Zur Erinnerung an Johann Mordstein und sein Bravourstück

 

 

 

 

 

 

"Wer einen Menschen rettet, rettet die ganze Welt."

 

An einem der letzten Apriltage des Kriegsjahres 1945 befreite der Garmisch-Partenkirchner Hilfsarbeiter und Kantinenwirt Johann Mordstein zwei jüdische KZ-Häftlinge aus einem SS-Transport im Bahnhof Garmisch-Partenkirchen.

Johann Mordstein (1883-1960)

Wer war dieser Johann Mordstein? Ein Held? Ein Widerstandskämpfer? Oder einfach ein Mann der raschen Tat? Ein Menschenfreund in jedem Fall. Geboren wurde er 1883 in der kleinen Gemeinde Unterthürheim im schwäbischen Kreis Wertingen, gestorben ist er 1960 in Oberammergau. Sein Grab findet sich auf dem Garmischer Friedhof. 1937 kam er aus Mittenwald nach Garmisch-Partenkirchen, wohnte zunächst in der Höllentalstraße 36 und seit August 1943 in der Lagerhausstraße 3. Dort führte er - zusammen mit seiner Frau Katharina, einer gelernten Köchin - die Betriebskantine der Deutschen Reichsbahn. Mehr ist über ihn nicht bekannt.

Am 25. April 1945 fuhr nachts der Zug in den Bahnhof Garmisch-Partenkirchen ein, der zwei Tage zuvor das Konzentrationslager Dachau mit mehr als 1700  jüdischen KZ-Häftlingen verlassen hatte. Sein Ziel war die "Alpenfestung", genauer das Ötztal, in dem mit Hilfe der Gefangenen eine "Wunderwaffe" entstehen sollte.*

Bis zum 28. April stand dieser Transport auf einem der beiden Abstellgleise des Garmisch-Partenkirchner Bahnhofs zwischen der Güterabfertigungshalle und den Bierdepots an der Lagerhausstraße. Bewacht wurden die gefangenen Elendsgestalten von einer Hundertschaft SS-Angehöriger. Sie patrouillierten entlang der Gleise und Waggons. Wer sich näherte, wurde vertrieben. Es mag dennoch nicht lange gedauert haben, bis Arbeiter der Bierniederlagen und der Güterhallen oder Beschäftigte der Reichsbahn Genaueres darüber in Erfahrung gebracht hatten, wer sich in diesen Waggons befand. Und in welchem Zustand. Der Zug mit seinen mitleiderregenden Passagieren stand unweit vom Bahnhofsvorplatz.

Bahnhof GarmischPartenkirchen - Postamt - Bahnhofshotel - Eisenbahnerheim - davor Lagerhallen und Abstellgleis (1927)

Auch der Weg zu Johann Mordstein in die Lagerhausstraße 3 war nicht weit. Die Kantine der Reichsbahn, die Mordstein führte, stand zwischen dem Bahnhofshotel und dem Eisenbahnerwohnheim. Mordstein mochte ahnen, welche Tragödien sich in dem Güterzug abspielten - in Sichtweite. Was er wusste, reichte jedenfalls aus. Er handelte. Seine Frau Katharina beschwor ihn: "Lass es, es ist zu gefährlich - für uns alle!" Er handelte trotzdem.

Es muss eine nächtliche Blitzaktion gewesen sein: Mordstein holte aus einem der Waggons zwei KZ-Häftlinge heraus, schleuste sie am Bierdepot vorbei und über die Lagerhausstraße in die Reichsbahnkantine. Dort brachte er sie im Keller in Sicherheit. Und zwar bis zu dem Tag, an dem Soldaten der 10. US-Panzerdivision Garmisch-Partenkirchen ohne Blutvergießen von der NS-Diktatur befreiten. Das war am 29. April 1945, einem Sonntag, abends gegen 19.00 Uhr. Ende eines Alptraums.

Der Güterzug mit den vielen übrigen Dachau-Häftlingen, die sich noch immer in der Gewalt der SS befanden,  wurde am Abend des 28. April 1945 nach Mittenwald in Marsch gesetzt. In der Nacht zum 1. Mai gerieten die zum Teil bereits sich selbst überlassenen Verschleppten in der Nähe von Scharnitz in ein Gefecht zwischen deutschen und amerikanischen Truppen. Noch einmal verloren unschuldige KZ-Opfer ihr Leben.

Bahnhof Garmisch-Partenkirchen - Mitte: Bierdepots und Abstellgleis mit Zug (1927)

Planskizze mit  Reichsbahnbetriebsküche (Kantine Mordstein), Eisenbahnerheim, Lagerhallen, Abstellgleisen und Güterhalle (1927)

Die beherzte Aktion von Johann Mordstein blieb bis heute unauslöschlich im Gedächtnis seines Enkels Sylvester Wackerle. 8 Jahre war er alt, als der Großvater mutig und menschlich handelte.

Etwa fünf Jahre nach dem Tod von Johann Mordstein erhielt die Familie einen Brief und eine Holzkiste aus der israelischen Hafenstadt Haifa. In der Kiste lagen saftige Jaffa-Orangen. In dem beigelegten Schreiben bedankte sich einer der Geretteten bei seinem Beschützer und Helfer.

Diese Zeilen sind nicht erhalten geblieben. Wohl aber die Erinnerung an Johann Mordstein und sein Bravourstück.

________________

* Genauere Darstellung unter "Die Todesmärsche nach Garmisch-Partenkirchen, Mittenwald, Scharnitz, Seefeld - 1945"

Den Hinweis auf Johann Mordstein verdanke ich Biwi Rehm, Garmisch-Partenkirchen. Für ein Gespräch über Mordstein und für das Bild von ihm danke ich Sylvester Wackerle, dem Enkel von Johann Mordstein.

Die Luftaufnahmen vom Bahnhof Garmisch-Partenkirchen entstanden im Winter 1926. Der Auszug aus dem Plan befindet sich im Marktarchiv Garmisch-Partenkirchen

 

 

© Alois Schwarzmüller 2007