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Werdenfels-Gymnasium Garmisch-Partenkirchen - 1950-2003 - Entwicklung und Bewährung |
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1963/64 - 717 Schüler – Roland Stürzenhofecker Am 22. November 1963 wurde der amerikanische Präsident John F. Kennedy ermordet. In allen Klassen wurde am darauf folgenden Tag die Gedenkrede des Schulleiters am Lautsprecher mitgehört, „wobei der Persönlichkeit und des Wirkens des verstorbenen Präsidenten gedacht wurde und eine Schweigeminute der Trauer Ausdruck verlieh.“[12] Zur Einweihung der vom Elternbeirat gestifteten Gedenktafel für die im Zweiten Weltkrieg gefallenen Lehrer und Schüler der Oberrealschule versammelten sich im März 1964 der Elternbeirat, das Lehrerkollegium und die Klassen der Oberstufe im Vorraum der Schule. Der Gedanke dazu war schon vor vielen Jahren gefasst worden, aber kontroverse Ansichten über seine Verwirklichung ließen eine frühere Vollendung nicht zu. Die Initiatoren des Mahnmals waren der langjährige Elternbeiratsvorsitzende Dr. Hinrichs, Ministerialrat Illgner und Internatsleiter Walter Harwardt. Das von Professor Otto Hitzberger (1878-1964) geschaffene Relief zeigt auf schwerer Holzplatte, wie „sieben junge Krieger in langen schlichten Mänteln unter einer Dornenkrone in die Ewigkeit schreiten. Über ihnen schwebt das Antlitz des Gekreuzigten, der ihnen Trost zuspricht.“[13] Die Namen der 137 gefallenen und vermissten Lehrer und Schüler, die ihr Leben lassen mussten für den Größenwahn Nazi-Deutschlands, sieht man auf einer fünffach geteilten Holzplatte unter dem Relief. Hans Schwarz, Vorsitzender des Elternbeirats, schilderte, wie man lange nach einer Lösung gesucht habe für eine würdige Erinnerung an das „Opfer, das die Familien durch den Verlust ihrer Söhne bringen mussten.“[14] Professor Hitzberger habe ein Kunstwerk geschaffen, „das in Darstellung und Ausdruck dem hohen ethischen Zweck würdig entspricht. Der Künstler habe damit seinem Heimatort ein Alterswerk hinterlassen, das zu besitzen sich die Schule glücklich schätzen dürfe.“[15] Oberstudiendirektor Dr. Jäger hob, an die Schüler gewandt, hervor, „dass es sicher nicht der Sinn der Gedenktafel sei, in den Frohsinn eines Schultages eine düstere Note zu tragen, vielmehr solle ein täglicher Blick auf diese Darstellung an die rätselhaft-tragischen Hintergründe des Daseins mahnen.“[16] Eine rätselhaft-verklausulierte Interpretation des Mahnmals. Chor und Orchester der Schule umrahmten, zusammen mit dem Musikkorps der 1. Gebirgsdivision, die Gedenkstunde, die anlässlich der zehnten Wiederkehr des Aufstandes in der DDR am 17. Juni 1953 in der Aula veranstaltet wurde. Dr. Jäger begrüßte General Karl Wirsing und Bürgermeister Philipp Schumpp. Die Gedenkrede hielt Oberstleutnant Effenberger, Chef des Stabes. Er erklärte, „man müsse sich endlich darüber klar werden, dass unsere Freiheit keine Dauereinrichtung sei, die man mit DM bezahlen könne. Ein tröstliches Zeichen sei es, dass sich hier Schüler und Soldaten zusammengefunden hätten, um in einer ernsten Stunde darüber nachzudenken.“ Er bekannte sich „ganz klar zum Begriff „Vaterland“, der für jedes Volk etwas Selbstverständliches sei, bei uns aber von gewisser Seite immer wieder vernebelt werde.“ Unter dem Wirbel der Trommel erhoben sich dann die Anwesenden von den Plätzen „und das Lied vom „Guten Kameraden“ klang mahnend durch den Saal.“[17] Soldaten haben eben Erfahrung im Umgang mit Nebel und Trommeln.
