1936 - Anmerkungen zu den Olympischen Winterspielen in Garmisch-Partenkirchen

 

 

 

 

 

„Erfreulicher Aktivposten in der Politik des Führers"

 

Die Vergabe der Winterspiele 1940 an Garmisch-Partenkirchen

Im November 1938 hatten die Synagogen in ganz Deutschland gebrannt, im März 1939 war Hitlers Armee zur „Zerschlagung der Resttschechei" ausgerückt – und im Juni 1939 sprach sich das IOC in London in einer einstimmigen Entscheidung für die Vergabe der Winterspiele 1940 an Deutschland aus. Für die Gegner Hitlers mochte diese Entscheidung ähnlich unverständlich gewesen sein wie der zwei Monate später verkündete Pakt zwischen Hitler und Stalin, seine Anhänger und Sympathisanten halten sie noch heute für den Beweis, dass Deutschland unter dem Nationalsozialismus ein friedliebender und international angesehener Staat war.

Hitler zögerte keine Sekunde und griff sofort zu. Er wusste die Wirkung der Spiele von Garmisch-Partenkirchen und Berlin im Jahre 1936 für das deutsche Prestige in Europa und in der Welt zu schätzen.

Die Olympischen Spiele 1940 standen von Anfang an unter keinem guten Stern. Drei Kriege verhinderten die Durchführung.

1936 wurden sie an Japan vergeben, in Tokio sollten die Sommerspiele und in Sapporo die Winterspiele stattfinden. Sie fielen dem Krieg Japans gegen China zum Opfer und wurden im Juli 1938 von Japan zurückgegeben.

Im September 1938 entschied das IOC, die Sommerspiele nach Helsinki zu vergeben. Für die Winterspiele wurde Oslo erwogen. Die norwegische Hauptstadt konnte aber nicht einspringen, da ihr die FIS für 1940 bereits die Ski-Weltmeisterschaften übertragen hatte. Die Olympische Charta untersagte die Durchführung internationaler Meisterschaften neben den Olympischen Spielen.

Jetzt wanderten die Winterspiele 1940 nach St. Moritz. Aber auch dort konnten sie nicht ausgetragen werden: Im Juni 1939 wurden sie der Schweiz entzogen, weil sich das Schweizerische Olympische Komitee weder dem Amateurparagraphen des IOC beugen noch die erwarteten Ski-Demonstrationswettbewerbe durchführen wollte.

IOC-Chef Baillet-Latour sondierte schon seit Mai 1939, ob Garmisch-Partenkirchen bereit wäre, „gegebenenfalls" die Winterspiele 1940 zu übernehmen. Reichssportführer von Tschammer und Osten ließ intern erkennen, dass die erneute Durchführung von Winterspielen in Garmisch-Partenkirchen ein Ziel sei, „das der Führer schon vor einigen Wochen gegenüber Herrn von Halt als für Deutschland außenpolitisch äußerst erwünscht bezeichnet hatte."

Hitler hatte also die Spiele bei von Halt sozusagen „bestellt" und der agierte wieder einmal gehorsam und erfolgreich im Auftrag der NS-Politik. Das IOC stimmte im Juni 1939 geschlossen für Garmisch-Partenkirchen. Sein Präsident Baillet-Latour ließ es sich nicht nehmen, das einstimmige Votum als Beweis für die „Freiheit des IOC von politischen Einflüssen" zu nehmen. Dass das IOC längst schon „profaschistische Tendenzen" (Peter Heimerzheim) hatte, wie sich vor allem bei der Besetzung mit neuen Mitgliedern überwiegend aus autoritär regierten Ländern zeigte, überging er.

