Garmisch-Partenkirchen und seine jüdischen Bürger  -  1933-1945

 

 

 

 

Berta Schneider - Olympiagastgeberin und Opfer des Holocaust

 

Paula Zehntner (13a Solnhofen, Mittelfranken, US-Zone) beschrieb am 26.02.1948 in einem Brief an den niederländischen Rechtsanwalt Dr. M.S.A. van Wien (Fred. Hendrikplantsoen 40, Amsterdam-W.) das Schicksal ihrer Freundin Berta Schneider:

 

„Sehr geehrter Herr Doktor!

... Über den Verkauf der Häuser wissen wir nicht viel mehr als das, was Ihnen im letzten Brief mitgeteilt wurde. Nötigenfalls könnte ich versuchen, Erkundigungen einzuziehen, wenn Sie mir mitteilen, was Sie zu wissen wünschen. Belege über Verkäufe oder Bankguthaben haben wir nie gesehen, auch wissen wir nicht, wem Frau Schneider solche zur Aufbewahrung gegeben haben könnte. Wir wissen nur, dass Frau Sch. Jeweils Beträge abheben konnte, die von den Nazibehörden erlaubt waren; diese Beträge waren verhältnismäßig klein, da ich Frau Sch. Des oefteren aushelfen musste, obwohl sie, besonders in den letzten Jahren, sehr bescheiden lebte. Mit welcher Bank sie arbeitete, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen, meines Erinnern war es die Bayer. Vereinsbank in München. In Garmisch, wohin sie nach ihrer Flucht niemehr fuhr, dürfte sie kein Conto unterhalten haben. Frau Sch. war einmal in Strassburg, zu einer Zeit, in der es noch möglich war, auszureisen; da ihr geschiedener Gatte dort ein Zweiggeschäft unterhielt, wäre es möglich, dass sie ihre Papiere dorthin gebracht hat, es erscheint mir dies aber auch zweifelhaft, denn damals dachte eigentlich niemand an den katastrophalen Ausgang.

 

   

 