1964/65 - 705 Schüler Der deutsch-französische Freundschaftsvertrag, unterzeichnet von Bundeskanzler Konrad Adenauer und Präsident Charles de Gaulle im Januar 1963, trug die ersten Früchte: Zwei Jahre später, im April 1965, war eine französische Schülergruppe zu Gast in Garmisch-Partenkirchen. Vier Lehrerinnen und 58 Schülerinnen der Oberstufe des "Lycée de jeunes filles" aus Tulle (Corrèze)[18] wollten sich informieren über Deutschland, Garmisch-Partenkirchen und die Oberrealschule mit Gymnasium. Die Verständigung klappte ganz gut, „mit viel Heiterkeit versuchten die einzelnen Diskussionsgruppen die gegenseitigen Sprachschwierigkeiten zu überwinden, offenbar sehr erfolgreich.“[19] 34 Mädchen wurden von deutschen Familien zu einem Abendessen eingeladen und konnten damit die Kontakte vertiefen.
1965/66 - 700 Schüler – Rainer Brand Schülerinnen und Schüler, die stolz ihren „ORG“-Pullover trugen, mussten sich zu Beginn dieses Schuljahres neu einkleiden: Die höheren Schulen Bayerns erhielten neue Namen – auch die Oberrealschule mit Gymnasium Garmisch-Partenkirchen. Alle höheren Schulen hießen künftig „Gymnasium“, die Mittelschulen wurden „Realschulen“ genannt. Jede Schule musste dieser Bezeichnung einen individuellen Namen hinzufügen. Nach langer Debatte entschied sich das Lehrerkollegium für die Bezeichnung „Werdenfels-Gymnasium“. Andere Vorschläge wie „Wetterstein-Gymnasium“, „Zugspitz-Gymnasium“, „Gymnasium Alpinium“, „Von-Stauffenberg-Gymnasium“, „Otto-Hahn-Gymnasium“, „Richard-Strauss-Gymnasium“ oder „Höllerer-Gymnasium“ wurden mehrheitlich verworfen. „Wir haben die Bezeichnung „Werdenfels-Gymnasium“ gewählt, die zugleich prägnant und sozusagen auf Granit gebaut erschien und keiner Schwankung in der Bewertung unterworfen sein kann“, so wurde Oberstudiendirektor Dr. Jäger nach der Entscheidung zitiert.[20] Damit war die Bezeichnung zwar geographisch eindeutig verankert, die Chancen, die mit einem biographischen Namen verbunden waren, wurden aber vergeben. Ein Blick zu den Nachbarschulen sei erlaubt: Aus dem „Lyzeum Partenkirchen“ mit Realgymnasium und Mittelschule wurden die „Sankt-Irmengardis-Schulen“ und das bisherige „Humanistische Gymnasium der Benediktiner“ trug künftig die Bezeichnung „Benediktiner-Gymnasium Ettal“. Mit den neuen Namen kamen auch neue Titel für die Lehrkräfte: Der „Studienprofessor“ gehörte der Vergangenheit an, die Oberstudienräte wurden zu „Gymnasialprofessoren“. Außerdem wurden von diesem Schuljahr an die Klassen in anderer Weise nummeriert. Sie erhielten statt der Ziffern 1 bis 9 die Bezeichnungen 5 bis 13, setzten also die Klassenziffern nach der Grundschule fort. Dass es in der Bildungspolitik neben diesen äußerlichen Veränderungen auch immer stärkere inhaltliche Debatten gab, das zeigten zwei Äußerungen aus dem Werdenfels-Gymnasium: Der Politische Arbeitskreis Oberschulen forderte nachdrücklich, sich mit einer Zeit zu beschäftigen, „die im Geschichtsunterricht zu kurz kommt, nämlich die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, mit der Weimarer Republik und dem Beginn des Dritten Reiches.“[21] Die Flucht vor der Geschichte des Nationalsozialismus wurde ja schon seit vielen Jahren durch eine breite Auseinandersetzung mit dem Kommunismus der Gegenwart kompensiert. Gleichzeitig setzte sich Oberstudiendirektor Dr. Jäger in seiner Abiturrede mit den Forderungen der Bildungsreformer auseinander und lehnte ihre Appelle nach mehr Abiturienten, mehr Schulen und mehr Universitäten rundweg ab. Sein Vorwurf: Es handle sich dabei um eine quantitative und nicht um eine qualitative Erweiterung der Bildung. Diesen bildungsökonomischen Erörterungen liege eine „Fehleinschätzung der Bildungsfunktion“[22] zugrunde. Bildung sei „der lebendige Kontakt mit den geistigen, kulturellen, sittlichen und religiösen Kraftströmen.“[23] Die kommenden Jahre werden zeigen, dass dieser elitäre Bildungsbegriff auch in Garmisch-Partenkirchen nicht mehr trägt – mehr Bildung und bessere Ausbildung für mehr Menschen ist der Leitsatz der neuen Bildungspolitik.
