Garmisch-Partenkirchen und seine jüdischen Bürger  -  1933-1945

 

 

 

Melitta und Dr. Michael Berolzheimer

Mit einer Bleistiftfabrik begann in der Mitte des 19. Jahrhunderts der wirtschaftliche Aufstieg der Familie Berolzheimer. Daniel gründete die Firma 1855, sein Sohn Heinrich (1836-1906) führte sie zusammen mit Leopold Illfelder als Eagle-Pencil Company in Konkurrenz mit Faber-Castell zu großem wirtschaftlichen Erfolg in den USA. Aus Amerika brachte er die Idee der Volksbibliothek mit und stiftete seiner Heimatstadt Fürth das nach ihm benannte „Berolzheimerianum“ und der Nachbarstadt Nürnberg das „Luitpoldhaus“. Lesehallen, eine öffentliche Volksbibliothek und Vortragssäle standen allen Einwohnern zur Verfügung, die sich weiterbilden wollten - „ohne Ansehen des Standes, der Religion und der politischen Anschauung.“ Beide Städte bedankten sich mit der Verleihung der Ehrenbürgerschaft für Heinrich Berolzheimer.

Sein Sohn Michael Berolzheimer wurde am 22. Februar 1866 in Fürth geboren. Er heiratete 1903 Melitta Schweisheimer, (*21. Oktober 1867, geb. Dispecker) und baute mit ihr 1906 das Haus mit der Nummer 471/6  in Untergrainau. Melitta hatte aus erster Ehe drei Kinder, Tochter Nelly und die Söhne Waldemar und Robert. Einer wurde Arzt, der andere Artillerieoffizier. Sie nahmen bis zu ihrer Verwundung im Jahre 1917 bzw. 1918 am Ersten Weltkrieg teil. Der Offizier trug das Eiserne Kreuz Erster Klasse. Während des Krieges stellte Melitta Berolzheimer ihr Haus als Privatlazarett kostenlos zur Verfügung, „immer paritätisch von Offi­zieren und Mannschaften belegt." Michael Berolzheimer war lange Jahre in der Ankaufskommission der Münchner Alten Pinakothek und des Graphischen Instituts ehrenamtlich tätig.

Nachdem die Nationalsozialisten auch in Ober- und Untergrainau die Machtergreifung vollzogen hatten - bei der Reichstagswahl am 5. März 1933 erhielt die NSDAP in den beiden Dörfern 57 Prozent der abgegebenen Stimmen - musste man sich auch im Haus Berolzheimer auf eine neue, eine beunruhigende Situation einstellen.

 

Links: Mitglieder der Familie Berolzheimer im Garten  Dr. Michael Berolzheimer (mit Brille), neben ihm Melitta Berolzheimer (etwa 1930)

Oben: Zwei Hausmädchen aus Grainau vor dem Haus Berolzheimer (etwa 1930)

 

Bilder: Peter Schwarz, Grainau

 

Unmittelbar schien keine Gefahr zu drohen. NS-Bürgermeister Pentenrieder bestätigte im Dezember 1935 wohlwollend, dass die Familie nie „zu irgendwelchen Beanstandungen Anlass gegeben“ habe und dass Berolzheimer „sich niemals politisch betätigt“ und „immer ru­hig verhalten“ habe. Wegen seiner großzügigen Art werde er von den Einwohnern geschätzt: 1934 hatte Berolzheimer der Gemeinde die Rückzahlung eines Darlehens erlassen und ein größeres Grundstück unentgeltlich übereignet.

Erste Bedrängnis näherte sich auf andere Weise. Die Nürnberger Rassengesetze wurden auch im Bezirk Garmisch-Partenkirchen genauestens vollzogen. Deshalb beantragte Melitta Berolzheimer im Dezember 1935 bei der Ortspolizei Untergrainau für ihre beiden einheimischen Zugehfrauen eine Ausnahmegenehmigung. Der Bürgermeister unterstützte diesen Antrag. Das Garmisch-Partenkirchner Bezirksamt begründete ein Gesuch an das „Sonderbüro für Befreiung vom § 3 des Blutschutzgesetzes“ im Reichsministerium des Innern mit dem Hinweis, dass „eine Gefährdung deutschen Blutes ausgeschlossen“ erscheine. Das Ministerium teilte am 9. Januar 1936 knapp mit, „dem Antrag des Berolzheimer auf Weiterbeschäftigung der Maria S. ist nicht ent­sprochen worden.“ Ein paar Tage später wurde Melitta Berolzheimer vom Bezirksamt eröffnet, „dass nach den gepflogenen Erhebungen auch die Weiterbeschäftigung der Marie L. unstatthaft ist.“

