1936 - Anmerkungen zu den Olympischen Winterspielen in Garmisch-Partenkirchen

 

 

 

 

 

„.. den Ring der Gräuelpropaganda sprengen…“ –

 

Die Winterspiele 1936 als Instrument der NS-Propaganda

Die Ausgangsfrage: Können die sportlichen Ereignisse und Erfolge der Wettbewerbe auf Eis und Schnee und die tadellose Durchführung aller Veranstaltungen tatsächlich Anlass sein, die Winterspiele 1936 isoliert als reines Sportereignis zu betrachten und nicht danach zu fragen, unter welchen politischen Rahmenbedingungen sie von den Veranstaltern propagiert und organisiert wurden?

Sind Sport und Politik zwei völlig voneinander getrennte Kontinente? Handelten die Verantwortlichen für die Spiele von Garmisch-Partenkirchen vollkommen „unpolitisch“? Damals, in der take-off-Phase des Nationalsozialismus, wo alles öffentliche politische Gebaren geradezu kultisch „mit Feuer und Flamme“ in Szene gesetzt wurde?

Gekonnt wurden die Spiele als „unpolitisches Friedensfest“ arrangiert.

Natürlich konnte man sich über den Charakter der Spiele täuschen und täuschen lassen, man konnte auch nichts wissen wollen von Dachau, man konnte sogar die Augen vor der Diskriminierung und Verfolgung der jüdischen Bürger schließen.

Heute ist bekannt, wie Juden in Garmisch-Partenkirchen gequält und gejagt wurden. Wir kennen die Namen und die Schicksale vieler Dachau-Häftlinge aus dem Bezirksamt Garmisch. Es ist an der Zeit zu zeigen, wie die nationalsozialistischen Propaganda- und Sportfunktionäre und ihre „Führer“ über die Rolle der Winterspiele in Garmisch-Partenkirchen dachten.

Schon die Vergabe der Olympischen Spiele 1936 durch das IOC an Deutschland im Jahre 1931 war - im Gefolge der „Entspannung“ nach der Katastrophe des Ersten Weltkrieges – kein unpolitischer Akt. Es war nicht mehr das Kaiser-Wilhelm-Deutschland des Versailler Vertrages, sondern das Stresemann-Deutschland, das dem Völkerbund beigetreten war. Nach der politischen Anerkennung im Locarno-Vertrag 1926, nach den wirtschaftlichen Milderungen des Young-Plans 1929 kam mit Barcelona 1931 die sportliche Anerkennung und das Ende der olympischen Isolierung.

Die führenden Nationalsozialisten haben darauf sofort politisch reagiert. Die olympische Idee bekämpften und ächteten sie als Ausdruck „individualistisch-demokratischer Sportauffassung". Den olympischen Internationalismus hielten sie für eine „Begünstigung des bolschewistischen Kampfes gegen die weiße Rasse“. Die Spiele von 1936 waren bereits an Berlin gegangen, da forderte der „Völkische Beobachter“ noch ganz im Sinne des programmatischen Rassismus: „Die Schwarzen müssen ausge­schlossen werden. Wir erwarten es." Das waren die Nationalsozialisten in der Opposition.

Die Nationalsozialisten an der Macht haben schnell erkannt, dass sie mit den olympischen Spielen eine perfekte Tarnkappe aufsetzen konnten. Kaum waren sie alleinige Herren über Deutschland, vollzogen sie, instrumentiert und dirigiert von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels, eine vollkommene Kehrtwendung. Natürlich standen die olympischen Ideen der Völkerverständigung und des Weltfriedens nach wie vor in unüberbrückbarem Gegensatz zur völkisch-rassistischen Ideologie und zu den Kriegsplänen. Aber Hitler und Goebbels und ihre Vasallen sahen, dass sich mit einem Kurswechsel die willkommene Chance bot, der ganzen Welt ein friedliebendes, „ordentliches“ und prosperierendes „neues Deutschland“ zu zeigen. Das große olympische Spektakel in Berlin – mit der Vorstufe in Garmisch-Partenkirchen – eignete sich hervorragend dafür, das Ausland über den wahren Charakter des Nationalsozialismus wenigstens für begrenzte Zeit hinwegzutäuschen. In der NS-Presse hielt man jetzt die Spiele sogar für ein „wichtiges Instrument zur Wiedererringung der Weltgeltung Deutschlands.“ Ganz in diesem Sinne wurde von Goebbels die Losung „Olympia – eine nationale Aufgabe“ propagiert.

Den Winterspielen in Garmisch-Partenkirchen kam als propagandistischer und organisatorischer Vorreiter für Berlin eine besondere Aufgabe zu.

 

25.11.1933

Das Goebbels-Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda und der Propagandaausschuss für die IV. Olympischen Winterspiele formulierten den Auftrag - nicht der Fremdenverkehr, sondern der politisch-agitatorische Nutzen steht im Mittelpunkt.

24.11.1934

Das Organisationskomitee greift diesen Gedanken auf. Hitler möchte mit den Spielen die internationale Isolierung des Deutschen Reiches durchbrechen und der "Gräuelpropaganda" außenwirksam entgegentreten.

03.12.1934

Nach innen dienen die Spiele und ihre Vorbereitung zur Gleichschaltung des Sports in Deutschland - bis zur Ersetzung von "Gut Holz" durch "Sieg Heil".

09.03.1935

Den "Geist des neuen Deutschland" zuerst in den Austragungsorten Garmisch und Partenkirchen zu verbreiten ist das Ziel aller propagandistischen Bemühungen des Bezirksamtes Garmisch.

02.12.1935

Der Presse kommt auf allen Ebenen eine besondere Funktion zu. Deshalb wird ihre Gleichschaltung zu einem "einheitlichen Charakter" früh beschlossen und durchgeführt. Wo es sich auszahlen könnte, wird vor allem die ausländische Presse "zuvorkommend" behandelt.

1936

Der nationalsozialistische Olympiamythos wird von sozialdemokratischen Kritikern getrübt: Die "Bonzokratie" der NS-Funktionäre und die Frage, wer das alles bezahlen wird, bewegte die Gemüter vieler Menschen.

1937

Die nationalsozialistische Geschichtsschreibung sorgt nach dem Ende des olympischen Jahres für die Verbreitung von der Legende des "kameradschaftlichen Völkerfriedens".

 

Nicht alle ließen sich blenden. Albrecht Haushofer (1903-1945) schrieb in seiner Berliner Todeszelle das Sonett Olympisches Fest, das mit diesen Zeilen endet:

"Die sich zum Spielen Schar um Schar gereiht:
die ganze Jugend ist dem Tod geweiht."

Aus: Albrecht Haushofer, Moabiter Sonette, München 1976 (dtv 10099) S. 33

 

 

© Alois Schwarzmüller 2006