1966/67 - 743 Schüler – Hans Nasse, Wolfgang Schmid, Dr. Engelbert Wallner Vor vier Jahren gegründet, zählte die WG-Schülerzeitung „Die Lunte“ mit einer Auflage von 800 Exemplaren und einem Umfang von 60 Seiten je Ausgabe zu den größten Schülerzeitungen der Bundesrepublik. Im Vorjahr schien die Zukunft dieses Schülerorgans gefährdet – die Auflösung drohte wegen „der internen Schwierigkeiten und der bestehenden Interesselosigkeit gegenüber den Schulproblemen.“[24] Eine neue Redaktion mit Niki Baier an der Spitze konnte die „Lunte“ noch einmal zünden – mit dem Ziel, „die Lehrerschaft von dem Verantwortungsbewusstsein und der Glaubwürdigkeit ihrer Schüler zu überzeugen.“[25] Deshalb habe man auch jeden gehässigen Ton vermieden. Die Erwartungen gingen nicht auf, die Verkaufsziffern sanken weiter. Die Hoffnungen aller Freunde der „Lunte“ ruhten jetzt auf dem neuen „Chefredakteur“ Thomas Meyerhöfer. Er wollte die WG-Zeitung wieder wettbewerbsfähig machen.
1967/68 - 762 Schüler – Gerhard Bruner, Biwi Rehm, Gerty Roscher Die öffentliche Diskussion um die Verabschiedung der Notstandsgesetze beherrschte zeitweise auch den Schulhof, die Klassenzimmer, das Lehrerzimmer, kaum aber die politische Öffentlichkeit in Garmisch-Partenkirchen. Die 11. Klassen des Werdenfels-Gymnasiums regten deshalb ein Forum zu diesem brisanten Thema an. Kein teach-in, kein Schulstreik sollte es werden, ganz schicklich und offiziell wurde eingeladen, „mit Genehmigung und unter Beobachtung des Direktors.“[26] Nur ein Mädchen fiel aus der Rolle – „es fiel geradezu auf, dass sich eine kurzberockte Schülerin eine Roth-Händle ansteckte,[27]“ Die Diskussion leitete Studienassessor Gerhard Bruner – das Recht auf politischen Streik, der mögliche Einsatz der Bundeswehr gegen Demonstranten, die Frage, wie die Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung festgestellt werden könne waren die Themen, die lebhaft und kontrovers diskutiert wurden. Mit dem Ende des Schuljahres trat Oberstudiendirektor Dr. Jäger in den Ruhestand. Ein volles Jahrzehnt hatte er das Werdenfels-Gymnasium geleitet. Der Ministerialbeauftragte für die Höheren Schulen Bayerns nannte ihn „ein Vorbild an Pflichtbewusstsein und Charakterstärke“. Bürgermeister Schumpp überreichte ihm die Goldene Ehrenplakette der Marktgemeinde, meinte, dass er auch als Gemeindeoberhaupt bei Dr. Jäger noch einmal gerne in die Schule gegangen sei und übermittelte dem Scheidenden in der Hoffnung, in seiner neuen Heimat Ersatz gefunden zu haben für die verlorene, den Dank der Gemeinde. [28]
[12] Jahresbericht 1963/64 [13] Garmisch-Partenkirchner Tagblatt 06.03.1964 [14] ebd. [15] ebd. [16] ebd. [17] alle Zitate Garmisch-Partenkirchner Tagblatt 18. 06.1964 [18i] Am 9. Juni 1944 wurden in der Stadt Tulle (Corrèze, Frankreich) 99 Zivilpersonen im Zusammenwirken von SS und SD an Balkonen und Straßenlampen erhängt als "Repressalie" für den Angriff des "maquis" auf die deutsche Garnison, bei dem ca. 60 deutsche Soldaten umgekommen waren. Am 10. Juni wurden zusätzlich einige hundert Personen aus Tulle deportiert, von denen 101 nicht zurückgekehrt sind. [19] Jahresbericht 1964/65 S. 47 [20] Garmisch-Partenkirchner Tagblatt 08.10.1965 [21] Jahresbericht 1965/66 S. 51 [22] Garmisch-Partenkirchner Tagblatt 15.08.1966 [23] ebd. [24] Jahresbericht 1965/66 S. 58 [25] Jahresbericht 1966/67 S. 60 [26] Garmisch-Partenkirchner Tagblatt 07.06.1968 [27] ebd. [28] Garmisch-Partenkirchner Tagblatt 26.07.1968
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