Fritz Müller-Partenkirchen, Das verkaufte Dorf

 

 

 

 Biographie des Autors

Fritz Müller-Partenkirchen (1875-1942)"Das verkaufte Dorf" von Fritz Müller-Partenkirchen ist ein autobiographischer Schlüsselroman über die Entwicklung von Partenkirchen und Garmisch zum Herzstück des oberbayerischen Fremdenverkehrs um 1900. Münchner Grundstücksspekulanten beauftragen den Ich-Erzähler Fritz mit der Geschäftsführung einer "Terraingesellschaft", deren Absicht es ist, in und um Partenkirchen in großem Maßstab Grundstücke zu erwerben, "Investoren" zu finden, Hotels und Kurhäuser zu errichten und das Dorf "zu entwickeln".
Seine Erfahrungen vom Neben- und Gegeneinander der Dörfer Garmisch und Partenkirchen und seiner Bewohner hat der Autor im folgenden Kapitel festgehalten:

 

Achau – Wambach

"Weil sie beide eine Post und einen Bahnhof haben, meint man, daß sie eins sein könnten? Doch der Bindestrich dazwischen ist ein frommer Wunsch, ein Trennungsstrich der Bergstrom zwischen ihre Fluren, der heute wie Schalmeien säuseln kann und morgen drüben einem Acker den Gerölleib aufreißt und herüben polternd eine Wies’ vermuhrt.

Daß sie drüben „Katherl“ sagen und herüben „Kathrinala“, schöpft den Gegensatz nicht aus. Ich weiß noch gut die fremdenlose Zeit, wo es für einen Sepp von drüben ein Messer zwischen der dritten und vierten Rippe bedeuten konnte, wenn ihm eine herübene Zenzi gut war. Wo ich neidvoll fragte: „Wie, ihr getraut euch, euer Hab und Gut ganz unverschlossen - ?“ „Was glaub´n S´ denn, Herr, bei uns herüb´n wird doch nix g´stohl´n – drüb´n freili is´s scho besser, balst dein Hosensack fest zunaahst, Bua.“

Derweil sie mir drüben versicherten, herüben würde die Scheintodprobe mittels eines Talers ausgeübt, den man neben den Toten auf den Nachttisch lege – läge der nach einer Viertelstund´ noch dort, dann erst handle sich´s um eine Leiche von herüben, wohin gegen drüben - - -

Das ist heute noch nicht anders, wo sie herüben einen großen neuen Friedhof haben, derweil die Toten drüben um die alte Kirche vierfach aufgeschichtet liegen. „Kinder,“ sagte der herübere Pfarrer, „wollt ihr eure Toten nicht bei uns -?“ „Ja freili, dass ihr von unsre Gräber d´Bleamerln über Nacht verschwinden lassen taatets, ös Hallodri!“Bild aus: Fritz Müller-Partenkirchen, Das verkaufte Dorf - S. 127

Den einen Bahnhof konnten sie dann freilich nicht vermeiden. Mir scheint jedoch, er ist als Pendelbahnhof konstruiert, denn vor einem dutzend Jahren stand er drüben, jetzt herüben und nach einem weiteren Jahresdutzend, wett´ ich meinen Kopf - .

Übrigens, die Köpfe sollen drüben alte Germanenschädel sein, und noch ältere Keltenköpfe herüben -  oder umgekehrt – ich wird´ mich hüten, zu entscheiden, wer den ältesten Kopf hat oder gar den härtesten – sie könnten plötzlich einig werden und gemeinsam mir den meinigen verschlagen.

Inzwischen war man Weltkurort geworden. „Man“ sag´ ich mit Bedacht, denn die Drüberen sowohl wie die Herüberen behaupten, ihnen käme die Vorschlagssilbe „Welt“ zu, derweil die anderen sich mit „Landes“ zu begnügen hätten. Und so geht der Wettstreit weiter.

Geruht hat er nur einen Tag lang, als die Kurstatistik einmal drüben und herüben mathematisch gleichviel Fremde aufwies. Aber schon am nächsten Tage ist der angestammte Berghaß neu entflammt durch einen Plus von anderthalb Fremden.

Diese Fremden sind nicht immer von erfreulichster Art, so daß es den Herüberen „Selzügelten“ mit ihnen manchmal gehen soll, wie dem „echten deutschen Mann, der keinen Franzmann leiden kann“, aber ihre Weine – in unserm Fall den „Diridari“ – nicht verachtet. Was den Drüberen Veranlassung gab, den Herüberen einen Gemeinderatsbeschluß anzudichten, beim täglichen Weidabtrieb sei den Kühen hinten ein Sackerl unterzubinden im Interesse der geschleckten Sauberkeit der Straßen. Wobei ich allerdings bekennen muß, daß bei Regenwetter sich der Straßenzustand beider außer Wettbewerb erweist.

Naturwüchsig, sagten die Besucher, seien freilich die Herüberen, wo der obere Wirt über seinem Bette einen silbergestickten Spruch hängen habe: „Kummer und Sorgen – steigts mir am Buckel nauf bis morgen!“ Was den drüberen Oberwirt nicht ruhen ließ, bis er über seinem Bette goldgestickt erglänzte und der Buckel durch seine untere Fortsetzung noch übertroffen wurde.

Nun wird man entgegenhalten, daß es, Gegensätze auszugleichen, Brücken gäbe. Vor dieser Brücke aber zwischen beiden Orten kehren drüben und herüben die diesbezüglichen Gemeindesprengwägen seit Menschengedenken knapp um, denn – „Kreuzteufel no amal, mir werden doch dene Schlack` net ihr Brücken spritzen!“

Und die Bergführer beider Gemeinden werden in einem besonderen Auseinanderhaltungskurse angewiesen, die Fremden bei der Gratwanderung immer schiedlich-friedlich zu belehren: „Da balst abifallst, Bua, werst herüb´n begrab´n, aber da balst abifallst, armer Deifi, werst drüb´n begrab´n!"

Aus: Fritz Müller-Partenkirchen, Das verkaufte Dorf (Leipzig 1928) S. 89-91

 


 

 

© Alois Schwarzmüller 2009