Silber und andere Wertsachen mussten bei einer staatlichen Stelle abgeliefert werden, wurden sehr nieder geschätzt, der errechnete Betrag auf ihr Sperrkonto überwiesen; ich glaube mich entsinnen zu können, dass die Ablieferungsstelle in der Pfandhausstrasse in München gewesen ist. Frau Sch. erzählte mir bei ihren Besuchen bei mir davon; die damalige Zeit war gejagt von immer neuen Massnahmen gegen die jüdische Bevölkerung, dazu kamen die Kriegsereignisse mit Sirenengeheul und ständig wachsenden Aufregungen, so dass nicht alle Einzelheiten im Gedächtnis geblieben sind. Frau Sch. hatte viel wertvolles Silber, soviel ich mich erinnere, waren auch 2 kostbare Leuchter dabei; es muss also ein beträchtlicher Wert gewesen sein. Die Behörden mimten anfangs noch so eine Art von „gesetzlicher" Erledigung; ein Teil der rechtzeitig Ausreisenden konnte auch, nach der Bezahlung der Reichsfluchtsteuer, Geldbeträge mitnehmen. In München wurden jüdische Wohnungen einfach beschlagnahmt und ausgeräumt; es gab eine besondere Stelle zur Erfassung jüdischen Hausrates bei einer Abteilung des Finanzamtes. Ich nehme an, dass Frau Hess durch ihre Eltern bis 1939 auf dem Laufenden gehalten wurde. Die Fa. Ambrunn in der Theatinerstrasse wurde, wie mir Frau Sch. erzählte, einfach dadurch „arisiert", dass ein früherer Zuschneider, der bei der SA war, im Geschäft erschien, die Inhaber mit Fusstritten hinauswarf und sich der ganzen Firma bemächtigte.
Herr Julius Ambrunn, dessen Gattin schwer leidend war, amtierte längere Zeit für die jüdischen Interessen, wenn ich nicht irre, sogar noch im Lager Ismanning, wurde dort des öfteren misshandelt und verlor, wie alle anderen, sein gesamtes Vermögen. Frau Sch. erzählte uns, dass er sich geradezu heldenhaft für die Lagerinsassen eingesetzt habe, trotz aller persönlichen Chikanen durch die Nazis. Bei jedem Besuch berichtete uns Frau Sch. über neue Massnahmen gegen die jüdische Bevölkerung und über begangene Ungeheuerlichkeiten. Die armen Betroffenen litten unsagbar unter dem Terror und waren schliesslich alle so gut wie vogelfrei.
Herrn Hans BAUER, ein sehr tüchtiger, intelligenter Mann, kannten wir sehr gut. Er war beim Finanzamt in Garmisch angestellt. Durch seine freundschaftlichen Beziehungen zu Frau Schneider wurde er vom Amt entlassen und kam mit knapper Not um drastische Massnahmen gegen seine Person herum. Wir haben ihn nicht mehr gesehen und auch bis heute nichts mehr von ihm gehört. Frau Sch. erzählte mir sr.Zt., er habe sich nach seinem Ende 1934 erfolgten Wegzug von Garmisch als Steuerprüfer in München selbständig gemacht. Herr B. soll vor seiner Tätigkeit in Garmisch beim Finanzamt in Krumbach oder München gearbeitet haben. Da er Schwabe war, kann es sich nur um das Krumbach (13b) in Schwaben handeln. Vermutlich wohnen seine Eltern noch dort. Ich glaube nicht, dass Herr B. Ihnen mit Auskünften dienen kann, denn alle Beziehungen mussten ja bereits ab November 1934 abgebrochen werden, als er Garmisch verliess; ich weiss, dass zwischen den Beiden auch jeder Briefverkehr vermieden wurde. Wahrscheinlich aber ist, dass Herr Bauer noch weiss, mit welcher Bank Fr. Sch. in München gearbeitet hat; auch wird er genau über die Kosten im Bilde sein, die der Kauf und Ausbau des Hauses an der Angerstrasse, sowie der Neubau des 2 stöckigen Mietshauses in Garmisch erforderten, denn er beschäftigte sich damals viel mit diesen Angelegenheiten.
Die Kultusgemeinde in München, Abteilung Kaulbachstrasse, Leiter Herr Gift, müsste Ihnen Auskunft geben können, wie damals Wertgegenstände, Silber usw. bewertet wurden. Ministerialrat Troberg vom Sonderministerium, der, so viel ich hörte, die Ueberlebenden von Theresienstadt zurückholte, müsste auch in diesen Dingen Bescheid wissen, da er während der ganzen Nazizeit in München war.
Frau Schneider erhielt bei ihrer Scheidung von Carl Schneider, m. E. Vermögenswerte in Höhe von etwa RM. 2OO,OOO.-. Die Einrichtung der Wohnung an der Güllstrasse überliess sie Herrn Schneider, mit Ausnahme von Wäsche, Silber und Geschirr, soweit er dies zur Aufrechterhaltung seines Haushaltes brauchte. Von 1928 bis 193O oder 32 war Frau Schneider nervenkrank. Der Aufenthalt in verschiedenen Sanatorien und die Consultation vieler Aerzte kosteten viel Geld. Ausserdem unterstützte sie laufend ihre Verwandten, besonders ihre alte Mutter. Das Haus in der Angerstrasse in Partenkirchen kostete damals, soviel ich weiss RM. 4O,OOO.- (Anbau und Einbau nicht mitgerechnet. Was der Bau des Miethauses und der Grund dazu in Garmisch gekostet haben entzieht sich meiner Kenntnis. Die Einrichtung der Pension im Hause Angerstrasse war erstklassig und beanspruchte deshalb viele Neuanschaffungen. Wie gross ihr Bankkonto nach Abschluss dieser Neugestaltung ihres Daseins war, weiss ich nicht, jedenfalls verfügte sie nicht über sehr viel Bargeld um privatisieren zu können, denn sonst hätte sie nicht durch die Führung einer Pension nötig gehabt ihren Unterhalt zu bestreiten. Was sie dann für die beiden Häuser erlöste, wurde ihr von den Behörden weggenommen, dazu ein Grossteil ihrer Habe. Daraus dürfte sich das hinterlassene Vermögen einigermassen errechnen lassen. Was von der Einrichtung der Pension an den Käufer des Hauses überging weiss ich auch nicht.
Frl. Lina Lengenleicher aus Wielenbach bei Weilheim (13b) war längere Zeit Stütze im Hause der Frau Schneider in Partenkirchen. Sie ist eine ausserordentlich tüchtige Persönlichkeit und war Frau Schneider restlos ergeben. Nach der Flucht von Frau Schneider wurde sie von der SS verhaftet, misshandelt und gefangengesetzt, da man sie zwingen wollte, den Aufenthaltsort von Frau Sch. zu verraten. Sie sagte aber trotz aller Drohungen nichts aus und wurde später wieder freigelassen. Das Wenige, das Frau Sch. noch aus der Angerstrasse retten konnte, war lediglich Frl Lina`s Tatkraft und Unerschrockenheit zu verdanken. Frau Sch. erzählte uns dies alles selbst. Als das Partenkirchner Haus dann verkauft wurde, nahm Frl. Lina eine Stellung in München an und ging dann wieder nach Wielenbach auf den väterlichen Hof. -- Herrn Dr. Rosenthal hat mein Mann noch kennengelernt, ich habe ihn nie gesehen. - Dies ist alles was ich Ihnen mitteilen kann & hoffe Ihnen damit ein wenig geholfen zu haben. Sollte uns noch etwas Wichtiges einfallen, werden wir Ihnen berichten."

 

© Alois Schwarzmüller 2010