Am 12. November 1938, drei Tage nach der Reichspogromnacht, wurde von Hermann Göring in seiner Funktion als Beauftragter für den Vierjahresplan die „Verordnung über eine Sühneleistung der Juden deutscher Staatsangehörigkeit“ auf den Weg gebracht. Darin hieß es: „Den Juden deutscher Staatsangehörigkeit in ihrer Gesamtheit wird die Zahlung einer Kontribution von 1.000.000.000 Reichsmark an das Deutsche Reich auferlegt.“ Die Opfer des Pogroms, nicht die Täter, wurden mit einer „Sühneleistung“ belegt und verhöhnt. Görings Kommentar: „Ich möchte kein Jude in Deutschland sein.“

Die Kontributionszahlung traf auch die Familie Berolzheimer in Untergrainau. Trotz unleugbarer Verdienste um diese Gemeinde veranlasste das Finanzamt Garmisch-Partenkirchen mit Bescheid vom 15.12.1938, dass den Berolzheimers ein „Sühnebetrag“ in Höhe von RM 80.000 auferlegt wurde - zwar in Abwesenheit, aber nichtsdestoweniger wirksam.

Schon vor dem Pogrom am 10. November 1938 hatte sich das Ehepaar Berolzheimer um die Genehmigung zur Auswanderung aus dem Deutschen Reich bemüht. Der Münchner Rechtsanwalt Robert Held teilte dem Bezirksamt Garmisch am 2. Juni 1938 und noch einmal am 1. Juli 1938 mit, dass seine Mandanten „ernsthafte Auswanderungsabsichten“ hätten. Ziel seien die Vereinigten Staaten von Amerika. Der Auswanderungsberatungsstelle in München wurden von Held zwei Bescheinigungen vorgelegt, aus denen die konkreten Auswanderungspläne hervorgingen. Am 4. Juli wurden die Reisepässe des Ehepaars mit den Nummern 109/35 und 108/35 dem Bezirksamt Garmisch vorgelegt. Eine Woche später forderte die Gestapo München vom Bezirksamt einen Abschlussbericht und die Karteikarte mit den Personendaten an. Am 20 Juli 1938 wurde von der Staatsanwaltschaft beim Landgericht München ein Auszug aus dem Strafregister angefordert. Schließlich musste man noch auf eine Bescheinigung der Devisenstelle beim Oberfinanzgericht München warten, ohne sie konnten die Pässe nicht ausgehändigt werden. Am 25. Juli war es dann soweit: Melitta und Dr. Michael Berolzheimer konnten Deutschland verlassen; sie „halten sich vorübergehend in Zürich, Hotel Schweizerhof auf und begeben sich dann nach New York, 210 Broadway.“ Die Anordnung zur Einziehung der Pässe konnte nicht mehr ausgeführt werden, da die Berolzheimers zu diesem Zeitpunkt das Reichsgebiet bereits verlassen hatten. Das berichtete Landrat Dr. Wiesend der Gestapo München am 5. August 1938. Der von Amts wegen zugeteilte Abwesenheitspfleger Dr. Keller teilte am selben Tag mit, "dass die Ausbürgerung des Juden Michael Israel Berolzheimer vorgesehen sei."

Bis zum 5.2.1941 verkaufte die Familie Berolzheimer in Abwesenheit den Grund- und Hausbesitz in Untergrainau an den Grafen Armin auf Schloss Muskau in der Oberlausitz, an den Fabrikbesitzer Heinrich Boltze in Potsdam-Babelsberg und an den Wuppertaler Brauereibesitzer Alex Hollmann. Beurkundet wurden die Verkäufe von dem Garmisch-Partenkirchner Notar Sailer. Am 3. Juli 1941 teilt die Gestapo-Leitstelle München mit, dass „das gesamte in Deutschland befindliche Vermögen des B. und seiner Ehefrau sichergestellt“ worden sei.

In den ersten Dezembertagen des Jahres 1945 informiert der neue Grainauer Bürgermeister Reiser Landrat Dr. Ritter davon, dass „von den ehemals jüdischen Besitzungen neuerdings das Haus Berolzheimer von der Militärregierung unter treuhänderische Ver­waltung genommen" wurde. Heute befindet sich das ehemalige Anwesen Berolzheimer im Besitz der Stadtsparkasse München.

 

Quellen

Staatsarchiv München:

LRA Garmisch-Partenkirchen 61664 - Jüdische Grundstücke 1940-1944

LRA Garmisch-Partenkirchen 61665 - Jüdische Grundstücke 1939-1941

LRA Garmisch-Partenkirchen 61666 - Einsatz jüdischen Vermögens – Lehmann

LRA Garmisch-Partenkirchen 61668 - Erwerb jüdischer Grundstücke 1939

 

Literatur

Peter Schwarz, "Wir fühlen uns sehr behaglich..." - Melitta und Michael Berolzheimer 30 Jahre in Untergrainau (unveröffentlichtes Manuskript, Hammersbach 2012, 58 S.)

 

© Alois Schwarzmüller 20