Reichssportführer von Tschammer und Osten jubelte jedenfalls nach dem Beschluss des IOC für Garmisch-Partenkirchen am 1. Juli 1939:

„Meine Herren, wir feiern heute einen Sieg. Es ist ein Sieg Deutschlands, dass die V. Olympischen Winterspiele uns in einer für die olympische Festfolge gefährlichen Stunde einstimmig übertragen worden sind. Wir wissen nur zu gut, dass der Beschluss einstimmig, aber doch nicht ganz einmütig gefasst worden ist. Dass viele uns diesen Erfolg innerlich nicht gegönnt haben, aber das ist ja gerade das wesentliche: obwohl sie ihn uns nicht gegönnt haben, konnten sie doch nicht anders, als 'ja' sagen, es war wieder einmal 'The Germans to the front' [...] Meine Herren, ich proklamiere: Das war ein olympischer Sieg Deutschlands. Eine teils freiwillige, teils unfreiwillige bedingungslose Anerkennung unserer Organisationskraft. [...] Ich darf Ihnen mitteilen, meine Herren, dass der Führer die Übernahme der Spiele begrüßt hat, dass er sie als einen weiteren, erfreulichen Aktivposten in seiner Politik betrachtet und dass er uns befohlen hat, die Spiele in größtem Rahmen durchzuführen… Wir müssen uns ehrlich Rechenschaft darüber geben, dass in einem Teil der Welt Antipathie herrscht. Es ist militärisch falsch, einen Gegner zu unterschätzen, am allerschlimmsten im Augenblick, wo man ihn angreifen will."

Deutlicher konnte man es nicht ausdrücken: Deutschland bereitete sich auf einen Krieg vor und die Olympischen Winterspiele 1940 in Garmisch-Partenkirchen sollten als Deckmantel über diese Kriegsvorbereitungen gehalten werden.

 

Zuvor hatte Hitler mit von Halt, Diem, von Tschammer und Osten und dem Wehrmachtsgeneral von Reichenau („Sportgeneral") die Spitze der deutschen Sportfunktionäre auf den Obersalzberg zitiert und den Herren bei den Winterspielen 1940 eine politische Ski-Demonstration im Stil der NS-Propaganda befohlen: 12000 deutsche Skifahrer sollten sternförmig auf Hitler zufahren und vor ihm paradieren. Die nötigen Finanzmittel wurden dafür und für die großzügige Erweiterung und Ergänzung der Garmisch-Partenkirchner Olympiaanlagen aus dem Staatshaushalt zur Verfügung gestellt. Bis November 1939 waren das 10 Millionen Reichsmark. Die Ausgaben für die Winterspiele 1936 lagen bei ca. 2,6 Millionen Reichsmark. Die Wehrmacht war gehalten, die Vorbereitung der Spiele mit allen Mitteln zu unterstützen. Beides lässt erkennen, wie wichtig die Spiele von 1940 für die Politik waren. Hitler gab sogar Weisung, an den Sportanlagen in Garmisch-Partenkirchen auch nach dem Überfall der Wehrmacht auf Polen weiterzubauen.

 

Schaubild des erweiterten Eisstadions

Der "Völkische Beobachter", das zentrale publizistische Parteiorgan der NSDAP, verkündete am 27. Juni 1939 nach der Zusage des IOC für die Winterspiele 1940 in Garmisch-Partenkirchen neuen Sportstättengigantismus im Stil der NS-Propaganda (rechts). Die Pläne für die Erweiterung des Eisstadions von 1936 (links) blieben Makulatur - Hitlers Krieg gegen die Welt machte sie schon bald zunichte.

 

Erst Ende November 1939 wurde dem olympischen Grundsatz Rechnung getragen, dass in dem ausrichtenden Land Friede herrschen müsse. Ritter von Halt und Reichssportführer von Tschammer und Osten informierten IOC-Präsident Baillet-Latour über die Absage für 1940 mit einer Begründung ganz im Ton der NS-Propaganda:

