnungen zu den Ereignissen des Jah­res 1938 in Garmisch-Partenkir­chen: Ein Jüngling mit Flammenschwert trägt ein Schild mit der Auf­schrift "Juden unerwünscht" im Haken­kreuzkreis, ein Komet treibt einen Juden aus dem Land

Garmisch-Partenkirchner Tagblatt, 31.12.1938


© Alois Schwarzmüller 2006