„Da die deutschen Vorschläge auf Herbeiführung eines Weltfriedens, der aus dem jetzigen Konflikt herausführen sollte, von der englischen und französischen Regierung abgelehnt wurden und der Krieg daher weitergeführt werden muss, sehen sich der Deutsche Olympische Ausschuss und das von ihm eingesetzte Organisationskomitee für die V. Olympischen Winterspiele Garmisch-Partenkirchen 1940 gezwungen, den Auftrag dieser Spiele zurückzugeben." Den Mitgliedern des Organisationskomitees für die V. Olympischen Winterspiele 1940 teilte von Halt am 22. November 1939 mit, dass er "den Führer und Reichskanzler gebeten habe, im Hinblick auf den Kriegszustand dem Internationalen Olympischen Komitee die Spiele zurückzugeben." Sein Schreiben schloss mit folgenden Sätzen: "Die V. Olympischen Winterspiele fallen somit aus. Sie haben aber einen Teil ihrer Wirkung gezeigt und die Welt davon überzeugt, wie sehr Deutschland dem Werke des Friedens zu dienen bereit ist." Ritter von Halt spricht die Sprache des Dritten Reiches - der seit dem 1. September geführte Krieg Deutschlands gegen Polen wird ihm zum "Werk des Friedens". Und drei Tage später, am 25. November 1939, veröffentlichten OK-Präsident von Halt und Reichssportführer von Tschammer und Osten einen letzten Abgesang auf die Winterspiele 1940. Die Schuld an der Entwicklung tragen die Engländer und Franzosen: "Deutschland, auch im Kriege den Werken des Friedens treu, hat die Vorbereitungen für die V. Olympischen Winterspiele 1940 Garmisch-Partenkirchen fortgesetzt und die olympischen Sportstätten betriebsfertig ausgebaut. Da seine Vorschläge auf Herbeiführung eines Weltfriedens von der englischen und französischen Regierung abgelehnt wurden und deswegen der Krieg weitergeführt werden muss, gibt es den Auftrag der Durchführung dieser Spiele ... zurück."

Im Januar 1940 war von Halt – in einem Brief an Avery Brundage, den Präsidenten des amerikanischen NOK - davon überzeugt, „dass viele Sportsleute mit mir einer Meinung sind und wünschen, dass die Aufgabe, die uns für 1940 gegeben wurde, einfach ins Jahr 1944 übertragen wird." Die Engländer und Franzosen würden allerdings „endgültig lernen müssen, sich Deutschland anzupassen. Danach vertrauen wir, dass der Friede in der ganzen Welt zurückkehrt."

Nicht nur England und Frankreich, auch Polen und Dänemark, Norwegen und Belgien, Holland und die Sowjetunion mussten erst lernen, was Hitler und von Halt unter einem „Frieden in der ganzen Welt" verstanden. Mit deutscher Gründlichkeit dauerte der Krieg dann bis 1945. Winterspiele fanden weder 1940 noch 1944 statt. In Garmisch-Partenkirchen wurden sie für 1960 noch einmal ins Auge gefasst.

Dass deutsche Sympathisanten des Nationalsozialismus und Mittäter Hitlers sich in den Dienst der NS-Friedenspropaganda stellten, verwundert nicht. Sie waren die Stimme ihres "Führers" und seines „Herrenvolks". Die olympischen Ideale konnten innerhalb Deutschlands dem Missbrauch unter den realen Bedingungen der NS-Diktatur nicht Stand halten.

Dass aber auch sämtliche Mitglieder des IOC sich durch die Vergabe der Winterspiele 1940 an Garmisch-Partenkirchen zu Komplizen Hitlers machen ließen, das unterstreicht die These, „dass ein Teil der Führungsspitze des IOC unverhohlen mit den Zielen des „Führers" sympathisierte." (Peter Heimerzheim)

 

Quellen:
 

 Quelle 1  "Führerbefehl": Die Weisung zur Organisation der Winterspiele 1940

 Quelle 2  Personal: Vorstand und Mitglieder des Organisationskomitees für die Winterspiele 1940

 Quelle 3  Propaganda: Landrat Dr. Wiesend fordert "unerschütterlichen Glauben an den Führer".

 Quelle 4  Finanzierung: "Die erforderlichen Mittel werden der Gemeinde vom Reich zur Verfügung gestellt."

 Quelle 5  Polizeimaßnahmen:"Notwendig, alle diese fremden Personen zu überprüfen und zu beobachten.“

 Quelle 6  Militarisierung: "Tag des Skilaufs" mit "Feldherrnhügel", "Kanonenschüssen" und "Artilleriesalut"

 Quelle 7  Wintersportwoche statt Winterspiele: "Ohne seine Schuld war Deutschland gezwungen..."

 

 

© Alois Schwarzmüller 2006